[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 24
50. Jahrgang | Februar
Pädagogik
Musikstudium nach dem Baukastenprinzip
Folkwang-Hochschule in Essen reformiert sich mit Hilfe einer
Zukunftswerkstatt
Folkwang hieß der Saal der Göttin Freya
in der Walhalla und er verkörperte Liebe und Schönheit.
Längst sind die Begrifflichkeiten der germanischen Mythologie
kein Allgemeingut mehr, doch die Folkwang-Hochschule kennt jeder,
der sich mit Musik, bildender und darstellender Kunst beschäftigt.
Seit der Gründung der Hochschule 1927 in Essen durch Operndirektor
Rudolf-Schulz-Dorburg sowie den Choreografen Kurt Jooss hat sich
dort diese Idee der Künste unter einem Dach erhalten, auch
wenn sie manche Erweiterung und Veränderung erfahren hat. Als
einzige von sieben Kunsthochschulen in Nordrhein-Westfalen ist die
Folkwang-Hochschule in Essen der Integration der Künste per
Gesetz verpflichtet. Derzeit befindet sich die Hochschule in einem
tief greifenden Strukturwandel.
Seit Oktober 2000 ist Rektor Martin Pfeffer als Nachfolger von
Edmund Illerhaus im Amt. Bei der letzten Senatswahl wurde Pfeffer
von den Reformkräften gewählt, um einen radikalen Strukturwandel
nach dem Modell der Zukunftswerkstatt nach Robert Jungk
zu initiieren. Der neue Rektor versichert: Wir werden den
Prozess über die Zukunftswerkstatt so anlegen, dass er partizipativ
ist, in einer urdemokratischen Weise. Jeder kann die Dinge mitgestalten,
das ist eine wichtige Nachricht nach außen.
Bislang wurde der Strukturwandel von der Hochschulöffentlichkeit
sehr gut aufgenommen: Brechend volle Räume sowohl bei Vollversammlung
als auch bei der Zukunftswerkstatt.
Damit aus der Aufbruchsstimmung keine unendliche Reform wird, gibt
es einen engen Zeitplan: das heißt es gibt 2000/2001 keine
Semesterferien und der gesamte Prozess soll nicht länger als
eineinhalb Jahre dauern.
Dabei übernimmt das Rektorat nur die Rahmenplanung, die in
Zusammenarbeit mit dem Gemeinnützigen Centrum für Hochschulforschung
(CHE) in Gütersloh entstand (und die keine inhaltliche
Vorgaben macht wie Pfeffer mehrfach betont). Das CHE ist ein
Zentrum für Hochschulentwicklung, eingerichtet von der Hochschulrektorenkonferenz
und der Bertelsmann-Stiftung, in dem Fachleute versammelt sind,
die in verschiedenen Hochschulreformprozessen Erfahrung gesammelt
haben. Das Zentrum soll den Folkwangreformern helfen, typische formale
Fehler, die bei Hochschulumgestaltungen begangen werden, zu vermeiden.
In Akademiezusammenhängen wird was Veränderungen
betrifft in sehr langen Zeiträumen gedacht, illustriert
Pfeffer diese potenziellen Fehlerquellen. Das ist gleichzeitig
auch ein strategisches Mittel, um Veränderungen zu erschweren,
zu verhindern, zumindest zu marginalisieren.
Diesen Effekt will das Rektorat mit einem klaren Zeitplan verhindern.
Von der programmatischen Rede Pfeffers am 2. November bis zum 1.
Juli 2001 müssen die Konturen so klar sein, dass der Pool an
frei gewordenen Stellen nach neuen Kriterien vergeben werden kann.
Der Bedarf für die neuen Studienausrichtungen muss dann klar
sein. Wie die Struktur dann aussieht, ob sich die Hochschule in
Institute, Departments oder Fachbereiche gliedert, ist nach Pfeffers
Überzeugung nachrangig.
Das was wir hier betreiben, so Pfeffer, ist eigentlich
eine Selbstevaluation. Wir machen eine Stärke-Schwächen-Analyse.
Bis Juli sollen neue Stellen entstehen durch Pension, Weggang oder
durch laufende Verfahren. Zurzeit wird allerdings noch nicht berufen.
Denn die Besetzung soll kein Stückwerk sein, die Reform soll
sich konzeptionell in Berufungen und Umwidmungen auswirken können.
Längst zeichnet sich ab, dass die Zukunftswerkstatt weder
vor der Lehre noch vor Studien- und Prüfungsordnung halt machen
wird. Erste Schritte in eine Modularisierung des Studiums wurden
bereits vollzogen. Jeder Student soll sich in Zukunft sein Hauptstudium
selbst zusammenbauen. Das modulare Prinzip ist besonders
inte-ressant vor dem Hintergrund der Folkwang-Idee, der sich die
neue Hochschule mehr denn je verpflichtet fühlt. Für Wolf
Burbat, Prorektor und Leiter der Jazzabteilung besteht der Folkwang-Gedanke
heute in erster Linie in der Interdisziplinarität. Diesen
Gedanken tragen wir immer vor uns her und lösten ihn dennoch
bis jetzt noch nicht so befriedigend ein, wie man das könnte.
In gelegentlichen Projekten wird zusammengearbeitet. Das ist aber
noch nicht richtig ins Studium eingeflossen: Das ist das, was wir
jetzt vorhaben.
Bereits heute bietet Folkwang mehr Disziplinen als üblich:
Ein bundesweit wohl einmaliges Zusammenspiel von Orchester und Solistenausbildung,
von Theater und Tanz (mit Pina Bausch als Leiterin des Folkwang
Tanzstudios FTS), von Jazz und Computer-Musik, von Wissenschaft
und Musikpädagogik lockt nach wie vor zahlreiche junge Künstler
nach Essen. Und dass in der Folkwang-Hochschule, die heute in den
Räumlichkeiten der ehemaligen Werdener Abtei untergebracht
ist, neben München die einzige Professur für Gregorianik
in Deutschland existiert, ist angesichts dieser Vielfalt eigentlich
nicht weiter verwunderlich. Geplant ist auch, ab Sommer 2002 die
Internationalen Sommerkurse für Gregorianik wieder
aufzunehmen.
In einer Zeit, wo es zunehmend Konkurrenz unter den Instituten
gibt, schadet es sicher nicht, das eigene Profil zu schärfen,
um nicht eine Hochschule unter anderen zu sein. Was dieses
Profil im Einzelnen ist, so Rektor Pfeffer, das werden
wir noch weiter verfolgen. In der ersten Phase des Wandels hat sich
abgezeichnet, dass die Interdisziplinarität allen sehr wichtig
ist.
Der Folkwang-Zukunftswerkstatt geht es nun darum, den Ansatzvorteil
der Folkwang-Hochschule zu nutzen. Dadurch dass wir nicht
nur Musikhochschule sind, sondern auch Theater und Tanz dabei haben,
können wir genau darin ein interessantes modulares Feld schaffen.
Wir streben interdisziplinäres Denken an, keine Fachidioten.
Welche Bedeutung eine flexib- lere Ausbildung für die künftige
Berufspraxis von Studienabgängern haben könnte, liegt
angesichts permanentem Wandel in den Berufsbildern auf der Hand.
Eine modulare Spielwiese will man aber nicht werden, dafür
ist der Drang der Künste sowie deren Studenten auch nach außen
zu gehen zu groß. So gibt es eine traditionelle Kooperation
mit dem Werdener Gymnasium, einem musischen Gymnasium mit Tanzabteilung.
Es bestehen Kontakte zur Folkwang-Musikschule, wo ebenfalls die
Fächer Instrumente und Tanz unter einem Dach unterrichtet werden.
Weiter bestehen vielfältige Kontakte zur Kulturszene, insbesondere
zur neu aufgebauten Zechenkultur (Zeche Zollverein). Nach wie vor
laufen die Fäden auch zur Urzelle der Folkwang-Hochschule,
dem zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts von Karl Ernst Osthaus
gegründeten Museum Folkwang.
Auch zu Größen wie Gerard Mortier versichert
Pfeffer, suchen wir Kontakt. Der designierte Intendant der
Triennale hat versprochen, dass er mit allen möglichen Kulturinstitutionen
Kontakt haben möchte. Wir werden ihm als zentrale künstlerische
Ausbildungsstätte des Ruhrgebiets eine Kooperation anbieten.