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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 39
50. Jahrgang | Februar
Jazz,
Rock, Pop
Ausgleich zur strengen Disziplin
Die Sopranistin Patricia OCallaghan versucht sich am Kabarett-Chanson
Als Teenager hat man ja so manche Probleme. Patricia OCallaghan
(geb. 1970) macht da mit ihrem Rockstar/Nonnen-Dilemma keine Ausnahme:
Bis 17 wusste sie nämlich nicht, ob sie ins Kloster gehen oder
weiter mit ihrer High-School-Band Ozzy Osborne covern und ins Rock-Business
einsteigen sollte.
H eute nach einem klassischen Gesangsstudium in Toronto
ist an die Stelle des Traums von der beschaulich-frommen
Existenz als Nonne die Liebe zur Klassik getreten besonders
zur Barock- und zur zeitgenössischen Musik (etwa als Mitglied
des Avantgarde-Ensembles Zebra Schvungk). Die Vorliebe
für Populäres sofern gut komponiert und getextet
ist geblieben. Ein Dilemma? Nicht wirklich, denn Patricia
OCallaghan löst den vermeintlichen Widerspruch auf: via
Kabarett.
Frau mit vielen Gesichtern:
Patricia OCallaghan.
Foto: Teldec
Nun gibt es nur wenige Ausdrücke, die so missverständlich
sinnentleert worden sind wie der des Kabarett: Jeder Gang durch
ein beliebiges Bahnhofsviertel lehrt auf den ersten Blick, dass
Kabarett für viele Menschen mittlerweile mehr sehr viel
mit der Assoziation nackter Haut als mit Musik zu tun hat
trotz des zeitweiligen Massenappeals von Leuten wie Ute Lemper
und Liza Minelli.
Bei der kanadischen Sopranistin, die perfekt Deutsch spricht, hat
der stets dehnbare Kabarett-Begriff viel mit qualitätvollen,
individuell interpretierbaren Songs und Internationalität zu
tun.
Neben großen Namen wie Kurt Weill, bei dem sie nach Möglicheit
das weniger Bekannte oder Unbekannte sucht (I dont think
there needs to be another recording of Mack the Knife!), gibt
sie auf ihrer ersten Einspielung mit internationalem Vertrieb (Real
Emotional Girl, Teldec) schwerpunktmäßig Songs von Leonard
Cohen, eingestreuten Leonard Bernstein (Lucky to be Me),
französischen Chanson mit Musette-Touch (Je rêve
de toi) und Rockiges von Pearl Jam (Better Man)
bis Dylan (Like A Rolling Stone) zum Besten. Kabarett
à la O Callaghan hat also auch viel mit einer Vermittlung
zwischen unterschiedlichen Repertoires und Stilen zu tun: Sie klingt
aufwändig arrangiert und hervorragend eingespielt
oft ein bisschen nach Pop/Rock goes Kunstlied und Kunstlied/Musical
goes Pop. Kein Wunder daher, dass sich Klarinettist Don Byron Patricia
OCallaghan für drei Songs (Bernsteins Glitter and
be gay aus Candide, Background-Gesang auf R. Orbisons
Its over und Stevie Wonders Creepin)
seiner neuesten Einspielung an Bord geholt hat. Auf Byrons A
Fine Line Arias & Lieder (Blue Note) geht es ja
um einen ganz ähnlich gelagerten Ansatz: Auf Giacomo Puccini
folgt Henry Mancini und auf Stephen Sondheim Chopin oder Schumann.
Provokativ bringt Don Byron seinen Crossover-Ansatz in den Liner
Notes mit einer rhetorischen Frage auf den Punkt: Gibt
es eine großartigere Arie als Roy Orbisons ,Its over?
OCallaghan würde womöglich von Kabarett sprechen.
Es wäre übertrieben, die Erstlings-CD der kanadischen
Sopranistin mit dem Randy Newman-Titel als durchgängiges Meisterwerk
zu empfehlen. So werden eingefleischte Cohen-Fans die intensive,
romantische Düsterheit vermissen, wenn OCallaghan mit
ihrem kristallinen Sopran (der über Poppigem ein wenig nach
Kate Bush klingt) an Stelle des kanadischen Brummbären Take
this Waltz interpretiert.
Andererseits gehört gerade Cohens Im your Man
in einer poppigen-fetzigen Interpretation zu den Höhepunkten
der Einspielung neben Kurt Weill-Songs wie Captain
Valentines Tango oder Stay Well, in denen
die Kanadierin ihre ganze, klassische Gesangs- und Interpretationskunst
ausbreitet, ohne dabei nach dem großen Vorbild in Sachen Weill,
Lotte Lenya, zu klingen.
Angst davor, ihre klassische Karriere durch Ausflüge ins Kabarett
zu beschädigen, hat Patricia OCallaghan übrigens
nicht. Sie betrachtet Projekte wie Real Emotional Girl
als perfekten Ausgleich zur strengen Disziplin, die ihr als klassischer
Sängerin abverlangt wird auch wenn es manchmal schwer
fällt, beides organisatorisch unter einen Hut zu bekommen.
Ob sie nicht dennoch Angst vor kritischen Worten der Musikjournalisten
über ihr Crossover-Kabarett-Engagement habe? Hat sie nicht:
Wer sich vor Kritiker-Reaktionen im Vorhinein fürchte, könne
niemals etwas Eigenständiges oder Individuelles zu Wege bringen.
Überhaupt sei es am wichtigsten, dass Kritiker-Reaktionen deutlich
ausfallen, ob es sich nun um Hass oder Liebe
handle. Dann nämlich erst könne man etwas mit Kritiker-Worten
anfangen.
Gut, dass Patricia OCallaghan damals, mit 16 oder 17 Jahren,
nicht ins Kloster gegangen ist.
Claus Lochbihler
CD-Tipp:
Patricia OCallaghan: Real Emotional Girl, Teldec