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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 20
50. Jahrgang | Februar
Rezensionen
Musik und Gesellschaft unter einem Hut
Briefe und Notizbücher Paul Dessaus schließen ein
Lücke
Paul
Dessau: Lets Hope for the Best. Briefe und Notizbücher
aus den Jahren 19481978, hrsg. von Daniela Reinhold, Reihe
Archive zur Musik des 20. Jahrhunderts. Band 5, Stiftung Archive
der Akademie der Künste, Wolke Verlag, Hofheim 2000, 230 Seiten
Pointiert, mit Humor und Respektosigkeit bringt er, was zu sagen
ist, auf den Punkt. Von Pierre Boulez verlangt er, statt Opernhäuser
zu sprengen, eine Oper zu schreiben. Bei Schostakowitsch und Henze
kritisiert er formale Mängel und politische Feigheit. An seinen
Schülern Schenker und Goldmann lobt er Talente und Mut. Als
Tagebuchschreiber nimmt Paul Dessau kein Blatt vor den Mund. Eitle
Beckmesserei liegt ihm ganz fern. Spröde und harsch wie manch
eigenes Werk bezieht er stets Position. Was ihm notierenswert scheint,
ist auf Musik und Gesellschaft bezogen, die für ihn zusammengehören.
Musik und Theaterpolitik in seinem Land DDR sind ein
Hauptärgernis. Wiederholt attestiert der Komponist hier Mittelmaß
und Kleinbürgergeist. Konkrete Funktionäre verzögern
und behindern hier die ästhetische Bildung, den kompositorischen
Nachwuchs, auch die Entstehung und Aufführung manch eigenen
Werkes.
Parallel verfolgt Dessau die Entwicklung der internationalen Neuen
Musikszene. Nono, Boulez und Stockhausen erscheinen ihm Ende der
50er-Jahre als hoffnungsvoll, der ersehnte Beginn eines wissenschaftlichen
Zeitalters in der Musik. Kompositionstechnischer Fortschritt
allein ist für ihn aber ohne Belang, er fordert für sich
und andere auch eine Haltung ein, das politische Verhalten
des Künstlers.
Die vier kleinen Notizhefte, die nur sporadisch und ohne selbstdarstellerischen
Anspruch geführt worden sind und sich dabei zeitlich zum Teil
überlagern, spiegeln auch Dessaus Sicht auf die eigene Entwicklung.
Daniela Reinhold, die das Paul-Dessau-Archiv in der Berliner Akademie
der Künste betreut, hat mit Herausgabe und Kommentar dieser
Texte eine bisher offene biografische Lücke gefüllt. Denn
zwischen den widerborstigen Werken, den Anekdoten und den geglätteten
Publikationen aus DDR-Zeit fehlte Paul Dessau bislang als konkrete
Person. Im Telegrammstil teilt diese hier mit, wie widerspruchsvoll
sich das eigene Schaffen vollzieht. Komponieren ist für den
1894 geborenen Hamburger Kantorensohn ein Unterfangen, das verschiedenen
Kriterien standhalten muss. Als Maßstab für Modernität
fungiert Arnold Schönberg, der Lehrer im Geiste die
Dialektik von Botschaft und Form prägt in erster Instanz Bertold
Brecht.
Blättert man im Verzeichnis der Autographe des Dessau-Archivs,
so stellt sich heraus, dass der Schöpfer diverser erfolgreicher
Opern, Film- und Theatermusik rein quantitativ vor allem ein Lied-Schreiber
ist. Die Kleinform ermöglicht ihm den aktuellen Bezug und stellt
sich, was die Realisierung betrifft, noch am einfachsten dar. Denn
Aufführungsmöglichkeiten sind für Paul Dessau zeitlebens,
selbst im hohen Alter, sehr rar. Davon sprechen auch die Briefe
an seinen Lehrer und Freund René Leibowitz in Paris, bei
dem Dessau in den 30er-Jahren, auf seiner ersten Etappe des Exils,
Schönbergs dodekaphonische Technik erlernt. Herausgeberin Daniela
Reinhold hat knapp ein Drittel der 157 erhaltenen Schreiben zusammengestellt.
Dessaus Briefe nach Paris sind vom eher privaten Gestus geprägt.
Politische Ereignisse sparen sie aus.