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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 17
50. Jahrgang | Februar
Rezensionen
Begegnung anderer Art
Neue Audio-DVDs 2+2+2 bei MDG
Vor kurzem war hier zu lesen (Ausgabe
6/00 S. 20), dass der DVD die Video-Zukunft gehöre. Wie
wahr und unwahr zugleich diese Feststellung ist, kann man im Tonstudio
des Tonmeisters Werner Dabringhaus in Detmold, der zusammen mit
Reimund Grimm Inhaber des bekannten Klassik-Labels MDG ist, erleben.
Unbestreitbar wird die DVD die CD bald ablösen: Sie bietet
dem heutigen Konsumenten unvorstellbar viel mehr an digitaler Aufzeichnungstechnik
und erlaubt Aufnahmen, die sich vor kurzem noch niemand vorstellen
konnte. Jeder Interessierte weiß inzwischen, dass er auf DVD-Video
ganze Spielfilme, sogar mit Surround-Sound bekommen kann; derzeit
gibt es allein bei uns in Deutschland schon eine Million solcher
Heimkino-Anlagen.
Der Liebhaber klassischer Musik dagegen ist meist verwirrt, weil
die großen Gerätefirmen ihn mit Zahlen und technischen
Detailerläuterungen überfallen, die nur schwer verständlich
sind. Dabei muss er das alles auch gar nicht wissen. Anders als
passionierte Freaks hat der vor allem an der Musik interessierte
Klassikfreund ja immer schon die Technik dem Fachhändler überlassen
und sich auf seine Ohren, seinen eigenen Geschmack, also auf seinen
persönlichen Höreindruck konzentriert, den ihm die Technik
vermittelte. Er sollte es auch jetzt so halten.
Natürlich ist es hilfreich, wenn er weiß, wie die neue
Digital-Technik seinen Hörgenuss verbessern kann; deshalb dazu
ein paar Bemerkungen: Die DVD wurde zunächst für die Wiedergabe
von Filmen entwickelt und bis jetzt auch hauptsächlich genutzt,
weil sie etwa die siebenfache Datenmenge speichern kann als die
herkömmliche CD, mit besonderen Tricks sogar noch viel mehr.
Nachdem Cinemaxx-Kinos den Besucher mit bisher unbekannten Klangballungen
überfallen, will und soll der Filmfreund das auch zu Hause
so erleben die DVD-Video schafft ihm zum Filmbild in seinem
Wohnzimmer dieses Klangerlebnis mit einem neuen sechskanaligen Musikformat
5.1: Zu den bekannten beiden Stereolautsprechern vorn
rechts und links gesellen sich gleichartige hinten rechts und links,
dann vorn noch ein Mittenlautsprecher für die Sprachwiedergabe
(die Schauspielerstimmen kommen nämlich immer aus der Leinwandmitte)
und irgendwo im Raum ein Tiefbasseffekt-Lautsprecher für besonders
laute Geräusche wie Detonationen explodierender Autos oder
Ähnliches. Das alles braucht fünf Kanäle und einen
weiteren für den Tieftöner, daher 5.1. Man
muss aber wissen, dass die hochwertige Filmaufzeichnung soviel an
DVD-Speicherplatz aufbraucht, dass für hochwertigen Klang nicht
mehr viel übrig bleibt. Doch fällt das dem Filmbetrachter
kaum auf, weil das Auge dem Ohr immer voraus sein will, wo doch
das Ohr allein viel genauer ortet und dreidimensional zu hören
vermag.
... und ich bekam eine Gänsehaut
nach der
anderen ...
In der klassischen Musik explodieren noch keine Raumschiffe oder
Granaten, sie braucht also den dazu bestimmten Tiefbasseffekt-Kanal
nicht. Man sitzt auch nicht vor einer Riesenleinwand, die für
Sprachübertragung einen Mittenlautsprecher nötig macht.
Verzichtet man also auf die Filmaufzeichnung mit ihrem datenreduzierten
Musikbeiwerk und nutzt alle Möglichkeiten des neuen
Formats ausschließlich für die Musik, erreicht man im
Format 5.1 über hochwertige Quadrophonie hinaus
mit sechs Lautsprechern hochwertigsten Stereoklang, der unterstützt
wird von neuen technischen Möglichkeiten. Die Techniker sprechen
dann statt von bisher 16-bit/44,1kHz von neuen Möglichkeiten
mit 24-bit/96 kHz oder gar 192 kHz und diese Zahlen imponieren zu
Recht, denn es handelt sich wirklich um einen überwältigenden
Quantensprung des Musikhörens. Für den Hörer
spielt sich aber auch dann noch das ganze Klanggeschehen in einer
kreisrunden Ebene ab, idealerweise in Ohrhöhe, wenn die sechs
Lautsprecher richtig aufgestellt sind. Werner Dabringhaus ging noch
einen Schritt weiter. Er bedient sich zwar auch der neuen DVD-Audio-Technik
mit ihren sechs Übertragungskanälen, aber er nutzt sie
anders: Da sind zunächst wieder die vier Eckenlautsprecher.
Über den vorderen beiden rechts und links stehen aber außerdem
noch leicht nach außen gedreht Lautsprecher
Nr. 5 und 6 in einem Abstand, der etwa der Hälfte der vorderen
Stereobreite entspricht. Diese beiden Kanäle erweitern nun
das bisher flache Rundum-Stereobild um eine dritte Dimension
nach oben. Das hörte ich in Detmold und ich bekam eine Gänsehaut
nach der anderen...
Ich saß also auf dem schon immer idealen Stereoplatz
in der Ecke des von den Lautsprechern und mir gebildeten gleichschenkligen
Dreiecks. Über ein eigens dafür konstruiertes Mischpult
erklang dann nacheinander folgendes: erst Mono aus der Mitte; dann
eine alte Stereo-Pingpong-Aufnahme mit übertriebenen
Seiteneffekten; dann eine moderne Stereo-Aufnahme mit Raumanteil
auch in die Tiefe; dann eine neue Abmischung im Format 5.1
aus den sechs Lautsprechern, die noch mehr Raumgefühl vermittelte;
dann kam das Neue wie eine Offenbarung: MDGs 2+2+2- Raumklang
dreidimensional!, demonstriert mit einer Chorszene
aus einem Händel-Oratorium das Orchester erkennbar in
seiner genauen Anordnung auf dem Podium, dahinter auf einem Podest
deutlich erhöht der Chor, weiter dahinter wieder deutlich höher
im völlig natürlichen Entfernungsempfinden die Orgel:
der Kirchenraum war fast mit Händen zu fassen. Schließlich
gab es in der französischen Kathedrale von Rouen aufgenommen
Widors berühmte Orgeltoccata, beginnend im Fortissimo
des vollen Werks im klanggefüllten ganzen Kirchenraum, dann
diminuierend über ein Pianissimo, das sich hoch oben und nach
hinten in das unter der Deckenwölbung liegende Récit-Orgelwerk
zurückzog, um dann wieder im Crescendo mit vollem Werk in den
ganzen Raum zurückzukehren, bis ich das Gefühl hatte,
dass im fff-Schlussakkord sogar der Boden zu vibrieren begann. Etwas
Vergleichbares habe ich aus Lautsprechern in einem ganz normal großen
Raum noch nie gehört!
Zweierlei blieb aus diesem Erlebnis im Gedächtnis haften.
Zum einen gibt es mit der neuen dreidimensionalen Wiedergabetechnik
keinen festen Stereo-Einzelplatz mehr wie bisher: Geht
man durchs Zimmer, so bleibt der Raumklang an jedem neuen Ort erhalten,
wenn auch wie in der Wirklichkeit das Ohr weiter links
dem Orchester näher ist als vorher; und das geschieht auch
bei einem Gang nach rechts, wenn man die Kontrabässe rechts
auf dem Podium vor sich brummen hört. Das ist über die
Erfahrung des echten Klangbilds hinaus ein unschätzbarer
Gewinn für mehrere Musikgenießer im heimischen Konzertsaal
bisher hatte ja immer nur eine Person den optimalen Stereo-Hörplatz.
Zum zweiten beeindruckte nicht nur die eigentlich simple Idee
der Anordnung von sechs Lautsprechern aus jenen Kanälen, die
jede DVD zur Verfügung stellt, sondern auch die sicher nicht
unwichtige Tatsache, dass nur die vorderen beiden Stereolautsprecher
hochwertige Erzeugnisse waren, während die anderen vier als
Surround-Ausstattung heute in jedem Supermarkt preiswert zu erstehen
sind.
Der Musikfreund fragt natürlich sofort, ob das alles zukunftsfähig
ist und sich durchsetzen wird. Die Antwort ist einfach: Es liegt
an ihm; denn es gibt bereits die ersten MDG-DVD-Audio-Aufnahmen
in diesem Format 2+2+2, in denen Tonmeister Werner Dabringhaus
die sechs Tonspuren schon in der von ihm erfundenen
dreidimensionalen Anordnung so aufbereitet hat, dass jeder hochwertige
DVD-Audio-Player in Verbindung mit einem Sechs-Kanal-Verstärker
diese Raummusik erklingen lassen kann. Die Aufnahmen
sind vor kurzem schon auf normalen CDs erschienen: Auf
MDG 901 0960-5 (normal: 301 0960-2) gibt es in einer
zweiten Cartellieri-Folge Klarinetten- und Flötenkonzerte dieses
Wiener Beethoven-Freunds wieder mit Dieter Klöcker und seinen
Mitstreitern die erste Folge auf MDG 301 0527-2 enthielt
mehrere Klarinettenkonzerte und auf MDG 940 0967-5 (normal:
340 0967-2) dirigiert und spielt Christian Zacharias von Mozart
das Klavierkonzert KV 503, die Prager Sinfonie KV 504
und das Rezitativ mit Rondo für Sopran und obligates Klavier
mit Orchester KV 505 Chio mi scordi ti te Non
temer, amato bene. Beide Aufnahmen gehören interpretatorisch
und aufnahmetechnisch zu den hinreißenden Spitzenproduktionen
des Hauses MDG mit Künstlern, die ihm seit Jahren verbunden
sind und mit früheren Aufnahmen höchstes Lob und auch
internationale Preise erhielten!
Dabringhaus stellte sein 2+2+2-DVD-Format im Januar
2001 auf der MIDEM in Cannes vor. Es bleibt nur noch, dass möglichst
viele Musikfreunde ihre Fachhändler darum bitten, ihnen die
technischen Voraussetzungen für diese dreidimensionale 2+2+2-
Wiedergabe zu schaffen und damit ein neues überwältigendes
Klangerlebnis anzubieten: Es wird überzeugen und den Wohnraum
zum wirklichen Konzertsaal, zum echten Kirchenraum machen; der Klassikfreund
wird schnell erkennen, wie preiswert ihm heute zu Hause ein Kunstgenuss
verschafft werden kann, den auch Betuchte sich für sehr viel
Geld bisher nicht verschaffen konnten.