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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 20
50. Jahrgang | Februar
Rezensionen
An allem sind die Juden schuld
CD-und DVD-Edition Totentanz Kabarett im KZ
Verehrt, verfolgt, vergessen, das war das Schicksal
all jener Bühnen- und Filmkünstler gewesen, die keinen
Arier-Nachweis erbringen konnten. Und unter diesem Titel
erinnerte 1992 Ulrich Liebe auch in seiner labour of love
an diese Schauspieler als Naziopfer, zu einer Zeit also,
als dieses Thema durchaus nicht en vogue war. Liebe hat damit Pionierarbeit
geleistet, und vielleicht so etwas wie Wiedergutmachung
versucht. Die freilich, die sich schon ein Leben lang mit Kabarettgeschichte
beschäftigt haben, wussten von diesen jüdischen Schicksalen,
die so oft im KZ endeten. Der Tod, er klang (mit diesem Wissen)
immer mit in den Couplets und Schlagern von Willy Rosen oder Kurt
Gerron. Daran hatte Volker Kühn bereits 1990 in seiner TV-Dokumentation
Totentanz Kabarett hinter Stacheldraht erinnert,
die nun hier endlich als DVD vorliegt.
An allem sind die Juden schuld, hatte Friedrich Hollaender
bereits vor 1933 gedichtet. Ein Stimmungsbild aus den frühen
Dreißigern, das merkwürdigerweise heute brutalstmöglich
wieder aktuell geworden ist. Bis vor kurzem konnte man nur vermuten,
dass davon eine zeitgenössische Aufnahme existiert. 1999 schließlich
wurde die Vermutung Gewissheit: Annemarie Hase hatte das Lied für
die Elect-rola aufgenommen. Freilich blieb die Aufnahme unveröffentlicht.
Wolfgang M. Schwiedrzik hatte die Testpressung entdeckt, und sie
in seiner Edition Mnemosyne auf einer wunderbaren Annemarie
Hase-CD (Das Zersägen einer lebenden Dame) erstveröffentlicht.
Und damit einen wichtigen Beitrag geliefert zur Aufarbeitung der
deutschen Kabarettgeschichte.
Erschienen ist die Hase-CD, wie auch eine Fritz-Kortner-Produktion
(König Lear), in Schwiedrziks Reihe Vertriebene
deutsch/jüdische Schauspieler. Totentanz
Kabarett im KZ heißt nun sein neuestes CD/DVD-Projekt,
das er zusammen mit dem Kabarettforscher Volker Kühn realisiert
hat. Unter dem Titel Die Welt ist eng geworden hat Kühn
als Ergänzung zu seiner TV-Dokumentation (auf DVD) eine gespenstische
CD mit Chansons, Conferencen, Texten und Liedern vergessener oder
vergaster Künstler zusammengestellt: Fritz Grünbaum, Willy
Rosen, Paul Morgan, Kurt Gerron, Franz Engel, Otto Walburg, Max
Ehrlich und Joseph Schmidt. Das Lachen bleibt einem bei diesen Nummern
im Hals stecken, und man denkt an einen Film über Kurt
Gerrons Karussell zurück.
Arbeit und Leben waren bei Kurt Gerron bis zuletzt eins gewesen,
auch noch im Durchgangslager Westerbork, in seinem Karussell.
Wenigstens für Augenblicke vermittelten dort Max Ehrlich, Willy
Rosen und Kurt Gerron den Lagerinsassen die Illusion, in den Kabaretts
der Friedrichstraße oder des Kudamms zu sitzen, um anschließend
gemütlich nach Hause zu schlendern. Eine Illusion für
die Opfer. Und ein Albtraum für die Überlebenden. Und
den träumst du immer und immer wieder, sagt Jetty Cantor,
Und das Schlimmste daran ist: Du wachst auf, schweißgebadet,
und weißt: das ist gar kein Traum. Nein, genau so war es.