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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 26
50. Jahrgang | Februar
Verband
deutscher Musikschulen
Musikschule: Pop Schulmusik: Ko-op
Das VdM-Herbstsymposion zeigte gute Perspektiven auf
Das Herbstsymposion des VdM hat eine lange Tradition: Immer in
den kongressfreien Jahren findet es statt, und immer
in der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung Trossingen.
Und immer schon war es die Tradition des Nach-vorne-Schauens, die
hier geübt wurde und wird. Zwei Tage nehmen sich Bundesvorstand
und Erweiterter Bundesvorstand Zeit, über aktuell anstehende
Themen zu beraten, freie Assoziationen zu spinnen und daraus konzeptionelle
Perspektiven abzuleiten, wie die inhaltlich-fachliche Arbeit des
VdM als Wegbereiter für die Musikschulpraxis weiter zu entwickeln
sein könnte. Und immer versichert man sich der Teilnahme externer
Gäste, von deren Vorträgen und von deren Mitdiskutieren
stets neue Impulse aufgenommen werden.
Im November 2000 hatte man sich gleich zwei Themen vorgenommen:
die Förderung der Popmusik an den Musikschulen als eine seit
längerer Zeit für die Unterrichtsarbeit immer dringlicher
werdende Aufgabe sowie die Kooperation mit der Schulmusik als eine
bildungspolitisch und strategisch gleichermaßen wichtige wie
überreife Initiative. Freilich: Ganz neu sind beide Themen
nicht. Die Öffnung der Musikschulen für populäre
Musikstile wird nun seit über zehn Jahren vom VdM propagiert
und inzwischen auch von Hunderten von Musikschulen praktisch vollzogen.
Instrumente wie das Saxophon, das Schlagzeug, Gitarre und E-Gitarre
sowie das Keyboard haben sich in den Schülerstatistiken allerorten
einen nennenswerten Rang verschafft, und an zahlreichen Musikschulen
im Osten hat die Unterhaltungsmusik eine eigene Tradition. Und mit
dem Verband Deutscher Schulmusiker (VDS) wurde bereits 1979 eine
gemeinsame Erklärung herausgegeben, in der sowohl eine bildungspolitische
Position formuliert als auch zahlreiche Anregungen für eine
praktische Zusammenarbeit von Schulmusikern und Musikschulen gegeben
wurden.
Pop macht Schule
Der VdM-Vorsitzende Dr. Gerd Eicker erinnerte an die Anfänge
popmusikalischer Angebote an den Musikschulen, als etwa 1986 lediglich
2,8 Prozent des Unterrichtsangebotes für diese Musikrichtungen
ausgewiesen waren. Mit der seither stark gewachsenen Nachfrage und
Bereitschaft der Musikschulen ergibt sich für den VdM die Aufgabe,
zur Intensivierung und fachlichen Professionalisierung Arbeitshilfen
und ein praxisorientiertes Lehrgangsangebot zu entwickeln. Letztlich
gehöre ein Angebot für breitere jugendliche Zielgruppen
auch zum Bildungsauftrag der Musikschule. Denn, so der stellvertretende
VdM-Vorsitzende Klaus-Jürgen Weber, der die Moderation dieser
Thematik innehatte: Popmusik ist längst fester Bestandteil
der allgemeinen Lebenskultur. Für Praxisorientierung des Symposions
hatte er mit der Einladung hochkarätiger Pop-Experten gesorgt.
Über den Aufbau einer Popschule der Folkwang Musikschule
der Stadt Essen berichtete deren Abteilungsleiter Herbert Schiffer.
Nach einem Modell aus Rotterdam macht man dort seit fast zwei Jahren
ein kombiniertes Angebot aus Band-, Instrumental- und Theorieunterricht,
das den Jugendlichen ein handlungs- und erlebnisorientiertes Musizieren
vermittelt. Denn die Bandarbeit, das gemeinsame Musikmachen mit
dem Ziel eines Bühnenauftritts im Stile der Profis, steht im
Zentrum, motiviert für mühevolles Üben und für
den instrumentalen Einzelunterricht. Der findet alle zwei Wochen
und stets im Wechsel mit der Popanalyse statt, wo im Sinne eines
Ergänzungsfachs Harmonielehre, Gehörbildung und auch Popgeschichte
auf dem Stundenplan stehen. Hier sollen die zeitgleich geprobten
Songs einbezogen werden. Der Kursus, dessen Ziel das möglichst
selbstständige Bandmusizieren der Jugendlichen ist, dauert
drei Jahre, danach ist eine lose Betreuung in Form von Bandcoaching
angesagt. Ein solches Konzept, da waren sich alle einig, entspricht
der Grundidee von Musikschularbeit und kann zur Profilierung der
Musikschule in der öffentlichen Wahrnehmung beitragen. Wie
solche Vision Wirklichkeit wird, demonstrierte eindrucksvoll ein
Video, das der Initiator der Rotterdamer Popschule Gerard Boontjes,
jetzt Leiter der Rockakademie Tilburg/NL, mitgebracht hatte. Er
verwies auf eine grundlegend andere pädagogische Schlüsselidee
für diesen Bereich: nicht den herkömmlichen Lehrer zu
verkörpern, sondern sich in die Rolle eines critical
friend zu begeben.
Pop und Pädagogik
Als Kardinalfrage schälte sich heraus: Wie kommen Musikschulen
an jene Lehrkräfte, die authentisch Pop und Rock
vermitteln und auch noch ganz andere Pädagogen sind? Zu dieser
Frage referierte Udo Dahmen, Professor an der Musikhochschule Hamburg
und Präsident des Deutschen Schlagzeugverbandes. Erfahrungen
in dem seit 1983 existierenden Hamburger Kontaktstudiengang zeigten,
dass die hier vermittelte eigene Qualifizierung für eine sich
in der Praxis oft aufdrängende pädagogische Betätigung
kaum ausreicht. Andererseits ist es für die traditionelle
Lehrkraft, deren musikalische Biografie auch von völlig anderen
Orientierungen geprägt ist, fast aussichtslos, eine Popmusiker-Qualifizierung
zu erwerben, da Popmusik erst von der quasi nicht pädagogisierbaren
Authentizität der jugendkulturellen Szene lebt.
Siggi Busch, Professor an der Hochschule der Künste Berlin,
trug Beobachtungen aus dem Blickwinkel der Jazz-Ausbildung bei.
Während die professionelle Jazzszene kaum die ausgebildeten
Absolventen aufnehmen kann, boome der Markt der Unterrichtsmaterialien
immer mehr. Bedarf an pädagogisch orientierten Jazzern ist
also vorhanden, und neben einer breiteren Umschau ihrer Dozenten
wären die Hochschulen gut beraten, wenn sie begleitende Fort-
und Weiterbildungsangebote machen könnten.
In mehreren Arbeitsgruppen näherte man sich der Thematik aus
ihren verschiedenen Perspektiven. Hinsichtlich der Weiterbildungsfrage
und einem möglichen Angebot des VdM in diesem Bereich wurde
deutlich, dass man hierbei grundsätzlich zwei verschiedene
Zielsetzungen zu beobachten habe: Zum einen die popmusikalische
Weiterbildung von Musikschullehrkräften, um eine weitergehende
Offenheit der Musikschule für das Schüleranliegen nach
Einbeziehung von Popmusik zu erzielen, zum andern aber die pädagogische
Qualifizierung von Popmusikern zum Aufbau einer Pop-Abteilung an
der Musikschule. Hier will der VdM verstärkt aktiv werden und
gemeinsam mit Experten Arbeitshilfen entwickeln, Beispiele darstellen,
um Anstöße zu geben, um der Popmusik zu einer größeren
fachlichen Anerkennung in den Musikschulen zu verhelfen.
Vereinte Musikpädagogik
Des Symposions zweiter Teil fokussierte auf die Zusammenarbeit
von Musikschule und allgemein bildender Schule und war vor allem
von einem geradezu modellhaften Einvernehmen zwischen Musikschulvertretern
und Schulmusikrepräsentanten geprägt. Der Vorsitzende
des VDS Prof. Dr. Hans Bäßler plädierte gleich in
seinem Eingangsstatement dafür, das vielerorts bedauerlicherweise
noch anzutreffende Misstrauen zwischen den Pädagogen der beiden
Einrichtungen angesichts der bedrohlichen Lage der musikalischen
Bildung beiseite zu lassen, um sich konstruktiv zu helfen und zu
ergänzen. Im Sinne einer Bestandsaufnahme und Fortschreibung
nahm man sich zunächst das 1979 verabschiedete Papier vor,
um es auf seine Aktualität zu prüfen. Und siehe da: Unter
mancherlei inzwischen veränderten Vorzeichen schienen seine
Grundaussagen noch durchaus von Geltung geblieben zu sein. Und so
fand man sich nicht allein schon früh auf gemeinsamem Terrain
wieder, sondern nahm sich vor, zu einer zügigen Aktualisierung
jener Vereinbarung zu kommen.
Dass man sich nun in den diversen Arbeitsgruppen also erfreulicherweise
auf derselben Augenhöhe bewegte, beflügelte deren Ertrag.
Zu den Visionen im Fortbildungsbereich gehörte zum Beispiel
ein Konzeptvorschlag des VDS-Vorsitzenden Prof. Dr. Bäßler
zur Nachqualifizierung von Musikschullehrkräften für den
Unterricht in der Sekundarstufe I und II, und zwar angesichts der
Tatsache, dass vor dem Hintergrund sinkender Studentenzahlen ein
eklatanter Mangel an Schulmusikern zu erwarten steht. Auch der gegenseitigen
politisch-argumentativen Unterstützung konnte man sich in Form
eines vom VdM-Vorsitzenden Dr. Gerd Eicker angeregten Leitfadens
versichern, der denkbare Maßnahmen auf kommunaler, Länder-
und Bundesebene zusammenfasst. Schließlich formulierte man
den gemeinsamen Arbeitsauftrag, funktionierende Beispiele der Kooperation
zusammenzutragen und sie in Form von modellhaften Anregungen auf
verschiedene Weise zu veröffentlichen.
Strategische Kooperation
Über das Hamburger Modell einer institutionellen Zusammenarbeit
im Rahmen der verlässlichen Halbtagsgrundschule berichtete
Wolfhagen Sobirey, Vorsitzender des VdM-Landesverbandes Hamburg.
Für ihn bedeutet die inzwischen ausgebaute Präsenz von
Musikschulangeboten im Stundenplan der Hamburger Grundschulen auch
eine Verbreiterung der gesellschaftlichen Plattform der Musikschule,
die ihrem Auftrag auf Breitenbildung durchaus entspricht. Aber auch
hier benötige man speziell ausgerichtete Lehrkräfte, die
mit der durchaus anderen Situation zum Beispiel im Klassenunterricht,
aber auch mit anders gelagerten Erwartungshaltungen der Schüler
vertraut sind. Das integrale Modell bringe einen Nutzen nach allen
Richtungen: können die Grundschulen die Attraktivität
ihres Angebotsunterrichts erhöhen, so vermerken die Musikschulen
in solchen Fällen auch eine verstärkte Nachfrage, von
der, da sie nicht voll erfüllt werden kann, auch die Privatmusiklehrer
profitieren.
Als Bilanz dieser Begegnung darf festgehalten werden, dass beide
musikpädagogischen Lager an einer gemeinsamen Zukunftsoffensive
für die musikalische Bildung in Deutschland arbeiten wollen,
die sich letztlich auch als konstruktiver und zugleich konkreter
Beitrag zu der vom Deutschen Musikrat ausgerufenen Aktion Hauptsache:
Musik versteht. Man vereinbarte eine entsprechende Arbeitsgruppe,
deren Auftrag auf Ausarbeitung einer Strategie lautet, welche mittel-
und längerfristig positiv wirksam werden soll.