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nmz-archiv
nmz 2000/10 | Seite 3
50. Jahrgang | Februar
Zukunftswerkstatt
Musik
Bilder auf das Hören hin durchsichtig machen
Ein Interview mit dem Musikfilme-Macher Uli Aumüller ·
Von Reinhard Schulz
Die Zukunftswerkstatt, die wir auf dieser Seite als
neue Rubrik zum Fünf-Jahrzehnte-Jubiläum der neuen musikzeitung
eröffnen, behandelt ein Thema, das für die Arbeit junger
Künstler immer wichtiger wird: Wie lassen sich Musik und Bild,
als Film, als Video, als Einblendung stehender Bilder, als fotografierte
Performance oder Installation, miteinander verbinden, ohne dass
eine der üblichen Verdoppelungen entsteht? Können Musik
und Bild so geführt werden, dass beide ihre ästhetische
Autonomie bewahren und doch gleichzeitig miteinander produktiv kommunizieren?
Gleichsam als eine Sonate mit zwei Hauptthemen, die
sich gegenseitig steigern, kontrapunktieren, durchdringen? Bei den
letzten Donaueschinger Musiktagen gab es dazu einen interessanten
Beitrag von der Komponistin Olga Neuwirth und dem Filmer Michael
Kreihsl: The Long Rain (nmz 12, 2000), in dem das Problem
der ästhetischen Autonomie beider Ausdrucksmittel bei gleicher
Zielsetzung der Aussage überzeugend gelungen schien. Auf der
bezeichneten Linie bewegen sich auch die Musikfilme, die Uli Aumüller,
anfangs zusammen mit Hanne Kaisik, erstellt, die durch ihre innige
Annäherung an das Sujet bestechen. Es entstanden Filme über
Conlon Nancarrow, über afrikanische Musik, über György
Ligeti, Helmut Lachenmann, den Akkordeonspieler Teodoro Anzelotti
oder, eben jetzt, über die Musique Concréte von Francis
Dhomont und Paul Lansky. (Die Filme über Nancarrow, Ligeti
und Lachenmann sind in einer Video-Box erhältlich. Sie sind
bei der Galerie Katrin Rabus, new music edition, Plantage 13, 28215
Bremen, Fax 0421/37 19 63, zu bekommen). Reinhard Schulz hat sich
mit Uli Aumüller über ästhetische Kriterien des Musikporträts
und des Verfilmens von Musik unterhalten.
nmz: Du bist ja so etwas wie ein Quereinsteiger in Sachen
Musikjournalismus. Und ich glaube, dass gerade dieser unkonventionelle
Zugang die Art deines Filme-Machens beeinflusste!?
Ansicht ohne Musik: Aumüller
vor dem Auslaufen in das geheimnisvolle Land, wo Ton und Bild
sich vermählen. Foto: nmz
Uli Aumüller: Ich habe Germanistik und Biologie studiert,
und als ich mit dem Studium fertig war, bot ich diversen Journalen
Sachen in dieser Richtung an. Zugleich war ich in einer Theatergruppe
tätig und habe beim avantgardistischen Münchner Improvisations-Ensemble
Phren mitgespielt. Deshalb machte ich dem Rundfunk
den Vorschlag, einmal den Leiter des Ensembles Michael Kopfermann
zu porträtieren. Das war das einzige, was damals angenommen
wurde. Vermutlich war man zufrieden damit, denn ich wurde gefragt,
was ich als nächstes machen wolle. Und da nannte ich den
einzigen Namen, der mir in Sachen Neuer Musik über die Gespräche
mit Kopfermann geläufig war: Helmut Lachenmann. Ich hatte
aber bis dahin noch keine Note von Lachenmann gehört.
nmz: Gewissermaßen eine umgekehrte Tabula-rasa-Situation?
Uli Aumüller: Richtig. Denn auch zum Sendetermin
hatte ich wegen unvermuteter anderer Tätigkeiten keine Zeit,
irgend etwas von Lachenmann zu hören. So rief ich in meiner
Not Lachenmann an und sagte ihm, dass ich eine Sendung über
ihn machen solle, dass ich aber überhaupt nichts von ihm
kenne.
nmz: Ich kann mir vorstellen, dass diese Aufrichtigkeit
Lachenmann nicht unsympathisch war.
Aumüller: So war es. Lachenmann sagte, dass er so
viele Interviews Leuten gegeben habe, die alles zu kennen vorgaben
und bei denen er dann merkte, dass sie aus der Musik nur hörten,
was sie zu hören gewillt waren. So kam ich zu ihm, und er
musste mir alles, was er musikalisch macht, ganz einfach und mit
vielen Beispielen erklären. Sobald er theoretisch
wurde, habe ich nicht viel verstanden. Diese Voraussetzungslosigkeit
erwies sich nachher als besondere Qualität der Sendung. Denn
plötzlich wurde nicht abgehoben erörtert. Statt dessen
kamen Triebkräfte, Verständnis von Schönheit, Klarheit
über das Verhältnis von Wollen und Müssen zu Tage.
nmz: Solche Formen neugieriger Annäherung nehme ich
auch bei deinen Filmen wahr. Sie rücken die Blickwinkel der
porträtierten Komponisten, ihre Eigenarten, die Besonderheiten
ihres Werks in den Mittelpunkt und formen daraus eine jeweils ganz
anders strukturierte Verbildlichung: eine, die dem Gegenstand ganz
offensichtlich gemäß ist. Ich denke an die unterschiedlich
schnellen Autos in Mexiko-City im Nancarrow-Film, an die extremen
Schnitt-Tempi-Wechsel bei Ligeti, an perspektivische Nähe und
Entfernung bei Lachenmann.
Aumüller: Ich versuche in meinen Filmen nicht Ich
zu sagen. Sie sind gewissermaßen Kompositionen über
Kompositionen. Dazu gehört für mich eine dem Film gemäße
erzählerische Komponente. Musik aber ist ein geistiges und
ein sinnliches Phänomen und sperrt sich zunächst diesem
erzählerischen Duktus. Daran aber arbeite ich. Ich versuche
etwas zu erzählen. Zum Beispiel bei Nancarrow: Da ist seine
Vita, sein Mitwirken beim spanischen Bürgerkrieg, seine Schwierigkeiten
danach als Kommunist in den USA, die ihm keine Chance gaben. Da
ist das Exil in Mexiko, der Irrsinn dieser verrückten Stadt,
ihr Lärm, ihr Gewusel. Und dann entsteht daraus solche Musik.
Nancarrow baute sich innerhalb dieser Hektik einen Ort der Stille.
Und dort fertigte er Musik an, die wiederum diese Unruhe, diese
ständige Überlagerung von Tempi reproduzierte. Der Film
richtet sich auch an Menschen, die sich für Musik nicht primär
interessieren. Aber dann wird über einen Menschen erzählt,
über seine Lebensumstände, über seine Kontakte
zur Welt. Von da aus wird sein musikalisches Tun erfahrbar und
begreifbar. Die Bilder, die Tempi der Schnitte, das Licht, die
Perspektivwechsel und so weiter verdeutlichen, warum dieser Mensch
solche Musik schrieb.
nmz: Du schaust also die Musik an, lässt sie dir auch
vom Komponisten selbst analysieren, und dann versuchst du im Film
die Beweggründe für diese Art des Musik-Machens sinnlich
zu veranschaulichen oder zu untermauern? Und dadurch gerät
auch jede formale Anlage der Filme ganz anders, da immer auf das
Spezifische der Musik beziehungsweise des Komponisten bildlich eingegangen
wird.
Aumüller: Beim Ligeti-Film etwa geht es ausschließlich
um sein Klavierkonzert: Weil es in jedem Satz ein anderes kompositorisches
Lieblingsthema von Ligeti abbildet. Die ganze Entwicklung
des Komponisten Ligeti spiegelt sich für mich in diesem Konzert.
So ließen wir uns das ganze Werk bis in kleinste Details
von ihm selbst analysieren und erklären. Aus diesem Fundus
von Beschreibungen und Assoziationen wurde dann eine filmische
Strategie der Schnitte und der Einstellungen entwickelt.
Es entstand eine Kontrapunktik von heftigen Schnitten und ganz
langsamen Passagen. Und beim Lachenmann-Film versuchte ich entsprechend
seiner Klangästhetik mit differenzierten Geräuschskalen
eine Skala der Kameraführungen entgegen zu stellen: von einer
winzigen, extrem subjektiven Kamera, die am Arm des Interpreten,
am Kopf des Dirigenten angebracht ist, bis hin zur großen
Stativkamera.
nmz: Auf diese Weise gelingt es wohl, den öden Eindruck
vieler Konzertverfilmungen produktiv zu durchbrechen?
Aumüller: Ich habe das in mehreren Ausführungen
so formuliert: Die Bilder auf das Hören hin durchsichtig
zu machen. Denn der Musiker im Bild ist ganz einfach ein Problem.
Gesichter, die schön sind, die eine eigene Geschichte erzählen,
die angespannte Konzentration vermitteln, bleiben für mein
Verständnis allenfalls zwei Minuten interessant. Danach erzählen
die Bilder nichts mehr und die Aufmerksamkeit lässt nach.
Wenn man nun allein der Musik zuhören würde, dann hätte
sich zwar der Film erübrigt, doch hätte dies zumindest
eine gewisse Berechtigung. Doch so funktioniert der Zuschauer
nicht. Es ist nämlich so, dass der Augensinn den Ohrensinn
überdeckt. Also schaut man weiter zu, erfährt visuell
nichts Neues und überhört zugleich die Musik. So arbeite
ich ständig daran, die Bilder so zu gestalten, so zu schneiden,
dass der Hörsinn immer wieder wachgerüttelt wird.
nmz: Und welche Mittel wendest du dafür an?
Aumüller: Es geht um eine Multiperspektivität,
die sich der Musik immer wieder von anderen Seiten annähert.
Ich kann durch Schnitte das Auge irritieren, ich kann durch Einstellungen
die Konzentration des Hörens herausfordern, ich kann die
Musik in ihrer Dynamik, in ihrer Emotionalität oder in ihrem
energetischen Verlauf unterstützen oder brechen. All diese
Mittel aber sind nur ehrlich und damit letzlich wirksam, wenn
sie mit der Musik, mit der Person des Komponisten korrespondieren.
Was als Film dabei heraus kommt, ist deswegen immer sehr verschieden.
Sein Gelingen hängt davon ab, wie intensiv er sich mit dem
Gegenstand, also der Musik verbindet. Ein Schema gibt es nicht.
Aber die schematisch-wissenschaftlichen Rundfunksendungen, die
immer zwischen erläuterndem Text und Musikbeispiel abwechseln,
waren mir ohnehin schon immer fremd.