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nmz-archiv
nmz 2001/09 | Seite 10
50. Jahrgang | September
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Weiter so
Es soll hoch beschäftigte Komponisten mit Doppelprofessur geben, die ihren Studenten, der Einfachheit
halber und damits schneller geht, den Standardratschlag erteilen: Weiter so!. Der Ausspruch
könnte als allgemeine Handlungsanweisung für den hochtourigen Leerlauf der Gegenwart taugen. Wo der
Betrieb auf hohem Niveau gewinnbringend weiter klappert, was soll man da ändern? Die Einzigen, für
die das nicht zutrifft und denen jetzt vor Schrecken die Zähne klappern, sind die Bosse und Aktionäre
der Unternehmen, deren Aktien am so genannten Neuen Markt gehandelt werden und innerhalb eines Jahres bis zu
98 Prozent an Wert verloren haben. Dort unten im Tal der Tränen verspüren selbst die abgebrühtesten
New-Economy-Profiteure wieder menschliche Gefühle und sehnen sich nach Veränderung. Obs was
hilft, ist fraglich. Schließlich steht dieses Wachstumssegment der Börse inzwischen im Ruf, dass
das Einzige, was hier wächst, die Zahl der Betrüger ist. Dagobert Duck hätte in diesen Laden
nie investiert.
Doch abseits von diesen pittoresken Schlangengruben menschlichen Strebens geht es überall weiter wie
bisher, und das beruhigt bekanntlich ungemein. Das gilt nicht nur für die große Weltpolitik, wo mit
der Erfindung der so genannten Schurkenstaaten die weltweite Akzeptanz der High-Tech-Rüstung fürs
nächste Jahrzehnt gesichert scheint, oder wo der sportliche Wettkampf, den eine hochgerüstete Armee
mit Terroristen um den ersten Preis in den Disziplinen Kindererschießen und Zivilistenumbringen austrägt,
dem Publikum über eine weltweite PR-Maschinerie als Friedensprozess verkauft wird.
Das Weiter so! gilt auch für minder blutige Angelegenheiten wie den Kampf um Markt und Macht
im Kulturbetrieb. Die Marktführer der Festivalindustrie kennen den Wert der bewährten Losung genau.
In Bayreuth sitzt Schlitzohr Wolfgang Wagner fes- ter im Sattel als zuvor. Nicht nur, weil die Künstlerverträge
für die nächsten Jahre gemacht und sein eigener unantastbar ist, was offenbar selbst der bayerische
Kunstminister Zehetmair inzwischen gemerkt hat. Sondern weil sein Weiterwirken den meisten durchaus recht ist:
dem breiten Publikum, das für Karten des fränkischen Musikfestivals jeden Preis zu zahlen bereit ist,
vor allem aber den Boulevard-Promis und Repräsentanten der gesellschaftlichen Macht, die, wie neulich am
Radio zu hören war, ausgiebig mit Freikarten versorgt werden dank der Fernsehkameras vor dem Hauptportal
eine für beide Seiten profitable Symbiose. Dieses Klientel ist nicht gewillt, den probaten Ort der Selbstdarstellung
mit seinem latent deutschnationalen Flair man weiß ja nie, wozu er eines Tages noch gut sein kann
einer kulturkritischen Experimentierwerkstatt zu opfern. Wozu etwas ändern, es läuft doch wie
geschmiert!
Ähnlich in Salzburg. Der gut geölte Festivalbetrieb bietet für jeden Geschmack etwas, die Marktpositionierung
ist optimal, die jährlich wiederkehrenden Kont- roversen über Regietrends und Interpretationsfeinheiten
garantieren eine öffentlichkeitswirksame Animation, und am Schluss sind wieder alle beglückt und zufrieden:
Die Klassikfans mit ihrem Mozart, die Neue-Musik-Fans mit ihrem Nono, die Stars mit ihren Verehrern und die
Verehrer mit ihren Stars, die Schallplattenfirmen mit den Kritikern, die Kritiker mit den vielen neuen CDs und
nicht zuletzt die lokalen Geschäftsleute, die wie die Croupiers das Liegengebliebene abschließend
einstreichen dürfen. Alle spüren: Irgendwie hat sich die Hochpreispolitik gelohnt, Kultur hat eben
ihren Wert.
Gérard Mortier, dessen Arbeit zum Abschied in einer gerade erschienenen Buchpublikation ausführlich
gewürdigt wird, hat seine Aufgabe, das Renommierfestival von der überlebten Karajan-Ära in die
moderne Freizeitgesellschaft hinüberzuretten, erfüllt. Er hat den ignoranten Geldsäcken mit dem
Zeigefinger gedroht, die kulinarischen Programme mit den Dissonanzen des Zeitfluss-Festivals gewürzt und
neue Publikumsschichten gewonnen. Dahinter steckt die Einsicht: Wenn der Umsatz nicht stagnieren soll, darf
sich die Kaufkraftabschöpfung im Luxusgütersegment und dazu gehört auch der Klassikbetrieb
heute nicht mehr auf die Gruppe der traditionellen Smokingträger und Seidendirndls beschränken;
auch die kräftig gewachsene Schicht der Kultur-Yuppies und gut verdienenden Lebensgenießer aller
Sorten muss berücksichtigt werden. Nun wartet alles auf den großen Moment, da der neue Intendant
Peter Ruzicka die Geheimnisse um sein erstes Festivalprogramm lüftet. Doch man darf jetzt schon annehmen:
Von Farbnuancen abgesehen, wird es weiter gehen wie bisher. Die Interessen, die den Status quo favorisieren,
sind zu mächtig.
Es gab einmal eine Zeit, da wurde nach der gesellschaftlichen Rolle der Kunst gefragt, von der Veränderung
des Bewusstseins und der Lebenswelt gesprochen. In der Mediengesellschaft, die nach Fun und Glamour verlangt,
sind solche Gedanken längst abgehakt und mega-out. Einer, der an ihnen festhielt und sie im Innersten seiner
Kunst verankerte, war Luigi Nono. Im Urlauberparadies Salzburg indes waren seine Werke im letzten Jahrzehnt
Gegenstand so heftiger Verehrung, dass ihnen ihr Stachel, so muss befürchtet werden, endgültig abhanden
gekommen ist. Für seine Losung Non hay caminos, hay que caminar bietet sich eine neue Lesart
an: Weiter so, auch wenns im Kreis geht!