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nmz-archiv
nmz 2001/09 | Seite 36
50. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Tonerlebnis
Musiktage Hitzacker 2001
Dort, wo sich auf bewaldetem Bergrücken, hoch über reizvollen Elbtalauen die Konzertstätte
der Sommerlichen Musiktage Hitzacker erhebt, erschien in diesem Jahr der weltweit angesehene polnische
Komponist Krzysztof Penderecki als Composer in residence, eine Wahl, die die Festwoche in Hitzacker
nach den vorjährigen Porträts zeitgenössischer Komponis-ten (unter anderen Aribert Reimann, Olivier
Messiaen, György Ligeti, Witold Lutoslawski) in besonderer Weise in den Vordergrund rückte.
Aus dem umfangreichen Kammermusikschaffen Pendereckis holte der zum letzten Male amtierende künstlerische
Leiter des neuntägigen Festivals, der Cellist Claus Kanngiesser, markante Werke ins Programm, das überdies
eine breite Palette klassischer und neuer Kammermusik darbot, darunter mit Schwerpunkt Werke weiterer polnischer
Meister, die wie Penderecki das Musikleben in Polen wegweisend befruchteten. So standen die Musiktage in diesem
Jahr unter dem Titel Polnische Begegnungen. Außer Pendereckis Musik bereicherten Werke von
Lutoslawski, Szymanowski, Zarebski, Chopin und andere das Programm.
Bei gewollter Dominanz von Penderecki stellt sich die Frage nach seiner Bedeutung und dem Charakter seiner Musik.
Werfen ihm Vertreter und Anhänger des Fortschritts in der Musik Verrat an der Neuen Musik vor, so zählen
heute sein neuromantischer Stil und seine dramatisch expressive Sprache zur Musik der so genannten Postmoderne.
Das weltweit positive Echo auf die Musik Pendereckis, die vielen Anerkennungen und Ehrungen und die Fülle
großer Preise sprechen für die Anziehungskraft seiner Kompositionen.
Musik als subjektives Tonerlebnis stellt sich in des Komponisten zweitem Streichquartett von 1968 dar. Es
entstand noch vor dem späteren Stilwechsel bei Penderecki, zählt mithin noch zur anfänglichen
Beschäftigung mit der Neuen Musik. Nach sich steigerndem, gleißendem Klangfluss fand der Komponist
erst am Ende des Final-Lentos zu ruhigem Ausschwingen, vom tiefen, leise verebbenden Cello getragen. Das hervorragende
polnische Silesian String Quartett nahm sich mit Verve und großer Reife der diffizilen Viererrede
an.
Mit Vergnügen war Pendereckis Sextett für Klarinette, Horn, Streichtrio und Klavier
zu hören. In ihm begegnete dem Festivalbesucher ein ideenreicher, starker Penderecki, der jede Stimme in
feinem Kontrast zum Nachbarn bringt, dabei der Sprache der Klarinette neue Dimensionen gibt, im Übrigen
tiefschürfend dem Wesen seiner engagierten Humanitas folgt.
Viel Zuspruch erhielt der bekannte russische Cellist Boris Pergamenschikow mit seiner einfühlsamen Interpretation
des Divertimento für Violoncello solo (1994). Virtuose Momente voller Wärme und Melancholie
wechselten mit der Kunst der souveränen Bogenführung, Geschmack und musikalische Fantasie eingeschlossen.
Weniger beglückend trat der Posener Knabenchor Polnische Nachtigallen unter Alexander Krolopp
in Aktion. Chorwerke europäischer Komponisten, mehr oder weniger behutsam interpretiert, machten mit der
gefühlsbetonten polnischen Chortradition bekannt, darunter auch mit Pendereckis ergreifendem Stabat Mater
aus der Lukaspassion (1962).
Auf ein großes Echo stieß auch der Klavierabend mit der Pianistin Dinorah Varsi. Sie brachte mit
ungewöhnlich scharfem Verstand und starkem Gestaltungswillen ihre überzeugende Version von Chopin-Klaviermusik
zu Gehör.