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Ausgabe 2001/09
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nmz 2001/09 | Seite 37
50. Jahrgang | September
Oper & Konzert

Szenenwechsel zwischen zwei Jahrhunderten

Uraufführung von John Caskens Zweiakter „God’s Liar“ in London

Anlässlich der diesjährigen Londoner Almeida Opera Saison erlebte Anfang Juli „God’s Liar“, die nach „The Golem“ zweite Oper von John Casken ihre Uraufführung. Es steht außer Zweifel, dass auch diesem zweiaktigen und rund 100 Minuten langen Werk, einer Koproduktion mit dem Theatre de la Monnaie in Brüssel (6., 7., 9. und 10. Oktober), ein internationaler Erfolg sicher sein wird. Für London blieb es wieder einmal schade, dass man kein geeignetes Theater besaß und in Anbetracht des gegenwärtigen Erneuerungsumbaus des intimen Almeida Theatre in eine umweit des Bahnhofs King’s Cross gelegene Vielzweckhalle mit einer riesigen Bühne, doch ohne Orchestergraben ausweichen musste.

     

Anne Bolstad mit sieben Frauenpartien, Omar Ebrahim als Vater Sergius und Jeffrey Lentz als Stephen. Foto: Ivan Kyncl

Dies provozierte Regie (Keith Warner) und Bühnenbildner (John Lloyd Davies) zu einem atemberaubenden Theatererlebnis, während sich das kleine Orchester aus drei Violinen, zwei Bratschen, zwei Celli, Kontrabass, Harfe, Flöte, Oboe, zwei Klarinetten, Fa- gott, Horn, Trompete, Posaune und Schlagwerke an die Seite gedrängt sah. Für das Publikum war die musikalische Kommunikation trotz des durchsichtigen Dirigats von Ronald Zollman nur unbefriedigend gewährleistet. Die wenig idealen akustischen Bedingungen führten leider auch zur Weigerung des Britischen Rundfunks, die Oper mitzuschneiden. Man kann nur hoffen, dass der Aufführungsserie in Brüssel unter besten Umständen nicht das gleiche Los beschieden ist, bewies sich doch die Besetzung der drei tragenden Partien als optimal. John Casken griff für „God’s Liar“ auf die Erzählung Otec Sergij (Vater Sergeij) von Leo Tolstoi aus dem Jahr 1898 zurück. Er unterzog sein gemeinsam von ihm und Emmna Warner unter Mitarbeit von Keith Warner verfasstes Libretto jedoch einem Kunstgriff: dem Vater Sergeij steht ein wissensdurstiger Scholar unserer Zeitrechnung gegenüber, der dessen Tagebücher aufgestöbert und sie fasziniert übersetzt hatte. Der ständige Szenenwechsel von 19. und 20. Jahrhundert führt bewusst zu einem nur noch schwer trennbaren Dialog zwischen Illusion und Realität, ohne dass die Suche beider Protagonisten nach der Wahrheit letztlich eine Antwort finden kann. Auf der einen Seite stehen wir dem Vater Sergeji gegenüber, einst der ehrgeizige Offizier der kaiserlichen Garde Stepan Kasatsky, der sich mit dem Wissen, dass seine Verlobte die Mätresse des Zaren war, in die Abgeschiedenheit des Klosters zurückzieht, ohne selbst jener Promiskuität Herr zu werden, die ihn zu diesem Schritt zwang. Andererseits erleben wir Stephen beim Studium der Tagebücher, sehen, wie er sich mit dem Charakter des Mönches identifiziert, die Story gegen seine Absicht nach Hollywood verkauft und dort ihre Sensationalisierung miterleben muss. „Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan“, die Schlussworte von Goethes Faust, sind auch die Triebfeder dieser doppelbödigen und musikalisch wie philosophisch faszinierenden Oper. Die Sehnsucht nach einer Frau lässt Bruder Sergeij (Omar Ebrahim) zum „Lügner Gottes“ werden, während für Stephen (Jeffrey Lentz) der alles ansich-reißende, weibliche Hollywoodstar zur Desillusionierung führt. Es entbehrt somit auch nicht der Logik, dass alle sieben Frauenpartien (19. Jahrhundert: Verlobte, Verführerin, junges Mädchen und alte Bäuerin, sowie 20.Jahrhundert: Vermittlerin, Hollywoodstar und Gegenwartsfrau) von der gleichen Interpretin, in diesem Fall die darstellerisch und stimmlich fulminante Norwegerin Anne Bolstad, gesungen werden. Eine fremde Frau hilft in der letzten Szene Stephen, einen Obdachlosen vor der Wut der Menge (ein sechsköpfiger Solistenchor) zu retten. Glaubt Stephen, in ihm Vater Sergeij wiederzuerkennen, so erscheint ihm diese Frau als die Verkörperung aller Frauen. Gefragt, wer sie sei, erhält er zur Antwort: „Engel? Teufel? Versucher? Freund?“ Noch einmal greift sie das immer wiederkehrende Motto auf: „One good deed, one cup of water, worth more than all the lies“. Die musikalische Realisation dieses subtilen Stoffes sucht ihresgleichen, konzentriert sie sich doch parallel zum Handlungsablauf auf innere Welten und die vielen qualvollen Spannungen, denen die Protagonisten, letztlich aber wir alle auf der Suche nach uns selbst ausgeliefert sind. Ihre tiefgründige Sinnlichkeit ebenso wie ihre gelegentlich ätzende und aufwühlende Diktion finden zusätzlich in den von John Casken mit intuitiver Prägnanz aufeinander abgestimmten Farben der Instrumentalpalette eine fesselnde, direkt zugängliche Überhöhung und Vertiefung. Diese keineswegs aufdringliche oder marktschreierische Musik geht, ohne dass man sich dessen so richtig bewusst wird, unter die Haut. Erst auf dem Weg zurück in den Straßenalltag löst sich langsam ihr Bann mit dem Wunsch, sich dieser musikalischen Erfahrung sofort erneut auszusetzen.

Hans-Theodor Wohlfahrt

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