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nmz-archiv
nmz 2001/09 | Seite 35
50. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Begegnungen mit der jungen Musik
Zum zweiten Mal Festival young.euro.classic in Berlin
Wirklich eine gute Idee: Ein Festival mitten im Hauptstadt-Sommerloch, das zwei Wochen lang zwölf Jugendorchester
aus zehn europäischen Ländern versammelt, dazu drei internationale Formationen das Schleswig-Holstein
Musik Festival Orchester, das Gustav Mahler Jugendorchester und zum guten Schluss das Weltorchester der Jeunesses
Musicales. Es wird fast nur Musik des 20./21. Jahrhunderts gespielt und trotzdem eine Auslastung von zirka 80
Prozent des Großen Saales im Berliner Konzerthaus erreicht. Mit einem demokratischen Eintrittspreis
von einheitlich 16 Mark öffnet er sich einem jungen, Klassik-ungewohnten Publikum, das hinterher auf den
Empfängen der jeweiligen Botschaften weiter das Event feiern kann vielleicht sogar zusammen
mit den Musikern. Die Idee, jedes Konzert einem prominenten Paten zum Zweck der Werbung
für die Musik anzuvertrauen, schafft Medienaufmerksamkeit für weitere Besucherschichten und Sponsoren.
Das alles stellt man mit einer halb öffentlichen, halb privaten Finanzierung von sympathisch bescheidenen
Dimensionen, mit viel Idealismus und ehrenamtlicher Arbeit auf die Beine, zukunftsweisende Anregung für
etabliertere, vor lauter Besitzstandswahrung künstlerisch viel unbeweglichere Institutionen.
Denn young.euro.classic, wie die ganze Unternehmung auf Initiative des Deutschen Freundeskreises europäischer
Jugendorchester sich Internet-fähig nennt, will mehr sein als ein gewöhnliches Musikfestival. Der
politische Anspruch, so betont Gabriele Minz, die als hauptberufliche Unternehmensberaterin die Gesamtleitung
innehat, sei dem künstlerischen mindestens gleichwertig: Beitrag zu Verständigung und Toleranz im
sich erweiternden Europa. Sie rühmt das Engagement der jungen Orchester, die teils ohne Unterstützung
ihrer Heimatländer und gegen kaum nennenswertes Honorar ihre Konzerte zum Geschenk machen.
Die Jugend ist die Zukunft, sagt auch Joachim Milberg vom Vorstand des Hauptsponsors BMW Group, und Völkerverständigung
ist für den weltweit agierenden Konzern Existenzbedingung. Auch die Paten darunter Unicef-Botschafterin
Sabine Christiansen, ntv-Börsenberichterstatter Markus Koch oder Ex-Boxweltmeister Henry Maske werden
in ihren Grußworten nicht müde, die grenzenlose Kraft der Universalsprache Musik heraufzubeschwören.
Und tatsächlich ist das Festival in der Auswahl seiner Teilnehmer der Politik weit voraus: mit Armenien,
Aserbaidschan oder Island praktizierte es im zweiten Jahr seines Bestehens beispielhafte EU-Erweiterung. Ergänzt
mit Polen, Ungarn und Russland entstand so ein osteuropäischer Schwerpunkt, dem Veranstaltungsort Berlin
als potenzieller Drehscheibe zwischen Ost und West durchaus angemessen. Spanien und Portugal repräsentierten
als Neulinge die Westflanke.
Auf die jeweiligen Musikszenen war man gespannt und fragte sich gerade deswegen manchmal etwas
ratlos, ob hier wirklich Charakteristisches oder gewiss nach unseren Maßstäben überhaupt
Qualitätvolles mitgebracht worden war. Polen empfahl sich im Eröffnungskonzert der von Krzysztof Penderecki
geleiteten Sinfonietta Cracovia mit eben diesem seinem populärsten zeitgenössischen Komponisten.
Sein Konzert für Viola und Orchester konnte in der Fassung für Violoncello jedoch nicht besonders
überzeugen, eine recht eindimensionale, fraglos effektvolle Studie über endlos sich windende Seufzer-Bänder
in tonschöner Darbietung durch den 23-jährigen Rafal Kwiatkowski.
Den elegischen Grundton des Meisters hat Abel Korzeniowski in Hypnosis übernommen, allerdings
aufgeladen mit allerlei abgegriffenen Versatzstücken aus Hollywoods Filmstudios. Ungeniert der Spätromantik
verhaftet zeigte sich das Serenade Symphony Orchestra aus Armenien, mit einer 1962 entstandenen
Sinfonie von Eduard Mirzoyan (geb. 1921), graue Eminenz des armenischen Musiklebens, und der brandneuen Sinfonie
Nr. 2 von Karen Hakopjan. Deren Getöse und Gebrause zwischen Tschaikowsky und Schostakowitsch klingt
satztechnisch sehr gekonnt. Der Amadeus 98 Gewinner des gleichnamigen armenischen Wettbewerbs
ist immerhin erst sechzehn Jahre alt.
Mit seinem zehnjährigen Bestehen gehörte Serenade Symphony schon zu den altgedienten
Klangkörpern bei young.euro.classic. Das russische National Students Symphony Orchestra, auf Initiative
des Kulturministeriums nach Art der Jungen Deutschen Philharmonie gegründet, gab vor zehn Wochen sein erstes
Konzert überhaupt. Die Suite aus dem Fernsehballett Die Hochzeit des Balsaminow von Valery
Gawrilin diente als brillantes, doch auch altbackenes Futter für seine beeindruckenden Spielfähigkeiten.
Dafür trug man mit vier Special nights der Entwicklung zum kleinen variablen Ensemble in der
Neuen Musik Rechnung. Das Ensemble Studio Neue Musik aus Moskau machte mit Wladimir Tarnopolskis vier sinfonischen
Satzcharakteren mit Rap-Rhythmen verfremdender Ernst-Jandl-Vertonungen Szenen aus dem wirklichen Leben,
Vladimir Nikolayevs Quick Amokus mit seinen Comic-Strips abgelauschten instrumentalen Nachlaufspielen
und ihrem Umschlag in dadaistisch-fröhliches Stimmengewirr der Spieler, aber auch Swetlana Rumjanzewas
meditativer Studie über Helligkeitsgrade White on a white deutlich: Der Anschluss an die Westszene
ist gelungen, die Position als gesellschaftskritischer Beobachter und Verfechter oppositioneller Werte aufgegeben,
trotzdem hat man eine eigene Note bewahrt, die sich etwa in einer spezifischen rhythmischen Vitalität und
Sinn für dramatischen Verlauf ausdrückt. Avantgardistischen Ehrgeiz bezeugte das Ensemble SoNoR aus
Aserbaidschan mit Werken von Ali Alizadeh, Elmir Mirzoev und Faraj Karaev, welche die Begegnung von Morgen-
und Abendland in papierenen Klangtüfteleien beließen. Eher anbiedernd dagegen das uraufgeführte
Cellokonzert von Herwig Reiter im Konzert des Wiener Jeunesse Orchesters, ein amüsant-überladenes
Klangpanorama voller trompetender Naturlaute mit vielen Ravel-Anleihen. Ansonsten verschrieb man sich klangselig
Richard Strauss auch die Vier letzten Lieder entstanden im 20. Jahrhundert.
So ist young.euro.classic zumisndest aus Hörersicht eben doch eine Konzertreihe mit heterogenen Eindrücken.
Viele Menschen hören zeitgenössische Musik, doch welche und von welcher Qualität? Was sagt sie,
da doch angeblich jeder ihre Sprache versteht? Die wirklich herausragende, mitteilungskräftige Interpretation
gelang Roberto Paternostro mit dem Bundesjugendorchester; die 15- bis 20-jährigen spielten Mahlers 9. Sinfonie
mit kompromisslosem, nichts beschönigendem Ernst. Im Finale gab es keine himmlischen Piano-Sphären
mehr, sondern nur noch verzweifeltes Danach-Streben. Noch schöner wäre es gewesen, wenn wirklich alle
auftretenden Musiker das hätten hören, sich darüber austauschen können. Doch die meisten
mussten aus Geldmangel gleich wieder abreisen, also auf dieBegegnung verzichten. An der Finanzierung scheiterte
auch das wichtigste Projekt, die 14-tägige Probenphase des internationalen Hermann Scherchen Jugendorchesters.
Vielleicht könnten ja die Jeunesses Musicales, die als neuer Partner schon viel Know-how beisteuerten,
mit ihren beispielhaften Erfahrungen im Jugendaustausch weiterhelfen.