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nmz-archiv
nmz 2001/09 | Seite 49
50. Jahrgang | September
Dossier: Musikkritik
Klangverworter
Fakten, Fakten, Fakten und immer an den Kunden denken kann man Helmut Markworts journalistisches
Credo präzisieren. Ginge es nach dem aktuellen Zeitgeist, sollte man das Feld der Musikkritik getrost von
der GEMA bestellen lassen. Oder von den wöchentlich erscheinenden Hitparaden-Blättchen. Wertlastige
Feuilletons, diskursive Magazine wie das unsere dürfen noch im Museum der ausgestorbenen Geisteshaltungen
als Spinnennetz-Stützen dienen. Was hinten oder vorne rauskommt, zählt.
Den Blick für das Wesentliche...
Entwicklungsprozesse interessieren nur noch, sofern sie zum materiellen Erfolg geführt haben. Die gute
alte humanistische Hoffnung, einen Chartbreaker könne man nicht konstruieren, ist längst obsolet.
Der Top-Ten-Titel aus dem Computer gehört heutzutage zum Controlling-Standard unserer Musikindustrie. Und
bald wird niemand mehr sagen können, welchem Gen-Labor die geklonten Sing- und Hupfdohlen entsprungen sind,
die uns so köstlich amüsieren.
Klappe, jämmerlicher Kritiker, selbst schuld, mag man einwerfen. Und in der Tat hat sich das Grüppchen
der Klangkunstverbalisierer, meist aus der Familie musikwissenschaftlicher Knabenkrautgewächse stammend,
kaum je als besonders mutig, innovativ oder weitblickend erwiesen. Das mag an der Ausbildung liegen: Bis tief
in die 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts galten die MuWis als eingefleischteste Staubbeutelbewohner
unter den Geisteswissenschaftlern. Vielleicht sind aber auch die mittelprächtig erfolgreichen Vorbilder
der Grund: Denn was haben Hanslick, Stuckenschmidt oder Holl gesellschaftlich gesehen schon erreicht? Haben
sie den Faschismus verhindert? Haben Koch, Jungheinrich, Schulz, Csampai und Kesting die heutige Absatzkrise
unserer klassischen Schallplattenindustrie abgewendet? Die musikalische Bildungskatastrophe an unseren Schulen?
Was andererseits unterscheidet einen Joachim Kaiser überhaupt von den anonymen Covertext-Schreiberlingen
unserer Majors? Richtig, die Höhe des Honorars.
...und für das wirklich Wesentliche hat er nie verloren: Gerhard
Rohde. Fotos: Oswald
Man könnte spaltenweise weiterlästern über eine Zunft, deren Job nach häufiger Meinung
das Beckmessern ist. Eigentlich ein gutes Zeichen. Denn kräftiger Zoff setzt eine gewisse Vitalität
des Kontrahenten voraus, sonst macht er keinen Spass. Mit Gerhard Rohde streite ich mich seit 35 Jahren
sein halbes Leben über den Sinn seines Berufes. Was nicht ganz einfach ist, weil er den Sinn, den
ich suche, schon im Vorgriff schlicht für sinnlos hält. Ein guter Zeitpunkt für eine kurze Pause,
die wir zur Kräftigung nützen: Wir sammeln auf den folgenden Seiten frische Argumente, fachkundige
Ratschläge, um sie keine Sorge in Schläge umzuformen. Happy Birthday, Alter.