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nmz-archiv
nmz 2001/09 | Seite 5
50. Jahrgang | September
Feature
Eins, zwei, drei im Sauseschritt, läuft die Zeit, wir laufen mit
Faszinierende Klangwelten: Zum letzten Mal setzte das Zeitfluss-Festival den Salzburger Festspielen
Glanzlichter auf
Es begann mit Luigi Nonos Prometeo. Die denkwürdige Aufführung in der Salzburger Kollegienkirche
bei den Salzburger Festspielen 1993 markierte den Auftakt einer wunderbaren Zusammenarbeit zwischen den Festspielen
und einer privaten Kulturinitiative, die den Namen Zeitfluss trug.
Die Performerin und Komponistin Meira Asher
Der Pianist Markus Hinterhäuser und der Komponist Thomas Zierhofer-Kin boten ihre Ideen und Konzepte dem
damals neuen Direktorium der Festspiele, Gerard Mortier und Hans Landesmann, an, die das Potenzial, das Zeitfluss
enthielt, sofort erkannten; waren doch die eigenen Vorstellungen über eine ästhetische Erneuerung
des Festspielprogramms auf dieselben Ziele gerichtet: nämlich die Moderne in Musik und Szene nicht länger
als Appendix zum Tradierten zu behandeln, sondern beides im Bewusstsein einer geschichtlichen Kontinuität
der abendländischen Musik miteinander zu verschmelzen. Dass dieses durchaus mit hohen Risiken belastete
Unternehmen in den zehn Jahren der Ära Mortier/Landesmann so überzeugend gelang, ist nicht zum geringsten
den Zeitfluss-Initiatoren zu danken, die in den fünf Festivals Zeitfluss
fand im Zweijahresrhythmus statt ein breites Spektrum von Musik heute entwarfen, das zugleich
in die Zukunft verweist: In der Einbeziehung außereuropäischer Musik-Regionen, aber auch in der Erprobung
neuer Formen der Vermittlung von Musik außerhalb der bestehenden Institutionen von Konzertsaal und Opernhaus.
Das letzte Zeitfluss-Festival wirkte in dieser Hinsicht geradezu demonstrativ: Der überwiegende
Teil der sechzehn Veranstaltungen fand nicht in fes-ten Räumen, sondern in einem großen Zelt im Volkspark
am Rande der City statt. In einem zweiten Zelt richtete sich eine hochkarätige Gastronomie (immerhin!)
ein. So breitete sich vor und nach den Konzerten fast eine kleine Woodstock-Atmosphäre zwischen den Zelten
und einen nahen Teich aus. Das außereuropäische Element vertraten im Programm Die Fakire vom
Schrein des Shah Abdul Latif in einer Sufi-Nacht. Die persischen Komponis-ten und Musiker Nader Mashayekhi
und Hossein Alizadeh vereinigten eigene Musik mit den Klängen von Perotin und Scelsi. Und wenn an einem
Abend der Akkordeonist Stefan Hussong und die Sho-Spielerin Mayumi Miyata die Cage-Stücke für Sho
und Akkordeon, die sich mit dem zarten Luft-Glucksen mit Wasser gefüllter Muscheln gleichsam vermählen
sowie eine als Verbindung funktionierende Komposition Toshio Hosokawas darbieten, dann vermeint man, sich in
einem fernöstlichen Meditationsraum zu befinden.
Mayumi Miyata und Stefan Hussong bei ihrem Cage-Konzert
Es gab auch Erinnerungen, die zugleich in die Zukunft weiterwirken: An den Prometeo knüpfte
eine Aufführung von Nonos Io, Frammento da Prometeo an, wieder in der Kollegienkirche,
von André Richard mit seinem Freiburger Experimentalstudio souverän gestaltet. Markus Hinterhäuser
(Klavier, Celesta), Robyn Schulkowsky (Percussion) und der Flötist Dietmar Wiesner unterwarfen sich und
das Publikum mit Morton Feldmans For Philip Guston einem fast fünfstündigen strengen Exerzitium.
Hinreißend auch das Konzert mit dem Klarinettis-ten Gianluigi Trovesi und dem Akkordeonspieler Gianni
Coscia. Die Nietzsche-Rezitation mit Einar Schleef muss-te ausfallen: Der plötzliche Tod Einar Schleefs
erschütterte das Zeitfluss-Publikum. Markus Hinterhäuser widmete spontan den Cage-Abend
dem Andenken an den ungewöhnlichen Künstler und Menschen Einar Schleef. Eine Lesung Erwin Steinhauers
aus den Erinnerungen des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß beschwor gespenstisch eine fürchterliche
Vergangenheit, die unverändert zu unserer Gegenwart gehört. Das Zeitfluss-Fes-tival hat
sich in den zehn Jahren immer auch als eine moralische Instanz verstanden. Dadurch hob es sich aus der Vielzahl
anderer Avantgarde-Treffen nachdrücklich heraus.