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nmz-archiv
nmz 2001/09 | Seite 26
50. Jahrgang | September
Jeunesses Musicales Deutschland
Bohemians im harten Medienalltag
Der Internationale Opernkurs 2001 der JMD in Weikersheim
Eine komplette Oper innerhalb von sechs Wochen einzustudieren und anschließend neunmal in bühnenreifer
Fassung und auf professionellem Niveau aufzuführen, bedeutet mehr als die Kombination von musikalischem
Talent und harter Probenarbeit. Der Internationale Opernkurs der Jeunesses Musicales zeigte auch in diesem Jahr
wieder, was mit unverbrauchtem Elan und Engagement zu leisten ist.
Aus einem bundesweit ausgeschriebenen Wettbewerb waren 18 junge Sängerinnen und Sänger aus elf Nationen
hervorgegangen, die sich zuvor unter 350 Bewerbern durchgesetzt haben. Der internationale Spitzennachwuchs war
es also, der im baden-württembergischen Weikersheim unter der musikalischen Leitung von Amy Andersson und
Yakov Kreizberg die Puccini-Oper La Bohème einstudierte. Jeder von ihnen blickt auf eine
fundierte Gesangsausbildung zurück. Meisterkurse, internationale Gastauftritte und Tourneen ergänzen
den Lebenslauf von nahezu allen Beteiligten. Auf eine feste Solo-Verpflichtung können jedoch bislang die
wenigsten verweisen. Weikersheim kann das ändern, wissen sie. Denn wer hier auftritt, steht bei den gut
besuchten Aufführungen auch unter Beobachtung deutscher Agentur-Chefs und Intendanten bedeutender Theater-
und Opernhäuser.
Szene aus der Weikersheimer Inszenierung von La Bohème.
Foto: Daniel Honsack
Und wo wir schon beim Lebenslauf sind: Die Begriffe Jeunesses Musicales und Internationaler
Opernkurs stehen für ein europaweit einzigartiges Projekt zur Förderung des Bühnennachwuchses.
Allein schon deshalb gleicht die Aufnahme einem künstlerischen Ritterschlag. Mit dem Orchester, der Jungen
Deutschen Philharmonie, stand den Protagonisten zudem ein Klangkörper mit weltweitem Renommee zur Seite.
Optimale Bedingungen und Motivation genug also, um sich zielstrebig mit einer aktuellen Inszenierung auseinander
zu setzen. Denn aktuell war es allemal, was Patrick Bialdyga, der 30-jährige Regisseur aus Dortmund in
diesem Jahr auf die Schlossbühne brachte. Keine Spur von verschneiter Winterromantik des 19. Jahrhunderts.
Der harte Medienalltag unserer Tage war es, den Bialdyga mit den Bohemians in Verbindung brachte. Die Selbstinszenierung
heutiger Stars, aufkommende und absterbende Liebe unter diesen Bedingungen, das waren die Aspekte,
die er mit seiner Inszenierung transportierte. Der erste Akt spielte folgerichtig in einer knallbunten Big
Brother-Adaption, in der sich die Hauptdarsteller mediengerecht zur Schau stellten. Auch die zarten Annäherungsversuche
zwischen Mimi und Rodolfo stehen dabei unter ständiger Beobachtung. Das Bad in der Menge der Fans und der
Genuss öffentlicher Beachtung steht im Mittelpunkt des zweiten Aktes.
Dabei spielt Musetta gekonnt ihre beiden Liebhaber, Alcindor und Marcello gegeneinander aus. Höhepunkt:
Musettas Hit-Veröffentlichung, die Arie Quando men vo, mit gekonnten Showeinlagen
der umstehenden Bodyguards. Weitaus bedächtiger geht es schon im dritten Akt zu. Während sich Marcello
noch im Glanze seiner Galerieeröffnung sonnt, haben Rodolfo und Mimi unüberwindliche Probleme miteinander
auszutragen. Zum Schluss bricht die so ausgeklügelt zur Schau getragene Fassade zusammen, Mimi stirbt und
hinterlässt nur noch Hilflosigkeit.
Was in den ersten Momenten an den Haaren herbeigezogen klingt, geht bei näherer Betrachtung ohne Zweifel
auf. Denn was sind die Bohemians in ihrer Pariser Mansarde anderes als zur Schau getragene Figuren, die mit
ihrem Dilettantismus kokettieren und um Bewunderung in der Öffentlichkeit buhlen. Heutiger inszenieren,
das ist das zentrale Anliegen des Regisseurs gewesen. Keine platte Medienkritik, schon gar keine Kopie sattsam
bekannter Produktionen des Privatfernsehens sollte es werden, betont die Dramaturgin Sabine Kozinc. Die beeindruckende
Kulisse des Schlosshofes in Weikersheim wurde dabei geschickt umspielt. Kein noch so historisch genaues Nachempfinden
einer originären Inszenierung hätte hier Fuß fassen können, da sind sich Regisseur und
Dramaturgin sicher. Auch Thomas Rietschel, Generalsek-retär der Jeunesses Musicales Deutschland steht zu
dem gewagten Konzept: Es passt zu uns, auf diesem Gebiet neue Wege zu gehen, dabei aber den künstlerischen
Anspruch nie aus dem Auge zu verlieren.
Auch die Sänger waren schließlich von dem Regiekonzept überzeugt. Während langer Diskussionen
im Vorfeld nutzten sie die Möglichkeit, ihre Bedenken zu äußern und intensiv zu besprechen.
Noch während der Proben wurden die Vorschläge der Künstler immer wieder sehr ernst genommen.
Was dabei heraus kam, waren vor allem sicher agierende Sänger, die sich in der Inszenierung heimisch fühlten
und dies auch dem Publikum vermitteln konnten.
Zu Hause fühlte sich das Team in Weikersheim schon nach wenigen Tagen. Babylonisches Sprachengewirr hallte
durch die Straßen und Häuser der rund 7.500 Einwohner zählenden Stadt im Taubertal. Freundschaften
sind entstanden, fachliche Gespräche und gemeinsame Feiern haben bewirkt, dass auch zukünftig viele
der 18 Bohemians engen Kontakt zueinander halten werden. In Weikersheim haben sie eine unbestritten freundschaftliche
Zusammenarbeit erfahren und dabei musikalisch auf höchstem Niveau zusammengearbeitet. Eine Erfahrung, die
prägt.