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nmz-archiv
nmz 2001/09 | Seite 1
50. Jahrgang | September
Leitartikel
Kult-Lobby
Zusammenschlüsse von Kulturschaffenden geraten leicht in drei Geruchsnischen. Entweder nehmen sie den
Duft von Orchideen-Treibhäusern an abgehoben, elitär, inzestuös. Oder sie müffeln
nach Karnickelstall und fordern die Gründung eines Vereins mit entsprechender Geisteshaltung heraus. Oder
sie riechen nach dem Sandalenschweiß von Kreuzrittern, wobei es bekanntlich keinen Unterschied macht,
ob die Unschuld der holden Muse, ob die gerechte Entlohnung des geistigen Eigentums das Kampfmotiv bilden. Gelegentlich
mischen sich diese olfaktorischen Reize natürlich, was stark zur Unübersichtlichkeit beiträgt.
Zumindest für den vernünftigen, objektiven Schnüffler von außen. Zu diesem Menschentypus
zählen ohne Frage Politiker, Entscheidungsträger in der Wirtschaft ebenso wie der Kultur nahe stehende
Persönlichkeiten: Kardinäle, Landwirte, Wirte, Professoren oder Gebrauchtwagenhändler zum Beispiel.
Um in unserer Gesellschaft überhaupt eine Rolle zu spielen, ist es unbedingt erforderlich, zu diesen Peer-Groups
Kontakt aufzunehmen, Kontakt zu halten. Andererseits hält sich jede der genannten Berufsgruppen aus gutem
Grund selbst für so wichtig, dass eine Begegnung mit Nischen-Bewohnern wenig attraktiv wirkt.
Was tun für die Kulturschaffenden? mag sich Andreas Johannes Wiesand vor zwanzig Jahren
gefragt haben aber nur kurz, denn die Antwort lag auf der Hand: Man gründete den Deutschen Kulturrat,
einen Zusammenschluss aller Kultur-Zusammenschlüsse, der in seiner Zusammensetzung so heterogen, in seiner
Interessenlage so widersprüchlich ist, dass ihn zunächst niemand bemerkte. Denn öffentliche Aufmerksamkeit
macht bekanntlich erst Sinn, wenn man selber einen weiterzugeben hat.
Zur gründlichen Tarnung hüllte sich der Rat erst mal in einen mächtigen Stapel selbstproduzierten
Papieres: Denn Kultur ist immer auch Kulturgeschichte und Geschichte wird nun mal geschrieben: Resolutionen,
Petitionen, Brandreden, Ansprachen und Absprachen.
Wie ein Bunker wölbte sich ein kilometerdickes Archiv über dem Rat eine komplette Sammlung
aller zeitgeschichtlichen kulturpolitischen Äußerungen. Wie ein Bunker? Es hieße, knapp hundert
Prozent der Kulturbeflissenen gründlich unterschätzen, glaubte man, sie griffen auf so plumpes Material
wie Stahlbeton zurück. Natürlich handelte es sich um eine gewaltige Verpuppungs-Aktion, um einen gigantischen
Kokon, in dem sich die einst antagonistischen Grundsubstanzen der Vereinigung aller Kulturschaffenden ungestört
zu einer Lobby formen konnte, die seit einigen Jahren kontinuierlich an politischem Gewicht gewinnt. Wonach
das riecht? Nach Erfolg natürlich. Und den wünscht man in diesen kulturfeindlichen Zeiten dem Kulturrat
auch die nächsten paar hundert Jahre.