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nmz-archiv
nmz 2001/09 | Seite 1
50. Jahrgang | September
Leitartikel
Stafettenlauf mit Mozarts Märchen-Zirkus-Oper
Peter Ruzickas erste Pläne für die Salzburger Festspiele 2002 · Von Gerhard Rohde
Der neue künstlerische Leiter der Salzburger Festspiele, Peter Ruzicka, ist noch nicht im Amt, da muss
er schon um sein Budget kämpfen. Um zwei oder drei Prozent wollen Bund, Land und Stadt Salzburg
ihre Zuschüsse kürzen. Sind dadurch die Festspiele mit ihrem etwa Neunzig-Millionen-Mark-Etat in Gefahr?
Das sicher nicht. Aber Kürzungen bei der Kunst treffen in der Regel den Bereich, der eigentlich der wichtigste
ist: die Herstellung von Kunst. Ruzicka deutete schon mit der ihm eigenen Zurückhaltung Grenzen der Zumutbarkeit
an. Sollte er nicht vielleicht etwas von der lauten Courage seines noch amtierenden Vorgängers Gerard Mortier
übernehmen und ebenso laut protestieren? Eine Frage des Takts und des persönlichen Temperaments, aber
Politiker hören leider immer weniger auf leise Töne.
Dabei hat Ruzicka, haben die Salzburger Festspiele alle guten Argumente für sich: Sie bringen 75 Prozent
ihres Etats selber auf, die öffentlichen Hände von Staat, Land und Stadt gleichen den Rest aus. Dafür
erhalten sie von den Angestellten und Zuarbeitern der Festspiele schon so viel an Personalsteuern, dass sich
der Zuschuss fast ausgleicht. Bedenkt man dann noch, was die Festspielbesucher via Gastronomie, Hotellerie,
Geschäftsleben in die Staatskassen spülen, dann gerät die Knauserigkeit gegenüber den Festspielen
zur Groteske und zum kulturpolitischen Skandal und nachträglich auch zur Rechtfertigung für
manchen verbalen Ausfall Gerard Mortiers in der Vergangenheit. Man möchte Peter Ruzicka den Rat geben,
von Anfang an das Primat der künstlerischen Inhalte zu konstatieren, auch wenn er ebenso wie Mortier
nicht in der Lage sein wird, die Leitungsstrukturen der Festspiele mit einem Dreierdirektorium und einem
im Hintergrund energisch wirkenden Kuratorium zu ändern. Hoffnungsfroh stimmt einen dabei nur, dass mit
dem Bankier Heinrich Wiesmüller ein kunstsinniger, Festspiel-erfahrener (er war in den ersten Mortier-Jahren
als Präsident im Festspieldirektorium) Mann neu ins Kuratorium eingetreten ist. Wiesmüllers Wort wird
im Gremium Gewicht haben, und im Zweifel wird er das Gewicht seiner Stimme auf die Schale der Kunst legen.
Diese Fakten und Fragen sind deshalb nicht unwesentlich, weil das künstlerische Profil der Salzburger
Festspiele unmittelbar von den finanziellen und organisatorischen Strukturen abhängt. Dabei sollte man
die organisatorische Seite der Festspiele wiederum nicht allzu destruktiv bewerten. Das Kuratorium entschied
sich in der Vergangenheit in der Regel auch für die Kunst, allerdings scheint sich wegen der neuen politischen
Konstellation im Lande (die Haider-Partei sitzt in der Regierung und damit auch im Kuratorium) das Klima in
der Festspiel-Aufsicht verändert zu haben. Dass man Mortiers Abschiedswunsch nach einer Aufführung
von Lachenmanns Mädchen mit den Schwefelhölzern (in Kooperation mit der Stuttgarter Oper)
im Kuratorium abschlug, sollte auch Peter Ruzicka zu denken geben.
Vielleicht hat es sich im Lande Österreich, in Wien und Salzburg und im Kuratorium noch nicht so recht
herumgesprochen, dass die Salzburger Festspiele mit der Ära Mortier/Landesmann eine andere Dimension gewonnen
haben: Diese definiert sich nicht nur künstlerisch, sondern auch kulturpolitisch. Wenn ein Festspiel, das
sich in früheren (Karajan-)Zeiten vorwiegend luxuriös und gesellschaftlich elitär präsentierte,
sich so entschieden der Kunst und Musik des 20. Jahrhunderts öffnet, diese zum integrativen Bestandteil
der Programmgestaltung erhebt wie bei Mortier und Landesmann, dann wirkt das Beispiel weit über das festliche
Sommerereignis hinaus, wird zum kulturpolitischen Signal, zum Plädoyer für unsere historisch gewachsene
Kultur, deren Kenntnis und Bedeutung im allgemeinen Bewusstsein immer mehr zu schwinden scheinen. Unter Mortier
haben die Salzburger Festspiele über Österreich hinaus eine europäische Funktion übernommen:
Sie verweisen ihre Besucher und vor allem die politischen Repräsentanten, die sich gern im Licht der Scheinwerfer
beim Betreten der Festspielhäuser sonnen, auf die Notwendigkeit, sich dem Anspruch der Kunst zu stellen,
die Fragen, die sie stellt, zu beantworten, das Beispiel, das sie vorgibt, mit nach Hause zu nehmen: In die
eigene politische Arbeit vor Ort zu integrieren, aus Verantwortung für die ihnen anvertrauten
Menschen und deren Lebensqualität, zu der auch die emotionale Bildung gehört.
Mit der Entscheidung, Peter Ruzicka zum Nachfolger Gerard Mortiers zu bestellen, verband sich in den damit
betrauten Wahlgremien zugleich der Wunsch, die eingeschlagene moderne Linie für die Festspiele fortzusetzen.
Ruzicka ist als Komponist und Dirigent künstlerisch ausgewiesen, zugleich aber auch als Intendant einer
großen, modern ausgerichteten Staats-oper (in Hamburg) sowie der ambitionierten Münchner Biennale
für neues Musiktheater. Ruzickas erste Planungen für die Festspiele 2002 verraten Entschiedenheit
und Augenmaß für das Machbare: Ein neuer Don Giovanni mit Harnoncourt, Kusej (Regie)
und den Wiener Philharmonikern läutet einen neuen Zyklus im Hinblick auf das Mozart-Jahr 2006 ein. Zemlinskys
König Kandaules (Kent Nagano/Robert Carsen), Puccinis Turandot (mit einem neuen
Finale von Berio) und Die Liebe der Danae von Strauss sind weitere Titel. Und die Wiederaufnahme
der Zauberflöte in der Inszenierung Achim Freyers mag für Ruzicka eine besondere Bedeutung
besitzen: Freyers Zauberflöte im Zirkus begleitete schon Ruzickas Hamburger Intendanz, wurde
in veränderter Form auch in Salzburg in den Messehallen zum Erfolg und kehrt nun im ersten Ruzicka-Jahr
in die Felsenreitschule zurück. Wenn man diesen Stafettenlauf als Symbol nehmen darf, wäre es ein
gutes Zeichen für Kontinuität.