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nmz-archiv
nmz 2001/09 | Seite 7
50. Jahrgang | September
Musikwirtschaft
Vermarktungsprobleme abseits des Mainstreams
Vertriebswege von Tonträgern im Vergleich
Neue Einfachheit der Labelgründung dank vereinfachter Produktionsmöglichkeiten? Dieser Schluss mag
nahe liegen, seit sich die Produktion mittels Harddiscrecording und die CD-Pressung im Vergleich zu früher
deutlich verbilligt hat und sich im Zuge der Interneteuphorie das Netz als einfacher und scheinbar jedermann
zugänglicher Vertrieb darstellt. Wenn sich auch das ein oder andere kleine selbstständige CD-Label
aufgrund dieser inzwischen verhältnismäßig einfachen Produktionsmöglichkeiten gegründet
haben mag, so ist dies keineswegs für alle zutreffend und ein Werturteil kann dies schon gar nicht
sein. Zu verschieden sind die Motivationen für die Gründung eines weiteren Labels, für das Wagnis,
einen fast undurchdringlichen Dschungel zu betreten. Die größten Schwierigkeiten eines solchen Kleinunternehmens
lassen sich mit einem Wort benennen: der Hürdenlauf des Vertriebs. Was steckt hinter diesem scheinbaren
Zauberwort, welche Varianten von Vertrieben gibt es? Welche Bedeutung hat ein Vertrieb für Künstler
und Produzenten, vor allem, wenn es sich um Kleinlabels handelt, die neue und improvisierte Musik im weitesten
Sinne produzieren?
Je nach Vertrieb sind die Chancen, eine bestimmte CD im konventionellen oder im Internethandel kaufen zu können,
vor allem aber, zufällig auf sie zu stoßen größer oder kleiner diese Aussage mag
banal scheinen, doch ist sie von zentraler Bedeutung.
CDs, die von Majorlabels produziert werden, haben keinerlei Probleme, in jedem großen Internetshop oder
auch in herkömmlichen Geschäften erhältlich oder bestellbar zu sein. Auch kleinere Labels haben
diese Möglichkeit. Die Voraussetzung ist ein Eintrag in verschiedene Händlerlisten wie zum Beispiel
Cashkit oder Phononet. Diese vereinfachen die Vertriebswege und Bestellungen, große Vertriebe und Händler
orientieren sich an diesen Listen beziehungsweise Datenbanken. Und genau diese Listen sind für viele Kleinstlabels
ein großes Hindernis, kostet der Eintrag doch monatlich eine für Kleinlabels nicht unerhebliche Summe.
Und so sehen die Vertriebswege für zahlreiche Klein- und Kleinstlabels meist anders aus. Finden sie ob
ihres abseits des Mainstreams liegenden Programms, ihrer Größe oder ihres vermuteten eher kleinen
Kundenkreises keinen der großen Sammelvertriebe und sind sie nicht in den großen und teuren Händlerlisten
verzeichnet, so werden sie auch nicht von den führenden Internetanbietern vertrieben. Herkömmliche
Händler orientieren sich teilweise noch am Bielefelder Katalog, in dem ein Eintrag weit günstiger
ist und in dem einige der kleineren Labels (zum Beispiel True Muze) gelistet sind. Über diese Händler
sind sie dann auch bestellbar.
Kleinlabels sind jedoch häufig auf Selbstvermarktung etwa bei Konzerten, über die Künstler,
über Webseiten (zum Beispiel ART.CappuccinoNet. com, MusiCircus) oder kleinere Mail-orderversender (zum
Beispiel Hybrid) angewiesen. Hierzu muss der Kunde jedoch den Verlag kennen, nach einer bestimmten CD Ausschau
halten oder verschiedene Mailorderversender absuchen, um fündig zu werden. Und dazu muss er diesen Mailorderversand
erst kennen. Kurz: die Suche ist oft mit größerem Aufwand verbunden. Für diese Kleinlabels bietet
das Internet eine Hilfe. Viele nutzen die Vertriebsmöglichkeiten über eigene Webseiten deren
Qualitäten fallen jedoch sehr unterschiedlich aus:
Während einige Labels bisher im Internet gar nicht vertreten sind (zum Beispiel MusiCircus) oder nur über
einen Verbund verschiedener Labels zur Improvisation erreichbar sind und auf ihrer dortigen Seite lediglich
eine Liste der Veröffentlichungen mit Bestellmöglichkeit zeigen (zum Beispiel Hybrid), gibt es andere
Labels, die ihre Webseiten ausführlich, klar übersichtlich und aufwändig gestaltet haben (zum
Beispiel Valve-Hearts, meta records). Hier findet man ausführliche Informationen zum Label und seiner Philosophie,
zum Programm, den CDs, den Künstlern und eigenen Veranstaltungen. Einige Labels verkaufen außer bei
Konzerten nur übers Internet (zum Beispiel ART.CappuccinoNet.com). Doch bleibt ein zentrales Problem bestehen:
ein Zufallstreffer ist auch hier über noch so gute Webseiten nur selten gegeben. Denn man muss diese Seiten
kennen und eine Anzeige in Musikzeitschriften mit einem Hinweis auf besagte Webseite kostet wiederum eine hohe
Summe, die nicht so ohne weiteres von allen zu bezahlen ist. Das Engagement eines CD-Käufers muss zweifelsohne
deutlich höher sein als bei einem Großeinkauf in einem der Internet-Mediensupermärkten, in denen
man gleich das Video für den Bruder zum Geburtstag, die Märchenkassette für die Kinder und die
schon übermorgen ganz dringend benötigten Fachbücher gleich mitbestellen kann.
Der Ausschluss der Produktionen kleinerer Labels aus den großen Internetfirmen wie Amazon.de, Adorishop.de,
JPC.de und anderen ist jedoch nur ein, wenn auch nicht zu unterschätzendes Hindernis bei der Vermarktung.
Es gibt Zeitschriften, die nicht in besagten Listen aufgeführte CDs nicht rezensieren. Qualitative Gründe
können wohl kaum dahinter stecken. Auch kann ein kleines Label unmöglich so weit und ausführlich
bemustern wie große, für die es ein finanzielles Kinderspiel ist, eine ganze Auflage nur für
Bemusterungen herzustellen und obendrein die jeweiligen Künstler noch für ein Interview den
jeweiligen Zeitschriften anzubieten und einzufliegen.
Die genannten Labels mögen exemplarisch stehen für zahlreiche andere Labels, die sich ähnlich
vermarkten, aber ganz andere Genres und Stilrichtungen im Programm haben. Die Motivation für die Gründung
eines eigenen Labels kann ganz unterschiedlich sein: besondere Aufnahmetechniken, Musik, die bestimmte stilistische
oder musikalische Kriterien erfüllt (zum Beispiel Durian, For 4Ears), Musik abseits der ausgetretenen Pfade,
die sich nicht auf eine Stilrichtung beschränken lässt.
Allen hier genannten sowie zahlreichen der nicht genannten Labelnamen ist gemeinsam, dass sie qualitativ hochwertige
und hörenswerte Tonträger produzieren, denen man höhere Bekanntheit und Verkaufszahlen nur wünschen
kann.
Und alle stecken sie im selben Teufelskreis des Vertriebs, aus dem ohne finanzielle Mittel nur schwerlich
he- rauszukommen scheint. Vielleicht wären spezielle Einsteigertarife in Händlerlisten für Kleinlabels
eine Hilfe, um diesem Zirkel entfliehen zu können, um durch einen großen Vertrieb erst einmal Bekanntheit
zu erlangen und im Dschungel der Phono-Industrie überleben zu können.