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nmz-archiv
nmz 2001/09 | Seite 6
50. Jahrgang | September
Musikwirtschaft
Bewegende und abenteuerliche Geschichte
Der Musikverlag Zimmermann feiert seinen 125. Geburtstag
Ein Verlag mit Tradition ist der Musikverlag Zimmermann. Immerhin feiert das Unternehmen in diesem Jahr seinen
125. Geburtstag und ist seit Firmengründung in Familienhand. Aber es ist auch ein Verlag, der exemplarisch
alle historischen Tiefen des vergangenen Jahrhunderts am eigenen Leib durchlebt und durchlitten hat, der also
im Laufe seiner 125 Jahre immer wieder Einbrüche und Neu-Anfänge erleben und überstehen musste.
Grande Dame des Musikverlagslebens: Maja-Maria Reis. Foto:
Zimmermann
Wie häufig in der Verlagsbranche geht die Gründung auf eine Einzelpersönlichkeit zurück,
die die Liebe zur Musik zum Lebensinhalt machte. 1876 entschloss sich der gebürtige Mecklenburger Julius
Heinrich Zimmermann, der in Berlin eine Banklehre gemacht hatte und von dort nach St. Petersburg versetzt worden
war, von nun an Musikinstrumente zu verkaufen. Er erwarb Instrumente deutscher Herkunft und vertrieb sie in
Russland. Erfolg stellte sich schnell ein, nicht zuletzt messbar an einer wahren Anekdote, die
nach wie vor gerne erzählt wird: Russische Bauern, die unbedingt eine Ziehharmonika erwerben wollten, aber
nur sonntags in die Stadt kamen, warfen im Geschäft die Fensterscheiben ein, um an ein Instrument zu kommen.
Den Preis hinterlegten sie im Laden nicht bekannt ist allerdings, wer für die beschädigten
Scheiben aufkam.
Zunächst als kostenlose Zugabe erschienen sehr bald die ersten Notenausgaben, die zur Gründung des
eigentlichen Verlags führten. Hinzu kamen eigene Instrumenten-Werkstätten mit der Entwicklung spezieller
Zimmermann-Instrumente sowie die internationale Ausdehnung des Vertriebs.
Für die Expansion des Unternehmens zeugen auch die Gründungen mehrerer Filialen: in Moskau, in London
und in Riga. Julius Heinrich Zimmermann selbst ging 1886 zurück nach Deutschland, ließ sich in Leipzig
nieder und gründete hier einen weiteren Unternehmenszweig. Um 1900 war Zimmermann mit insgesamt zirka 400
Angestellten einer der größten Musikwarenhändler in Europa.
Der erste Weltkrieg und seine politischen Folgen führten zum ersten großen Einbruch, den das Unternehmen
hinnehmen musste. Der jüngere Sohn Julius Heinrichs, Wilhelm Zimmermann, der seit 1912 im Petersburger
Geschäft arbeitete, wurde als unerwünschter Deutscher in den Ural verbannt sicher auch aus
ökonomischen Motiven, konnte doch auf diese Weise die gesamte Firma zu feindlichem Vermögen
erklärt werden. Übernahm zunächst ein russischer Zweig der Familie Zimmermann die Geschäfte,
so wurde nur wenig später das gesamte Unternehmen kurzerhand nationalisiert ohne Zahlung von Schadenersatz
selbstverständlich.
Nach einer abenteuerlichen Flucht aus dem Ural und nach dem Tod des Vaters im Jahr 1923 übernahm Wilhelm
gemeinsam mit seinem Bruder August die Leipziger Geschäfte; Ende der 20er-Jahre teilten die beiden die
Unternehmensbereiche untereinander auf: Wilhelm überließ dem Bruder die Instrumente und führte
fortan den Verlag. Schon jetzt zählte neben Instrumentalschulen gehobene Unterhaltungsmusik zu den Schwerpunkten
des Programms. Daneben entwi-ckelte Wilhelm eine große Begeisterung für den Jazz und gab unter anderem
die ersten deutschsprachigen Jazz-Schulen heraus.
In den 30er-Jahren wurde Wilhelm aufgrund seiner jüdischen Vorfahren die verlegerische Tätigkeit
zunächst verboten. Es gelang jedoch, die Erlaubnis für eine reduzierte Fortsetzung zu erwirken. Bis
heute ist die eine oder andere Frage aus dieser Zeit ungeklärt: wie die Weiterführung möglich
wurde ist dem Verlag trotz einiger Recherche heute ebenso unklar wie die Frage, was genau aus dem Musikinstrumentenhandel
wurde. Fest steht, dass mit dem Tod Augusts im Jahr 1952 dieser Unternehmenszweig endgültig aufgegeben
wurde.
Schon 1946 ging der Verlag von Wilhelm nach dessen Tod auf seine Witwe Edith über. Diese setzte das Unternehmen
zusammen mit ihrer Tochter, Maja-Maria (spätere Reis) fort. Mit einem untrüglichen Gefühl für
die politischen Entwicklungen beschloss Edith, Leipzig zu verlassen und nach Frankfurt überzusiedeln. Die
wichtigs- ten Verlagswerke erreichten per Postpaket das neue Domizil. Vieles aber blieb zurück und fiel
1952 erneut der Enteignung zum Opfer. Verlagsverträge wurden beschlagnahmt, Restbestände wurden vom
Leipziger Verlag Hofmeister übernommen kostenfrei selbstverständlich. Erst Anfang der 90er-Jahre
gab das Leipziger Staatsarchiv die Verlagsverträge heraus, die bis dahin streng unter Verschluss gehalten
worden waren.
Edith Zimmermann und ihre Tochter mussten also wieder einmal klein anfangen. Komponisten wie
Bertold Hummel oder Siegfrid Fink wurden veröffentlicht, daneben setzten die beiden Verlegerinnen einen
Schwerpunkt im musikpädagogischen Bereich. Edith und später Maja-Maria bauten die Schlagzeug-Literatur
aus, vergaßen darüber aber nicht traditionelle Verlagsschwerpunkte wie die Flötenmusik. Die
Heirat von Maja-Maria mit Werner Reis erweiterte das Firmen-Spektrum um eine Druckerei, die noch heute zum Unternehmen
gehört. Zeichen der erneuten Expansion war im Jahr 1991 der Erwerb des Lienau-Verlags, der jedoch rechtlich
eigenständig agiert.
Maja-Maria Reis galt wie ihre Mutter als Grande Dame des Musiklebens. Ihr Engagement
für die Sache der Musikverlage ist Legende. Sie vertrat die Interessen der Musikverleger im Börsenverein
des Deutschen Buchhandels, im Deutschen Musikrat und im Beirat der Frankfurter Messegesellschaft.
Außerdem fungierte sie bei der GEMA als geschäftsführende Kuratorin der GEMA-Sozialkasse. Nach
ihrem Tod im Jahr 2000 übernahm wiederum die Tochter, Cornelia Großmann, das Unternehmen. Sie kümmert
sich als Geschäftsführerin um die Druckerei zum Geschäftsführer des Verlags wurde
daneben im Januar 2000 Michael Kary ernannt, der von Haus aus Rechtsanwalt ist und das operative Geschäft
des Verlags leitet. Der Programm-Bereich bleibt in der Familie; er wird geführt von Cornelia Großmann,
die gelernte Musikalienhändlerin ist. Schwerpunkte des Programms sind nach wie vor die Schul-literatur
sowie die Förderung zeitgenössischer Komponisten. Wirtschaftlich von Interesse sind vor allem die
Flöten- und Percussion-Schulen sowie die Verwertung der Orchestermusikrechte.
125 Jahre sind für den Verlag Anlass, sich selbst zu feiern. Ein buntes Geburtstags-Zeltfest natürlich
mit viel Musik wird im September das Betriebsgelände des Unternehmens aufmischen und Zeugnis geben
von einem lebendigen Musikverlag, der alle Unbill der Geschichte offensichtlich lebendig und gut überstanden
hat.