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nmz-archiv
nmz 2001/09 | Seite 38
50. Jahrgang | September
Jazz, Rock, Pop
Klarinetten-Plattler mit RumnRhythm
Das 11. Tanz- und FolkFest Rudolstadt Altbewährtes und Neues
Erstes Juliwochenende im thüringischen Rudolstadt. Wie jedes Jahr wird der Ausnahmezustand über die
kleine Stadt im Saaletal verhängt, drei Tage lang und vier nicht enden wollende Nächte. Denn
wie jedes Jahr fallen auch im neuen Jahrtausend die Folkies über Rudolstadt her, nun schon zum elften Mal
seit dem Wendejahr 1990.
Adäquat zum vergangenen Jahr war auf der Heidecksburg am Vorabend der offiziellen Eröffnung ein besonderes
Konzert angesagt. Die Urgesteine der deutsch-deutschen Folkszene feierten Silberhochzeit. 25 Jahre
ist es her, dass sich Liederjan (West) und Folkländer/Bierfiedler (Ost) gründeten, um in Ost und in
West dem Strom der tümelnden Volksmusik oder abgeflachter Rock- und Popmusik mit einer etwas
anderen Bewegung entgegen zu schwimmen. Beide Folkbands kennen sich seit Jahren und standen 1982 erstmals gemeinsam
auf der Bühne.
Länderspecial Kleine Antillen mit Tammy & The Boys. Foto: Silvia
Hauptmann
Nun, schon etwas in die Jahre gekommen, feierten beide Bands ihren Fünfundzwanzigsten gemeinsam und deklarierten
dieses Großereignis schlichtweg zur Silberhochzeit. Und dass aus dem einstig erzwungenen Status
der Gütertrennung jetzt eine kreative Zugewinngemeinschaft geworden ist, konnten 3.200 Folkfans miterleben.
Zum gelungenen Abend trugen eine Vielzahl Gäste bei: Dick Gaughan, der große schottische Liedersänger,
Markus Brachtendorf von Lecker Sachen, die Überbleibsel von Zupfgeigenhansel Thomas Fritz und Erich Schmeckenbecher,
die Leipziger Folk Session Band, JAMS-Gründer Jo Meyer und Wolfgang Meyering, um nur einige zu nennen.
Einen Tag später, am Abend der offiziellen Eröffnung, sollten die Rudolstädter und ihre Gäste
wahrnehmen, in welches Land, welche deutsche Region und mit welchem Instrument sie im Jahr 2001 entführt
werden sollten. Beim schon zur Tradition gewordenen Länderspezial standen die Kleinen Antillen im Mittelpunkt.
Während die geografische Lage dieser Inselgruppe gar nicht so leicht zu definieren ist, der vulkanische
Inselbogen zieht sich zwischen der Ostküste Puerto Ricos bis an den Nordrand Südamerikas hin, kann
man hingegen die Musik eindeutig beschreiben: RumnRhythm! Lautstark, temperamentvoll und vibrierend
ist diese Musik, die sogar eine deutsche Kleinstadt in Schwingung versetzen kann. Calypso, Zouk und Kwedril
verzauberten die eher linkisch wirkenden Europäer, deren Blut von der Ebony Steel Band, von Caribbean Brass,
von Àja oder der Original Turtle Shell Band in Wallung gebracht wurde.
Weniger traditionell als das Länderspezial war Focus regional, die Präsentation der
Musik einer deutschen Region. Das Experiment wurde in diesem Jahr erstmals getestet, hat bestanden und wird
fortgesetzt. Und welches Bundesland eignet sich für so einen Testlauf besser als Bayern. Die
Veranstalter hatten es nicht schwer, genießt doch die bayerische Musik eine Sonderstellung in der deutschen
Szene, auch jenseits des Stadels. Und Rudolstadt macht es eben möglich, dass sich sowohl Schuhplattler
als auch Biermösl Blosn auf einer Bühne präsentieren. Das Spezial-Konzert Bayern vereinte die
Brüder Well mit den Jungen Jodlern Niedersonthofen und die Plattler der Gaugruppe des Isargaus mit dem
gesellschaftskritischen Bluessänger Tiger Willi, der in seinen Liedern Themen anspricht, bei denen viele
so gern weghören. Das Konzept von Focus regional ist aufgegangen und soll im nächsten
Jahr mit der Region Ruhrgebiet fortgesetzt werden.
Auch wenn es unmöglich ist, allen 23 Bühnen einen Besuch abzustatten und man sich am liebsten zerteilen
möchte, eins war nicht zu überhören: die Klarinette in allen Varianten. Sie stand beim Instrumentenspezial,
auch schon eine Tradition, auf dem Plan. Im Spezial-Konzert Magic Clarinets hatte Wolfgang Meyering
wieder Musiker, sprich Klarinettisten, aller Herren Länder vereinigt: Bulgarien, Finnland, Russland, USA,
Baskenland, Deutschland. Hier strafte er Walter Kempowski Lügen, der in seinem Buch Schöne Aussichten
das Klarinettenspiel als Wurzelgelutsche bezeichnet.
Doch was ist die schönste Musi wert, wenn für den Nachwuchs nicht Sorge getragen wird? Beim FolkFest
Rudolstadt gibt es auch hier Altbewährtes und Neues. Bereits zum 10. Mal wurde der Deutsche Folk-Förderpreis
(DFF) von PROFOLK, dem Sender MDR Kultur und dem Tanz- und FolkFest Rudolstadt
in Zusammenarbeit mit dem Musikmagazin FOLKER ausgelobt. Aus den eigenen Reihen ist der DFF seit dem vergangenen
Jahr in die Kritik geraten, und seitdem wurden Debatten über die Ausschreibung, über Zielgruppen und
Förderung der Sieger geführt. Einen Neuanfang des DFF sollte die neu besetzte Jury bringen.
Mit der Musikerin Cathrin Ausch, dem Folkrapper Markus Brachtendorf, den Musikern Johannes Uhlmann und Robert
Zollitsch wurde die Jury erheblich verjüngt und nur Rainer Prüß vertrat als Vorsitzender die
alte Folkgarde. Der 25-jährige Geiger Toni
Geiling konnte den 1. Preis und eine Trophäe, überreicht und gebaut vom Vorjahressieger, entgegennehmen.
Überzeugt hat er durch ein eigenständiges Konzept, seine originäre Art fernab jedweder
Klischees, die wunderbare Instrumentalarbeit und seine Bühnenpräsentation während des Wettbewerbskonzerts,
fasste Rainer Prüß die Entscheidung der Jury zusammen. Doch auch von den Nachwuchspreisträgern
Matthias und Florian Branschke (Dudelsack), dem Duo Graziella Azad und Stefanie Saß (Geige, Gitarre) sowie
Stefan Blöchl (Bandoneon) wird in Zukunft noch einiges zu erwarten und hören sein. Durch Sponsoren
wurde es ihnen ermöglicht, fünf Tage lang an einem neu gegründeten außerordentlichen Workshop
teilzunehmen.
Der Folkworkshop Folksommer soll zur festen Institution in der ersten Juliwoche werden und wendet
sich nicht nur an Musikschüler, sondern auch an deren Lehrer. Das Vermitteln von Techniken und Praktiken
der Folkmusik soll helfen, den Zugang zu ihr zu finden. In diesem Jahr wurde noch auf Instrumenten gespielt,
die im Musikschulalltag gebräuchlich sind. Mit kompetenten Dozenten aus Dänemark, Tschechien und Deutschland
wurden Stile und Techniken unterschiedlichster traditioneller Musikkultur vermittelt. Schade war, dass der Kontrabass-Kurs
wegen mangelnder Teilnahme abgesagt werden musste. Hier kann man nur allen Musikschullehrern empfehlen, sich
rechtzeitig über das Angebot des nächsten Jahres zu informieren.
Das Tanz- und FolkFest Rudolstadt kann sich hingegen über mangelnde Teilnahme nicht beklagen. Die 60.000
Besucher lassen die Kleinstadt aus allen Nähten platzen und bringt sie an die Grenze des Machbaren. Dass
dem Festival keine Grenzen gesetzt werden, beispielsweise durch die schwierige finanzielle Lage der thüringischen
Kultur, ist der Kunstministerin Thüringens zu empfehlen und allen Beteiligten nur zu wünschen.