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nmz-archiv
nmz 2001/10 | Seite 34
50. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Nehmt alles in allem: Es war eine große Zeit
Die Konzerte der Salzburger Festspiele und die Ära Landesmann
Notwendiger Nachtrag: Die Salzburger Festspiele mit mehr als 200 Veranstaltungen in fünf Wochen lassen
sich nicht in einem Aufsatz erfassen. Über die Operninszenierungen und das Zeitfluss-Festival
berichteten wir in der vorigen Ausgabe der neuen musikzeitung. Im Folgenden soll auch das Konzertprogramm in
einem gedrängten Überblick dargestellt werden. Wie seit neun Festspieljahren wurde es auch 2001 wieder
von Hans Landesmann gestaltet.
Das wichtigste Merkmal der Salzburger Konzertdramaturgie in der Ära Mortier/Landesmann war die umfassende,
gleichrangige Einbeziehung der Musik unserer Zeit in die Konzertprogramme. Hans Landesmann, allein zuständig
für die Konzertplanung, war und ist der Auffassung, dass zur Musik auch und unabdingbar ihre Geschichtlichkeit
gehört. Man darf das Kontinuum aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht unterbrechen, wenn man es
nicht zerstören will. Das haben inzwischen auch andere erkannt: Die Musealisierung des Konzertbetriebs,
die fast zwangsläufig in dessen Absterben führt, ist nur dadurch aufzuhalten und ins Gegenteil zu
verkehren, wenn es gelingt, die Musik der Zeit im Bewusstsein der Menschen präsent zu halten. Wenn eine
bisher eher traditionelle Institution, wie es die Salzburger Festspiele sind, sich so entschlossen zur Gegenwart
und deren schöpferischen Künstlern bekennt, dann wächst daraus zwangsläufig so etwas wie
eine Signalwirkung: Zur Nachahmung empfohlen.
Pierre Boulez probt Bruckners Neunte Sinfonie. Foto: Charlotte Oswald
Wer sich noch einmal die Salzburger Konzertjahre unter Hans Landesmann in Erinnerung rufen möchte, dem
sei die im Zsolnay-Verlag erschienene zweibändige Dokumentation der Festspiele unter Mortier und Landesmann
empfohlen. Der erste Band enthält Oper und Schauspiel, im zweiten werden in einer Reihe von Aufsätzen
die Schwerpunkte und Ziele der Salzburger Konzertdramaturgie unter Landesmann beschrieben. Die Autoren heißen
Pierre Boulez, Wolfgang Rihm, Friedrich Cerha, Maurizio Pollini, dazu bekannte Kritiker wie Peter Hagmann von
der Neuen Zürcher Zeitung sowie der Orchestervorstand der Wiener Philharmoniker, Clemens Hellsberg.
Bleiben wir bei den Wienern: In den ersten Mortier-Jahren war in der Oper das Verhältnis
des Orchesters zu den Festspielen heftig gestört. Seit Hellsberg hat sich das Klima merklich verbessert.
Die Wiener Philharmoniker nehmen wieder ihre unangefochtene Spitzenposition bei den Festspielen ein. Sie engagieren
sich inzwischen auch ehrgeiziger in ihren Programmen: Im letzten Jahr studierten sie sogar Messiaens monströse
Turangalila-Sinfonie ein. Wichtig wurde für sie besonders die Begegnung mit Pierre Boulez,
der ihnen seine speziellen Werke nahe brachte, der aber auch dankbar das Angebot annahm, mit den Wienern
einmal Bruckner einzustudieren. Nach der Achten war in diesem Jahr die Neunte an der
Reihe: Wie klingt Bruckner unter Boulez? Nun, sie klingt im wahrsten Sinne des Wortes, und zwar wunderbar durchsichtig,
klar, durchgehört, weiträumig disponiert und formal genau strukturiert.
Noch einmal die Wiener, und zwar gleich dreimal: Unter Simon Rattle spielte Alfred Brendel alle
fünf Beethovenschen Klavierkonzerte (siehe
unser Bild auf Seite 1). An Natürlichkeit des Musizierens, an energischem Nachdruck und zarter lyrischer
Empfindung, an heller Klangbewusstheit und spannungsvoller Beredtheit zwischen Solist und Orchester waren die
Aufführungen schwer zu überbieten: Beethoven klassisch und modern zugleich. Dazwischen erklangen Schönbergs
Fünf Orchesterstücke op. 16 und die Variationen für Orchester op. 31.
Rattles Präzisionsstreben und der Wiener Klang ergaben so etwas wie einen authentischen Schönberg:
Klarste Strukturen mit Schönklang, wirklich sinnliche Musik.
Schönberg und Beethoven konfrontierte auch Roger Norrington mit seiner Camerata Salzburg in drei Programmen.
Der Bariton Thomas Hampson absolvierte in vier Konzerten einen spannenden Exkurs in das amerikanische Lied:
instruktiv und oft überraschend Qualitätsvolles war zu vernehmen. Auf jeweils ein Konzert verkürzt
erschienen auch die bekannten Reihen der Next Generation und des Progettto Pollini im
Programm. Von Hans Zender erklang Das Hohe Lied Salomons unter Sylvain Cambreling, die Berliner
Philharmoniker präsentierten sich unter einem nach schwerer Erkrankung erstaunlich revitalisierten Claudio
Abbado mit einer grandiosen Darstellung von Mahlers siebter Sinfonie. Mozart wird bei allem Ehrgeiz nicht vergessen,
im Gegenteil: Die Matineen des Mozarteum-Orchesters zeichnen sich seit Jahren durch eine überragende Qualität
aus, die der umsichtigen Arbeit des Chefdirigenten Hubert Soudant zu verdanken ist. Das Mozarteum-Orchester
feiert in diesem Jahr sein 160-jähriges Bestehen. Darüber soll in der nächsten Ausgabe berichtet
werden, ebenso über die verdienstvolle Arbeit des Internationalen Orchesterinstituts Attergau, wo junge
Musiker unter der Patronanz der Wiener Philharmoniker ins Orchesterspiel eingeübt werden, diesmal unter
der Anleitung von Valerie Gergiev. Auch dieser jugendliche Enthusiasmus wirkt auf die Salzburger Festspiele
verjüngend, ebenso wie der finale Auftritt des Gustav-Mahler-Jugendorchesters unter Franz Welser-Möst
mit Mahlers großartig realisierter achter Sinfonie. Hans Landesmann hatte sich dieses Finale zum Abschied
von Salzburg gewünscht.