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nmz-archiv
nmz 2001/10 | Seite 49
50. Jahrgang | Oktober
Dossier: Musik -
Neue Medien - Bildung
.:| designing the web |:.
Grafisches Design im Netz · Von Andreas Heck
Spricht man vom Design im Internet, spricht man automatisch von einer Zeit vor und von einer Zeit nach der
medialen Neuerung, die um das Jahr 1995 mit dem Schlagwort WWW stattfand. Davor waren alle Inhalte
im Netz statisch und in Textform aufbereitet. Es war Ambiente zweiter Klasse, wie der Webdesign-Guru
Hillman Curtis die Ästhetik dieser Zeit bezeichnet, bevor die technischen Neuerungen und höheren Verbindungsgeschwindigkeiten
es ermöglichten, die Netzinhalte in Bewegung zu versetzen.
Seitdem gibt es die art of motion graphics im Internet ebenfalls ein Slogan des bekannten
und viel beschäftigten Designers Curtis. Seit dieser Zeit ruckelt und zuckelt es nicht nur, sondern ergeben
sich auch völlig neue Optiken. Das rein Horizontale und Vertikale des vom Buchdruck und den Printmedien
übernommenen Layouts wird erweitert durch Rundungen, Brüche und Verschwommenes, einstmals Statisches
erweitert durch lineare Bewegungen, Zuckungen und konzeptionierte Filme.
Als Marshall McLuhan in einem ganz anderen Zusammenhang formuliert, dass das Medium die Message
sei, lieferte er für eine junge Garde kreativer Designer und Layouter im Internet den Arbeitstitel für
ihr künftiges Wirken: Die Bewegung ist die Message. Wenn ein Text oder ein Textzug zusätzlich
zu seinem reinen Informationsgehalt über den Bildschirm bewegt wird, entscheiden Größe, Farbe,
Zeichenabstände und Zeichensatz, Geschwindigkeit und Art der Bewegung, wie der Text wirkt, wie ihn der
Betrachter wahrnimmt. Das Textelement kann Ruhe ausstrahlen, zu Konzentration führen, Stabilität ausdrücken
es kann ebenso Hektik verursachen, Schnelligkeit suggerieren oder schlicht verstörend wirken. Längst
kann Bewegung die Message sein, das Eigentliche, das eine Website ausmacht. Das Internet mit seinen
Inhalten ist nicht mehr rein wissenschaftlicher Verwahrungsort digitalisierter Informationen und Daten, sondern
bereits an vielen Ecken ästhetische Ausdrucksform.
Die spezifische Web-Ästhetik ist aber keine reine Erfindung des Internets, sondern entstand zeitgleich
in den Jugendformaten der Fernsehmedien. Das ergab sich meist dadurch, dass optisch wahrnehmbare Bewegungen
zugleich in einer bestimmten Kultur verankert sind. So kennt man in der Werbe- und Designerbranche den Ausdruck
zu sehr MTV für die typisch schnellen Schnitte, die geometrisierten Formen und gleichförmigen
Bewegungen. Während MTV auf seiner Website bereits zu einem anderen Styling übergegangen ist, frönt
der Mobilfunkanbieter LOOP etwa nach wie vor dem MTV-Style (http://www.loop.de/loop/).
Und daneben gibt es zahlreiche Styles, die jedem Designer geläufig sind und jeder für sich eine
abgeschlossene Welt an optisch-akustischen Ausdrucksformen im Netz darstellt.
Da gibt es den düsteren und kühlen Kyle-Cooper-Look (http://www.imaginaryforces.com),
den freaky Look des Pixel-Designs (z.B. http://www.pixelwebdesign.com/),
Geometric Styles (z.B. http://www.motiontheory.com/)
und viele andere mehr. Und immer häufiger genügt sich die Bewegung selbst, ersetzt sie den Inhalt
und wird Webinhalt, zum filmischen Gegenstand (http://www.derbauer.de/B_PORTAL_SEL.htm).
Doch nicht nur das Styling sieht sich heute an vielen Stellen im Netz mit dem Anspruch des Besonderen
konfrontiert. Auch die Bewegungsprinzipien innerhalb einer Seite, die Navigation also, findet immer neue Formen.
Die gängige Darstellung von Menüs an den Seiten einer Website horizontal oder vertikal ausgerichtet
orientiert sich an der Gewohnheit, vor allem an den Inhaltsverzeichnissen gedruckter Informationen. Seitdem
der Wunsch nach Gestaltung, seitdem eine visuelle Sprache Einzug gehalten hat, haben sich neben der Bewegung
der Inhalte auch die Prinzipien der Bewegungen innerhalb der Inhalte geändert.
Die Designer haben sich längst von den Beschränkungen der Frames und Tabellen befreit und ordnen
ihre Navigationselemente nunmehr beliebig im Raum an und gestalten sie auch nicht mehr lediglich in punkto Bedienerfreundlichkeit
(neudeutsch: Usability), sondern Design und Navigation sollen eine Einheit ergeben und dennoch auf
das Wesentliche beschränkt sein. Wie sich die Form der Präsentation des Inhalts nach diesem auszurichten
hat, muss auch die Navigation durch den Inhalt mit diesem in Einklang gebracht werden. Sehr eindrucksvoll gelingt
das Pascal Gliesmann mit seiner Arbeit Subcologne (http://www.subcologne.de/),
in der er den Besucher auf eine visuelle und akustische Reise durch die unterirdischen Netzwerke der Stadt Köln
nimmt. Die Navigation richtet sich dabei auch an den Netzen aus. Ähnlich anspruchsvoll gestaltet sich die
Navigation bei den Designern marc&chan-tal (http://www.marc-chantal.com/index_pc.html).
Hier dient die Navigation nicht nur dazu, sich durch die Internetseiten zu bewegen, sondern ist ebenso gestalterisches
Element, Blickfang und Pausenfüller, während die nächsten Inhalte geladen werden.
Mit den neuen Möglichkeiten erneuern sich ebenso die Ansprüche der Designer immer wieder. Hillman
Curtis geht mittlerweile so weit, dass er auf die Globalität des Designs verweist: Obwohl der Inhalt
häufig nur lokale Bedeutung hat und in einer bestimmten Sprache verfasst ist, könnte die Sprache des
Grafikdesigners diese Hürde nehmen und Übersetzungen überflüssig machen. Als Designer in
diesem neuen Medium sollten wir darum bemüht sein, nationale Grenzen zu überschreiten und eine globale
visuelle Sprache (GVS) zu schaffen. Was er damit auch meinen könnte, nämlich das Internet als
künstlerisches Medium, zeigt er auf seiner eigenen Website (http://www.hillmancurtis.com)
mit seinen Internet-Kurzfilmen 60 seconds with
Doch neben den künstlerischen oder rein spielerischen Aspekten modernen Grafikdesigns geht es auch um
konkrete Anforderungen, zum Beispiel den Anforderungen eines Auftrages für einen Kunden, der es erforderlich
macht, die Theorie zu verlassen und statt dessen Prozesse zu entwickeln, die aus Theorie Praxis werden lassen.
Und hierbei müssen grundlegende Gegebenheiten berücksichtigt werden: Welche Inhalte sollen mit wem
kommuniziert werden (form follows function)? Welche technische Umgebung ist zu berücksichtigen (visual
borders)? Wieviel kann der aufmerksame Betrachter gleichzeitig erfassen (multitasking)? Welche Elemente ermöglichen
(emotionale) Identifizierung (branding)? Diese vier grundlegenden Fragen sind zu stellen, wenn ein bestimmtes
Design für eine bestimmte Seite erstellt werden soll. Aber nicht nur solch theoretische Überlegungen
vor Beginn einer Arbeit spielen eine Rolle, sondern schlicht auch das technische Equipment. Der erfahrene Beobachter
erkennt an vielen Websites auf den ersten Blick, mit welchen Tools sie erstellt wurden. Je professioneller Programme
und Design-Tools werden, umso einfacher wird zwar der Zugang für den Einzelnen, aber umso mehr weicht die
kreative Einzelleistung und ästhetische Geschmacksausbildung vor Einheitsbrei und Allerweltsgrafik zurück.
Es genügt eben nicht, weit verbreitete und professionelle Werkzeuge wie Photoshop oder Flash anzuwenden,
um zu einer visuellen Sprache zu gelangen, sondern es gehört auch die Fähigkeit dazu,
Formen und Bewegungen soweit zu imaginieren, dass sie nach Abschluss der Arbeit in der Lage sind, Inhalte zu
kommunizieren. Die besten Beispiele im Internet zeigen eben genau das: Everything else is just Internet.