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nmz-archiv
nmz 2001/10 | Seite 47-48
50. Jahrgang | Oktober
Dossier: Musik -
Neue Medien - Bildung
RocknRoll mit dem Computer komprimieren
Eine Unterrichtseinheit am Werkgymnasium in Heidenheim · Von Joachim Kocsis
Das Werkgymnasium ist ein mathematisch-naturwissenschaftliches Gymnasium mit Ganztages- und Mensabetrieb. Zu
der normalen Stundentafel werden als Besonderheit praktische Kurse vier- beziehungsweise fünfstündig
pro Woche unterrichtet. Sie beginnen schon in der Unterstufe mit dem Praktischen Grundkurs. Nach einer Orientierung
in Klassenstufe 7 wählen die Schüler bis zum Abitur einen der weiterführenden Profilkurse: entweder
Kurs A, der ingenieurwissenschaftlich-technisch orientiert ist, oder Kurs B mit naturwissenschaftlich-experimenteller
Zielsetzung oder Kurs C, der medientechnisch-künstlerische Ziele verfolgt. Dabei werden unter anderem Aufnahmetechnik
und Bearbeitungsmöglichkeiten im Videobereich vermittelt. Seit zwei Jahren wird die Konzeption eines Medienprofils
erarbeitet, in dem der Computer als zentrales Medium eingesetzt wird.
Technische Kompetenz als Voraussetzung
Bei dem Einsatz des Computers im Musikunterricht muss auf jeden Fall die Voraussetzung der technischen Kompetenz
angesprochen werden. Wie oft haben Schüler oder Kollegen erklärt, welche tollen Möglichkeiten
ein solcher Rechner bietet.
Der Computer kann Bilder mit Musik vereinen. Unterricht über das Netz ist möglich. Schüler können
mit einem Notationsprogramm Noten schreiben und ihre Komposition gleich anhören. Solche Aussagen lassen
sich jedoch nur dann sinnvoll verwirklichen, wenn die jeweilige Unterrichtseinheit didaktisch sorgfältig
vorbereitet ist und jede Phase zuvor vom Lehrer selbst am Computer ausprobiert wurde. Schnell verliert der Lehrer
ansonsten den Überblick über die Arbeit der Schüler am Computer und frustriert damit sich, später
auch die Schüler.
Daher muss beim Einsatz des Computers die Vorbereitung des Unterrichtes wesentlich intensiver sein, als dies
bei der Verwendung der meisten anderen Medien im Unterricht der Fall ist. Der souveräne Umgang des Lehrers
mit dem Computer ist unbedingte Voraussetzung für seinen Unterricht und Umgang mit ihm.
Daneben sollte an der Schule die Zusammenarbeit mit den Kollegen konstruktiv sein, die die Computereinrichtung
betreuen. Immer wieder wird es Rückfragen bezüglich der Möglichkeiten eines schulinternen Netzwerks
geben.
Voraussetzungen für die Unterrichtsreihe
Computer-Team der Oberstufe des Heidenheimer Gymnasiums. Foto: Kocsis
Als sich im vergangenen Jahr das Schuljahr dem Ende näherte, stand in einer achten Klasse noch die Unterrichtseinheit
Populäre Musik an. Erfahrungsgemäß bleiben in dieser Jahreszeit Stunden, die man
gut dazu nutzen kann, etwas zu erarbeiten, bei dem die Schüler ein anderes Ziel vor Augen haben als die
nächste Klassenarbeit. Daher nahm ich mir vor, mit der Klasse ein gemeinsames Arrangement zu produzieren.
Um zu zeigen, welche technischen Möglichkeiten sich durch einen Computer für die Musikindustrie, insbesondere
für die Popmusik ergeben, entschied ich mich für den Einsatz dieses Mediums im Unterricht.
Aktuelle Hits und Stilrichtungen standen bei dieser Einheit weniger im Vordergrund. Diesen Bereich sollten
Referate zu einzelnen Popgruppen oder Interpreten abdecken. Wichtiger erschien mir, die Entwicklung und Geschichte
der Popularmusik einzubeziehen. Aktuelle Interpreten im Unterricht zu behandeln stellt sich erfahrungsgemäß
als schwierig dar, da dies in einer Klasse sehr schnell zu Polarisierungen nach Stilrichtungen oder Fangruppen
eines speziellen Stars führen kann, die einer sachgemäßen Diskussion und Arbeit im Wege stehen
können. Daher sollte sich die Einheit in drei Schwerpunkte gliedern: a) der Wissensvermittlung von Geschichte
und Entwicklung der Popmusik; b) Referate zu aktuellen Interpreten, Popgruppen und Stilen; c) dem möglichst
praxisorientierten Einsatz des Computers mit der Produktion eines Songs.
Als Glücksfall erwies sich, dass ein Kollege aus dem Physik- und Mathematikbereich von der Idee, einen
Song mit dem Computer zu arrangieren und aufzunehmen, begeistert war. Er erklärte sich bereit, die Einrichtung
eines Aufnahmestudios vorzunehmen, anschließend den Song endgültig abzumischen und sich
um die Vervielfältigung zu kümmern. Ohne seine Unterstützung wären wir innerhalb der verhältnismäßig
kurzen Zeit nicht zu dem erhofften Ergebnis gekommen. Er brachte die nötige technische Kompetenz mit, während
ich mich mit den Schülern auf die eigentliche Aufgabe der Wissensvermittlung und dem Arrangieren eines
Songs konzentrieren konnte.
Grundsätzliche Planung
Wie kann eine solche komplexe Einheit nun innerhalb von acht Wochen verwirklicht werden? Eine präzise
zeitliche Planung war notwendig. Zuerst mussten einige Stunden traditionellen Musikunterrichts zur
Geschichte und den Merkmalen der Popmusik erfolgen. Hier sollten Voraussetzungen für die Projektphase geschaffen
werden. Dann konnte die Stilrichtung des RocknRoll herausgegriffen werden. Bei entsprechender
Begeisterung der Schüler wollte ich mit ihnen einen solchen Song arrangieren und produzieren. Das Ergebnis
könnte dann beim Schulfest am Ende des Schuljahres den Besuchern zum Verkauf angeboten werden.
Expertenteams
Wie kann eine Klasse von 25 Schülerinnen und Schülern bei der Produktion eines Songs mit dem Computer
zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen? Hier bietet sich die arbeitsteilige Gruppenarbeit an. Expertenteams sollten
gebildet werden. Jede Gruppe befasst sich mit je einem Bereich wie Text/Melodiestimme, Gitarrenbegleitung, Schlagzeugbegleitung,
Harmonieinstrument. Da es mehrere Teams mit gleicher Aufgabe geben wird, kann nach gegenseitiger Absprache nur
das bessere Ergebnis verwendet werden. Die Teams sollten sich regelmäßig absprechen. Eine solche
Aufteilung in Experten auch für die einzelnen Begleitinstrumente funktioniert gut, wenn sich alle Gruppen
an einem Harmonieschema, hier dem Bluesschema, orientieren. Dieses Schema liegt den meisten Titeln
des RocknRoll zugrunde und ist für diesen Stil typisch.
Unterrichtszusammenhang
Die gesamte Unterrichtseinheit begann ich mit einer Stunde, in der Ausschnitte aus den verschiedensten Aufnahmen
der Popmusik, Volksmusik, dem Bereich des Klassik-Rock und anderen Musikstilen verglichen wurden. Rasch diskutierten
die Schüler, was Popmusik überhaupt ist. Das Ergebnis war, dass diese Musikrichtung aufgrund ihres
soziologischen Hintergrundes definiert werden muss. Die Musikrichtung zeichnet sich durch ihre massenweise Verbreitung
aus. Auch unterliegt sie gesellschaftlichen Modeerscheinungen. Schüler der achten Klasse ordnen in diesem
Zusammenhang Titel der Beatles oder von Elvis Presley nur sehr ungern dem Bereich der Popmusik zu. Lediglich
aus der Perspektive der jeweiligen Zeit konnten die Schüler verstehen, dass die Lieder solcher Interpreten
zu ihrer Zeit populär waren.
Die Diskussion konnte sehr sachlich geführt werden, da emotionale Vorlieben für Gruppen, Interpreten
oder bestimmte Titel keine Rolle spielten. Anschließend erarbeiteten wir Entwicklungen und die Geschichte
der Popmusik, die durch verschiedene Referate ergänzt wurden. Hier konnten die Schüler ihr Vorwissen
zu Stilformen und aktuellen Hits einbringen.
Zum Abschluss bereiten die Schüler eine Präsentation ihrer Ergebnisse
mit dem Mediator (Bildhintergrund) vor. Foto: Joachim Kocsis
Nachdem auch Stilformen der 50er- und 60er-Jahre thematisiert waren, konnte ich den RocknRoll
herausgreifen und die Klasse fragen, was sie von dem Vorschlag halte, einen RocknRoll-Titel unter
Einbeziehung des Computers selbst zu arrangieren, zu texten und insgesamt zu produzieren, um das Ergebnis beim
Schulfest zum Verkauf anzubieten. Dieser Schritt ist für ein solches Projekt sehr wichtig, da anschließend
auf die Solidarität der Klasse gebaut werden kann. Die Schüler waren sehr erfreut, da sie eine willkommene
Abwechslung zum normalen Unterricht sahen. Nun war es ein Leichtes, in die eigentliche Projektphase einzusteigen,
in der der Computer zum wesentlichen Hilfsmittel wurde.
Der Unterrichtsverlauf im Überblick
1. Die Merkmale des RocknRoll
Eingebettet in die Unterrichtseinheit Populäre Musik erarbeiteten wir die Merkmale des RocknRoll.
Folgende Beispiele eigneten sich zum Singen und Hören: Jonny B. Goode von Chuck Berry / Jailhouse
Rock von Elvis Presley. Anschließend galt es, die musikalischen Mittel herauszufinden, die den Liedern
ihren spannungsreichen und bewegten Ausdruck verleihen und ihnen schließlich zum kommerziellen Erfolg
verhalfen. Sehr schnell fiel dabei im Lied Jonny B. Goode die blue note (Ton es)
auf, die pro Strophe im Vergleich zum Grundton (16-mal) 45-mal zu hören ist. Erste Bezüge zum Blues
lagen nahe. Im weiteren Verlauf wurde das Bluesschema herausgearbeitet, welches in beiden Beispielen nachzuweisen
ist.
Daneben erfuhren die Schüler im Unterricht den Bezug zum Rhythm and Blues, der mit seinen schnellen,
hämmernden Rhythmen und seiner schrillen Besetzung in beiden Titeln deutlich wird. Volkstümlichen
Elementen der weißen Country & Western Musik können in den Liedern ebenso
herausgestellt werden wie die virtuose Gitarren- und Banjobegleitung des Country & Western-Stils
der zum Beispiel in den Gitarrensoli der RocknRoll Titel Eingang gefunden hat. Daher war der Zusammenhang
von Rhythm and Blues und Country and Western im Rockn Roll klar.
2. Aufgabenbeschreibung und Einteilung der Expertenteams:
Nachdem deutlich war, auf welche Merkmale es beim RocknRoll ankommt, konnten der Klasse spezielle
Aufgaben zur Bearbeitung erläutert werden. So wurde zum Beispiel geklärt, worauf es bei einem Schlagzeugarrangement
ankommt. Ein kurzes Beispiel wurde gemeinsam am Computer eingegeben.
Nun wurden Expertenteams gebildet. Die einzelnen Gruppen hatten sich jeweils zu kümmern um die Aufnahme
beziehungsweise Computereingabe eines Bereiches: a) Schlagzeug; b) Akkordinstrumente (Strings oder Keyboard);
c) Bass; d) Gitarrenakkorde (Akkorde und ein Solo); e) Melodiestimme der Bläser (z. B. Saxophon oder Trompete);
f) Melodie der Gesangsstimme / Liedtext. Da wir bei 25 Schülern mehrere Expertenteams mit gleicher Aufgabe
hatten, musste klargestellt werden, dass jeweils nur das bessere Ergebnis weiterverwendet werden konnte.
3. Einführung der Musiksoftware:
Nachdem die Aufgaben verteilt waren, galt es, sich mit der Musiksoftware vertraut zu machen. Die Schüler
lernten, auf welche Weise die Noteneingabe möglich ist und mit welchen Ansichten sich arbeiten lässt
(Spuransicht, Clipansicht, Partituransicht, Piano-Roll Ansicht, Event-Ansicht, u. a.). Die Klasse konnte anschließend
Noten von Hand eingeben, Patterns verschieben, kopieren und schneiden. Hier waren schon weiterreichende Vorkenntnisse
mehrerer Schüler aus einer früheren Arbeitsgemeinschaft vorhanden.
4. Arbeit der Expertenteams
Damit die Ergebnisse der einzelnen Teams tonartlich und im weiteren Verlauf aufeinander abgestimmt waren,
bekamen die Schüler eine MIDI-Grunddatei mit mehreren Verläufen des Bluesschemas in C-Dur vorgelegt.
An diesem Schema hatte sich die Noteneingabe jeweils zu orientieren. Die Schüler brachten somit ihre Arrangements
mit dem Schema in Einklang. Alle Entwürfe waren daher tonartlich und formal stimmig.
Zur Arbeit der Expertenteams: Die Ergebnisse einer jeden Stunde mussten auf Diskette abgespeichert werden
und wurden von mir nach jeder Unterrichtsstunde zu Hause überprüft und verglichen. Verschiedenartige
Einspielungen von Expertenteams mit gleicher Aufgabe hörten wir zu Beginn der jeweils nächsten Stunde
kurz an und besprachen sie. Danach wurden die Ergebnisse von den Schülern entweder korrigiert oder aber
wir mussten uns für ein Ergebnis zum Weiterarbeiten entscheiden.
5. Stimmbildung und Probenarbeit
Das fertige Ergebnis wurde im Klassenverband gesungen und geprobt. Mit zunehmender sängerischer Sicherheit
der Schüler konnte damit gerechnet werden, dass sich der ein oder andere bereit erklärte, den Gesang
solistisch vorzutragen. Schließlich musste dann sogar unter mehr als 15 Schülerinnen und Schülern
eine Auswahl getroffen werden. Damit möglichst viele Sänger einbezogen werden konnten, wurden die
Strophen mit verschiedenen Schülern besetzt. Beim Refrain wollten ebenfalls mehrere Teilnehmer des Projektes
mitsingen. Die Aufnahme erfolgte in unserem neu eingerichteten Tonstudio.
6. Entwurf des CD-Covers:
Nach der Gesangsaufnahme und Produktion der Audio-CD arbeiteten die Schüler am Entwurf eines Covers (siehe
Abb.). Schließlich sollte die Aufnahme am Schulfest zum Verkauf angeboten werden. Aufgrund der mangelnden
Unterrichtszeit am Schuljahresende wollten die Schüler die Arbeit in ihrer Freizeit erledigen. Das Ergebnis
des Unterrichtprojektes kann auf unserer Seite www.weg-musik.de im Internet eingesehen und angehört werden.
Didaktische Ergebnisse
Innerhalb eines solchen computergestützten, praktisch orientierten Projektunterrichtes lassen sich mehrere
Unterrichtsziele geschickt miteinander vereinen:
a) Die Schüler können die Arbeitsschritte der Produktion eines Songs, wie sie auch in der Realität
durchgeführt werden, sehr klar nachvollziehen, da sie diese selbst angewandt haben. Zudem wurde sehr deutlich,
wie sich Noteneingaben oder Einspielungen sehr einfach bearbeiten lassen. Ebenso war mehreren Schülern
bis dahin nicht bewusst, wie einfach eine Phrase mit dem Computer uminstrumentiert werden kann.
b) Soziales Lernen ergab sich in der Unterrichtseinheit von alleine. Die Schüler mussten innerhalb der
Expertenteams Absprachen treffen und kooperieren. Weil die Thematik der einzelnen Gruppen ineinander griff (zum
Beispiel Melodik-Text, Ausdrucksgehalt-Sounds), mussten die Schülergruppen auch aufeinander zugehen und
sich mit anderen Expertengruppen absprechen. Dadurch entstand ein sehr reges und motiviertes Arbeitsklima.
c) Medienkompetenz erwarben die Schüler, da sie 1. mit dem Computer Musik selbst gestalten
konnten, 2. den Produktionsablauf bei der Entstehung eines Musikstückes der Populären Musik nachvollziehen
mussten, 3. die Möglichkeiten der Tonbearbeitung ausprobierten und reflektierten, 4. ihr Vorwissen bezüglich
des Computers mit einbeziehen konnten.
d) Die Schüler waren bis zur letzten Unterrichtsstunde vor den Sommerferien motiviert.
Welche Vorteile ergeben sich nun durch den Einsatz des Musikcomputers für die Schüler?
Sicher ist, dass viele von ihnen schon zu Hause mit diesem Medium umgehen. Ein Teil der Schüler ist gewöhnt,
sich am Computer mit Spielen die Zeit zu vertreiben oder im Internet zu surfen. Sollten wir nicht versuchen
zu zeigen, welche anderen Möglichkeiten der Computer vor allem im Musikbereich noch bietet? Dass der Einsatz
des Computers in Studios eine Selbstverständlichkeit ist, dürfte bekannt sein. Daher entspräche
es bei einer solchen Unterrichtseinheit Populäre Musik nicht der Lebenswirklichkeit, würde
man den Computer mit seinen Möglichkeiten der klanglichen Manipulation außer Acht lassen. Oft ist
in Aufnahmen nur mehr sehr schwer zu unterscheiden, ob es sich um Originaleinspielungen oder gesamplete Aufnahmen
handelt. Diese Tatsache war im Unterricht verschiedenen Schülern nicht bewusst. Sie haben durch den Einsatz
des Computers ein kritischeres Verhältnis zu Musikeinspielungen aus dem populären Bereich bekommen.
Sicher gibt es auch Schüler, die den Umgang mit dem Computer nicht gewöhnt sind. Wird jedoch in Gruppen
gearbeitet, in denen sich die Schüler gegenseitig unterstützen, bekommen auch diese Schüler Hilfen
und einen Zugang zu dem Medium insgesamt.