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nmz-archiv
nmz 2001/10 | Seite 24
50. Jahrgang | Oktober
Schule
Produktives Nachdenken über Musikvermittlung
Mit dem Ehepaar Schumann in die Schule: ein Projekt der Berufsfachschule für Musik in Dinkelsbühl
Berufsfachschulen für Musik befinden sich zwischen Schule und Hochschule: sie ebnen erst den Weg zur musikalischen
Professionalität. Vielleicht, so dachten wir uns, stünde einer Berufsfachschule deshalb eine Vermittlerrolle
nicht schlecht an. Und entwarfen ein Projekt für allgemein bildende Schulen, in welchem das Ehepaar Schumann
moderiert, illustriert und vor allem interpretiert im Mittelpunkt stehen sollte.
Die Schumann-Thematik bietet neben musikalischen auch menschlich-persönliche Ansprachepotenziale: das
(Miss-) Verhältnis von modischem Erfolg zu bleibendem Nachruhm und seine Auswirkungen auf eine Künstlerehe,
das Thema Genie und Wahnsinn, die Geschichte einer frühen Frauenemanzipation schließlich war
Clara zu Lebzeiten die Berühmtere. Diese Aspekte waren bei dem Versuch hilfreich, möglichst viele
Identifikationsfelder für die Schüler zu schaffen. Den kognitiven Elementen des Musikunterrichts wollten
wir schließlich die sinnliche und emotionale Ebene hinzufügen. Neben den musikalischen Live-Darbietungen
von Musik beider Schumanns arbeiteten wir deshalb ergänzend mit historischem Bildmaterial.
Schülerkompositionen
Außerdem hatten wir drei Schülerkompositionen im Gepäck, was der breiten Streuung der Ausbildungsinhalte
an unserem Institut gemäß ist. Denn die rein instrumentale Spezialisierung, welche viele Hochschulstudiengänge
pflegen, ist nicht alleiniger Bildungsinhalt für die Berufsfachschulen mit ihrem umfassenden Fächerkanon.
So hatten drei Hauptfachpianisten zu vorgegebenen Themenbereichen komponiert. Daraus erwuchsen eine poppig
angehauchte Liebe mit Hindernissen (Johannes Merkle), ein Revolutionsopus mit virtuosem Klavier
und opulentem Schlagzeugeinsatz, welches den Gegensatz der biedermeierlichen Hausidylle der Schumanns mit den
politischen Wirren plastisch vorführte (Jonathan Leroux) und ein Irrenhaus-Stimmungsbild in zwei Teilen,
bei welchem der erste durch progressiv dissoziierende Stimmführung Schizophrenie musikalisch umsetzte,
während im abschließenden Lullaby for a lunatic-Teil der Komponist am Klavier zu einer
Bluesharmonie-Grundlage improvisierte (Johannes Rathgeber). Die Schülerkompositionen waren im Vorfeld aufgenommen
worden und kamen deshalb in den Klassenzimmern vom Band.
Schulsituationen
Musik in der Schule: über unkonzentrierte Jugendliche, Desinteresse und Aggression wird so viel geunkt,
dass auch wir unsere Tour skeptisch angingen. Musikausbildende Institute sind Elfenbeintürme gegenüber
muffigen Musiksälen mit Kreidedunst und invaliden Stutzflügelveteranen.
Wenn dann noch lärmende Fünftklässler zu Beginn wuselnd die Szene stürmten, wurde schon
einmal eine unserer Sängerinnen nervös und attackierte die beteiligten Lehrkräfte genervt: Seid
Ihr sicher, dass das sinnvoll ist? Eine Handvoll Sechstklässler, welche auf diese Weise erstmals
klassischen Gesang vernahm, hatte nämlich ein paar Tage zuvor an einer anderen Schule beim ersten Lied
verstohlen zu kichern begonnen. Auch das muss sein, wenn man nach außen geht, versuchten wir
den zunächst irritierten Schülern klar zu machen: Neues kann immer auch befremden. Das wurde akzeptiert
und es blieb ohnehin ein einmaliger Vorfall.
Die Voreingenommenheiten und Unsicherheiten legten sich überhaupt sehr schnell. Wir waren alle völlig
verblüfft, auf welche Aufmerksamkeit und auf welch lebendiges Zuhören und Mitmachen wir ohne
jede Ausnahme stießen. Das hätten wir niemals erwartet! Teilweise konnten es die beteiligten
Schulmusiker selbst nicht fassen: So still habe ich diese Klassen noch nie erlebt! wurde nicht nur
einmal gestaunt.
Schon Lichtenberg bezeichnete es als sehr vernünftig, dass sich im Deutschen Geld
auf Welt reimt. Clara Wiecks monetäre Popularität bot als Top-Aktie einen dankbaren Einstieg
zum Thema: auch für die Gestaltung des Prospekts war das Konterfei der Pianistin, die ihren Nachfolgern
das öffentliche Auswendigspielen eingebrockt hat, auf dem Schein, den jeder gerne in der Hand hält
(noch!), ein willkommener Aufhänger gewesen.
Vermittlung
Romantik hat heutzutage ja eher mit Titanic-Rührung als mit Friedrich Schlegels geflügeltem
Wort von der progressiven Universalpoesie zu tun: lässt sich diese Begriffsverschiebung vermitteln?
Und: vor dem Pubertieren, so erfuhren wir jedes Mal, ist man noch in überhaupt keinem Sinn romantisch.
Fünft- und Sechstklässler waren je gebannter, je virtuoser die Aktionen einer Vorführung gerieten.
Ein scheinbar so schwer zu rezipierendes Werk wie die späte Robert-Schumann-Violinsonate in a-Moll überfordert
die Aufnahmefähigkeit von Elfjährigen keineswegs, während die Konzentration bei den Jüngeren
immer dann zu schwinden begann, wenn Musik vom Band kam, sei sie auch noch so dankbar zu hören. Das löste
bei den beteiligten Spielern im Nachhinein heftige Diskussionen aus, wie Schulunterricht ansprechend zu gestalten
sei. Man fing an, sich an die eigene Vergangenheit zu erinnern. Musik kommt in der Schule ja fast immer vom
Band verschenkt man damit nicht so manche Überzeugungschance? Müssten Musikausübende nicht
vermehrt in die Schulen ziehen? Und sollten Schulmusiker nicht viel stärker auf solche Angebote eingehen,
auch wenn bei Projekten dieser Art viel an Umorganisation zu leisten ist?
Höhere Klassenstufen dagegen verspürten offenbar keine Mühe mit dem Hören aus der Retorte:
sie waren neugierig, wie ein Fast-Altersgenosse komponiert. Und bei einem Klavier-Nocturne der sechzehnjährigen
Clara aus den Soirées musicales gerieten Mittel- und Oberstufenschüler regelmäßig
sichtbar ins Träumen. Überhaupt erwies sich die Aktion als eine späte Revanche für die populistischere
Schreibweise der Dame. Heines Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht ist der einzige Text,
dem beide Schumanns ein Sololied gewidmet haben. Wir hatten das Liedpaar auf dem Programm und veranstalteten
(sensationslüstern!) jedes Mal eine Abstimmung. Fulminanter Triumph der Gattin! In Ansbach hoben in einer
der Vorführungen gar nur zwei Vereinzelte schüchtern die Hand für Robert.
Auch eine anspruchsvolle Sprachebene kann Aufmerksamkeit evozieren und das Gespür für die Sache
verstärken wenn sie nicht angestrengt oder belehrend daherkommt. Ein großer Teil des unerwarteten
Erfolgs der Aktion war sicher der Moderation (Erich Schneider, unter anderem Musikgeschichtsdozent in Dinkelsbühl)
zu verdanken: erzählend, manchmal auch plaudernd, aber niemals dozierend. Als tragfähige Strategie
erwies sich, bei den Älteren die gezeigten Bilder als Beiwerk zu behandeln, bei den Jüngeren dagegen
um die Bilder herum zu erzählen. War ein leichtes Abflauen der Aufmerksamkeit zu spüren, wurde das
Publikum postwendend mit viel Fingerspitzengefühl durch eine witzige Anekdote oder durch direkte Ansprache
zurückgeholt.
Bilanz
Insgesamt: ein Umdenken auf beiden Seiten war zu spüren. Die angeschriebenen Schulen hatten anfangs gar
nicht oder nur zögerlich reagiert. Aufführungen dieser Art seien schwer zu organisieren, lautete die
Standardargumentation. Ausschlaggebend mag dabei auch gewesen sein, dass man sich vielerorts unter unserem Schultyp
wenig vorstellen kann. Wurde das Projekt dann aber realisiert, schlugen uns durchweg begeisterte Reaktionen
entgegen, wie hilfreich Eindrücke erster Hand bei der Bewältigung des Lehrplans sein könnten:
so vieles könne man jetzt sinnvoll wie nie nacharbeiten. Manche Lehrer baten um das Skript der Vorführung
mit dem eingesetzten Bildmaterial, manche sogar um die CD mit den Schülerkompositionen. Und ausnahmslos
folgten Einladungen für das nächste Schuljahr.
Was die beteiligten Berufsfachschüler anbelangt, konnte man neben zunehmender Solidarisierung beobachten,
wie der viel zitierte pädagogische Eros nach und nach offenbar einen ganzen Pfeilregen niedergehen
ließ. Die Aktion setzte auf Schülerseite beträchtlichen Idealismus voraus: Geld gab es natürlich
keines, an Zeit war viel zu investieren und Ruhm und Ehre erlangten höchstens die Schumanns. Wurde
anfangs vereinzelt beklagt, dass sich bei der Aktion keiner profilieren könne, so reisten wir
am Ende mit einem eingeschweißten Team, welches die Rückkoppelung durch die Klassenzimmer begierig
aufnahm und in die ganze Schule weitertrug: produktives Nachdenken über Musikvermittlung allerorten. Klarer
Sieg, nicht nur für Clara.
Immer häufiger wurde von Schülerseite aus signalisiert, man wolle sich unbedingt ein weiteres Mal
beteiligen. Und natürlich wird die Schumann-Aktion einen Nachfolger finden, hat das positive Echo doch
auch die beiden Initiatoren angespornt. Ein neues, fächerübergreifendes Projekt ist bereits in konzeptioneller
Planung. Dabei wird es aber nicht nur um Musik und Leben eines Komponisten gehen. Auf dem Weg durch die Jahrhunderte
werden wir bis an die Wurzeln von Klangerzeugung und -symbolik vordringen. Mehr wird einstweilen nicht verraten.