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nmz-archiv
nmz 2001/10 | Seite 30
50. Jahrgang | Oktober
ver.die
Fachgruppe Musik
Ja, wir sind die Herren der Welt
NS-Spuren im Liederbuch der Bundeswehr, Teil I · Von Susann Witt-Stahl
Deutsche Soldaten singen immer noch Nazi-Lieder. Das aktuelle Liederbuch der Bundeswehr enthält
Werke führender NS-Ideologen. Die Herkunft der historisch belasteten Wort-Ton-Gebilde, die Wehrmacht und
SS als Begleitmusik für ihre Eroberungskriege dienten, wird jedoch von der militärischen Führung
verschwiegen oder verschleiert, Angaben zu Urhebern gefälscht. Die Bundeswehr will an der Legende vom sauberen
Waffenrock festhalten: Kritik wird zurückgewiesen, Widerstand gegen die Traditionspflege des NS-Liedguts
sogar bestraft.
Getreu dem Adenauerschen Appell (Vergesst mir die Musike nicht, das ist eine wichtige Sache für
die Soldaten!) mochte der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß schon bei Einführung
der allgemeinen Wehrpflicht nicht mehr auf soldatisches Liedgut verzichten. Das erste Liederbuch der Bundeswehr
erschien 1958. Alte Kameraden wie die NS-Barden Hermann Claudius (Herrgott, steh dem Führer
bei) und Hans Baumann (Heiliges Feuer brennt in dem Land) waren gleich wieder vertreten, diesmal
allerdings mit vorwiegend harmloser Feld-Wald-Wiesen-Lyrik. Sie sollte die Märsche des deutschen Soldaten
im Frühtau zu Berge für einige Jahre begleiten.
Mit Kameraden singt!, so der Titel der vorerst letzten Auflage des Liederbuchs von 1991, wollte
die Chorleitung von der Hardthöhe nicht nur die Sangeslust der Truppe wiederbeleben und den frisch rekrutierten
Goldkehlchen aus der ehemaligen Volksarmee die richtige Tonart lehren, sondern vor allem der kritischen
Öffentlichkeit die musikalische Visitenkarte einer modernen demokratischen Armee vorlegen.
Über die Instrumentalisierung der eigentümlichsten deutschen Kulturform für Kriegsverherrlichung
und antisemitische Hetze, den die Vorgänger begangen hatten, zeigte sich das Verteidigungsministerium gut
informiert. In der Zeit des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkriegs wurden Soldatenlieder missbraucht
als Ausdruck nationalsozialistischer Überhöhung, heißt es im Vorwort der Liedersammlung.
Doch skeptische Liederbuch-Benutzer mögen beruhigt sein, denn alle Versuche, das Lied der Soldaten
als Propagandamittel einzusetzen, wissen die vermeintlichen Aufklärer, scheiterten an den Soldaten
selbst; sie sangen ihre eigenen Lieder, Lieder, die nicht in den Liederbüchern standen und nur zögernd
Eingang fanden.
Der Musikwissenschaftler Eberhard Fromman widerspricht dieser euphemistischen Darstellung der Wehrmachtsgeschichte:
Die Wehrmachtsliederbücher wurden fast ausschließlich von Soldaten und Offizieren aus Hitlers
Wehrmacht herausgegeben und enthielten auch Lieder führender NS-Ideologen. Die Behauptung, der deutsche
Soldat habe eine autonome Musikkultur in Kontrast zur nationalsozialistischen Propaganda gepflegt, sei schlichtweg
falsch. Fromman, Autor der Studie Die Lieder der NS-Zeit, kann zahlreiche Belege vorweisen. Beispielsweise
erreichte die Reihe Liedersammlung des Großdeutschen Rundfunks, die von Angehörigen der
Deutschen Wehrmacht zusammengestellt wurde und ab 1940 unter dem Titel Das Lied der Front erschienen
war, Rekordauflagen von mehr als zwei Millionen Exemplaren.
Kein Zweifel, Wehrmachtssoldaten haben an der musikalischen Inszenierung von Hitlers Angriffskrieg an den
Fronttheatern Europas tatkräftig mitgewirkt.
Viele Melodien, nach denen Millionen deutsche Wehrmachtsangehörige ihre Begeisterung für den eigenen
Untergang herausgrölten, sind von Soldatenhand niedergeschrieben worden. Und nicht nur das: Die Sammlung
feldgrauer Poesie nach Noten ist von schwülstigen Glaubensbekenntnissen des deutschen Landsers zum größten
Feldherrn aller Zeiten durchzogen, hingebungsvolle Treueschwüre wie Unteroffizier Hermann Völkers
Soldatenlied (Adolf Hitler soll uns führen, wir sind stets zum Kampf bereit) sind
alles andere als eine Seltenheit. Dass auch gängige Nazi-Hymnen unter anderen Horst Wessels Die
Fahne hoch oder Es zittern die morschen Knochen, das Pflichtlied des Reichsarbeitsdienstes
von Hans Baumann zum Standard-Repertoire der deutschen Wehrmacht gehörten, dokumentieren Editionen
wie Das neue Soldaten-Liederbuch die bekanntesten und meistgesungenen Lieder unserer Wehrmacht.
Das Bundesministerium der Verteidigung beschränkte sich jedoch nicht darauf, die Beteiligung von Hitlers
Kriegern an den Propaganda-Feldzügen für Eroberungskämpfe und Völkermord zu leugnen.
Die Hardthöhe verhalf sogar wieder diversen NS-Lyrikern und -Komponisten zu nachträglichem Ruhm, indem
sie den Nachdruck einer Auswahl vorwiegend unverfänglicher Elaborate ihres umfangreichen uvres in
Kameraden singt! veranlasste. Dort findet man ebenso Lieder von Christian Lahusen, der schon 1931
antisemitische Kampfparolen in Versform goss (Wir sind bereit, zu schneiden schlimme Saat) wie von
den Gaumusikreferenten August Kremser und Gottfried Wolters.