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nmz-archiv
nmz 2001/10 | Seite 26
50. Jahrgang | Oktober
Jugend musiziert
Wer weiß, wo heute Ho3 geprobt wird?
Der 37. Deutsche Kammermusikkurs Jugend musiziert in Trossingen
Schauplatz: die Bundesakademie für musikalische Jugendbildung im idyllischen Trossingen. Im Kammermusiksaal
übt ein Klaviertrio, nebenan feilt ein Holzbläserquintett an einem Sept-Akkord und aus dem großen
Saal erklingt zeitgenössisches Klaviergehämmer. Ein Fagottist irrt samt Instrument durch die Gänge
und fragt: Hat jemand ne Ahnung, wo heute Ho3 geprobt wird?
Wo sind wir denn hier gelandet? Der alljährlich stattfindende Kammermusikkurs des Deutschen Musikrates
hatte in diesem Jahr rund 40 junge Musikerinnen und Musiker im Alter zwischen 12 und 21 Jahren aus dem gesamten
Bundesgebiet und von der Deutschen Schule in Istanbul zum gemeinsamen Musizieren in der Bundesakademie für
musikalische Jugendbildung in Trossingen zusammengeführt. Unter der künstlerischen Leitung von Inge-Susann
Römhild von der Musikhochschule in Lübeck und einem namhaften Dozententeam, bestehend aus Hochschulprofessoren
und Orchestermusikern, wurden vom 26. August bis 9. September 2001 Kammermusikwerke von Mozart über Beethoven
und Dvorák bis hin zu Henze und Prokofieff einstudiert. Ein besonderes Schmankerl des Kurses: der Komponist
Benjamin Schweitzer aus Dresden erarbeitete mit drei Ensembles eigene Werke. Eines davon wurde im Rahmen der
Abschlusskonzerte in Freiburg uraufgeführt. Eine umfangreiche Literaturliste war im Vorfeld von den Dozenten
und der Leitungsgruppe vorgeschlagen worden. Bei ihrer Anmeldung konnten die Musiker Wünsche angeben, die
die Leitung bei der Einteilung der insgesamt 24 Ensembles nach Möglichkeit berücksichtigte.
In der Regel wirkte jeder Teilnehmer dann in zwei verschiedenen Werken mit, an denen jeweils eineinhalb Stunden
pro Tag gearbeitet wurde. Die restliche Zeit stand den Teilnehmern zur freien Verfügung, so dass die einzelnen
Gruppen auch ohne Dozenten an ihrem Werk proben konnten und jeder genügend Zeit zum individuellen Üben
hatte.
Da sich die meisten Teilnehmer vorher nicht kannten und somit keine gemeinsamen Proben vor Kursbeginn abgehalten
werden konnten, war die intensive Vorbereitung der Stücke eines jeden einzelnen Teilnehmers selbstverständliche
Voraussetzung, um direkt mit der Ensemblearbeit beginnen zu können. Außerdem ergaben sich einige
spontane Kammermusikgruppen, die oft noch bis spät in die Nacht just for fun gemeinsam musizierten.
Dies ist nicht zuletzt der bestens bestückten Bibliothek der Bundesakademie zu verdanken, die für
beinahe jede Besetzung Notenmaterial bereithält.
Welche Schwierigkeiten beispielsweise beim Zusammenspiel als Bläseroktett auftreten können, bekamen
die Musiker, die in Wolfgang Amadeus Mozarts Serenade c-Moll mitwirkten, sehr bald zu spüren. Unter Leitung
von Martin Spangenberg (München/Weimar) arbeiteten sie an diesem Werk. Mal waren die Hörner zu präsent,
dann hatten die Klarinetten zu wenig Energie, das nächste Mal waren die Fagotte zu leise einen gemeinsamen
Ensembleklang zu finden war gar nicht so einfach und es erforderte vor allem zweierlei: aufeinander Hören
und aufeinander Eingehen. Auch bei ganz anders besetzten Ensembles war dies der Hauptinhalt der Probenarbeit:
In der Romanze des Streichquartettes Es-Dur von Antonín Dvorák (unter Anleitung von Claude Starck,
Zürich und Sebastian Hamann, Marburg/Frankfurt a.M.) zeigte sich, dass, abgesehen von technischer Perfektion,
auch das gemeinsame Atmen und Fühlen der Tempi für das harmonische Zusammenspiel unerlässlich
sind.
Für eine eher exotische Besetzung hatte Hindemith seine Kammermusik Nr. 1 konzipiert: neben Streichern,
Bläsern und Klavier wirkte hier auch ein Akkordeon sowie Schlagwerk mit. Hier gab es auch außermusikalische
Schwierigkeiten zu meistern. Da das Akkordeon etwas tiefer als Klavier und Xylophon gestimmt war, mussten bei
der Intonation Kompromisse eingegangen werden. Neben der musikalischen Probenarbeit hatte die Leitungsgruppe
und das Dozententeam ein kleines Rahmenprogramm für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zusammengestellt.
So stand die Dispokinese-Expertin und Bewegungspädagogin Alexandra Müller (Berlin) den Teilnehmern
mit Rat und Tat zur Seite. Denn intensive Probenarbeit, wie sie in dem Kurs praktiziert wurde, kann zu Verspannungen
und Fehlhaltungen führen. Neben Einzelberatungen zu instrumentenspezifischer Körperhaltung gab es
täglich eine Stunde Entspannungs-, Lockerungs- und Dehnungsübungen für die gesamte Gruppe. An
einem Abend stand ein Vortrag mit anschließender Diskussion zum Thema Das Arbeitsfeld eines Komponisten
in der heutigen Zeit mit Benjamin Schweitzer auf dem Programm.
Zeit zum Gedankenaustausch bestand bei diesem dicht gedrängten Tagesprogramm deshalb erst zu nächtlicher
Stunde. Und wer noch nicht völlig ausgelaugt war, konnte sich im Tischfußball und Tischtennis-Rundlauf
mit den Dozenten messen. Dass ein solcher Kammermusikkurs aber nicht nur zum gemeinsamen Musizieren und Arbeiten
da ist, bewiesen mit Ausdauer die Teilnehmer und ab und zu auch die Dozenten beim allabendlichen
Zusammensitzen im Foyer der Bundesakademie.
Hier hatte man Gelegenheit, sich gegenseitig im Gespräch näher kennen zu lernen. Zum Beispiel erfuhren
hier die Teilnehmer einiges über die musikalischen Anfänge der Dozenten, die teilweise sogar selbst
Teilnehmer beim Deutschen Kammermusikkurs gewesen waren! Des Weiteren gehörte bald zum täglichen Ritual
die Gruppen-Bestellung beim Trossinger Pizza-Service und die Band, die sich jeden Abend neu formierte
und im Keller für Kontrast-Sound sorgte.
Die meiste Ausdauer aber bewiesen mal wieder die Mädchen: Gerüchte sprechen von Tee-Parties
Tauchsieder-sei-Dank auf dem Zimmer bis morgens um 6... Am Ende des 14-tägigen Kurses standen drei
Abschlusskonzerte in Trossingen, Calw und Schloss Ebnet bei Freiburg auf dem Programm, in denen
die Teilnehmer der Öffentlichkeit die Ergebnisse ihrer Probenarbeit präsentierten.