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nmz-archiv
nmz 2001/10 | Seite 13
50. Jahrgang | Oktober
Initiative
Konzerte für Kinder
Zuhören um wirklich zu hören
Wie Offenes Singen zu einem Propädeutikum für Kinderkonzerte werden kann
Kinder sind in ihrem spontanen Verhalten allen Lebenssituationen gegenüber und so auch in einer Konzertsituation
von einem ständigen Mitmach-Impuls gesteuert. Dies fällt bei jüngeren Kindern besonders
auf und ist ein normaler Vorgang innerhalb ihres gesamtkörperlichen Entwicklungsstandes.
Der Fall einer fiktiven Kinderpersönlichkeit wie Momo aus dem Roman von Michael Ende wird
dagegen eher als Seltenheit erlebt: Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: Zuhören
... Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa,
weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und
hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme.
Sicherlich geben inzwischen viele Konzepte von Kinderkonzerten dem weithin verbreiteten Mitmach-Impuls Raum
und dies oftmals auf durchaus sinnvolle Weise. Und dennoch: wünschen wir uns nicht auch im Sinne der ästhetischen
Ganzheit eines Musikstückes oft ein wenig mehr von Momos Zuhörer-Haltung?
Fast überflüssig, darauf hinzuweisen, dass eine derartige Haltung geübt, ja gelernt werden
muss: Aktives Zuhören ist keine Methode, es ist eine Art des Daseins. Nun ist aber Zuhören
im Gefolge der rasanten technischen Entwicklung gleichzeitig immer schwieriger geworden. Ob es nun die atemberaubend
schnelle Abfolge von Bildsequenzen am Computer, Fernseher oder auch im Kino (Zeichentrickfilme) ist, Pausen
zwischen einem visuellen und akustischen Reiz und der Möglichkeit seiner Verarbeitung gehen immer mehr
gegen Null.
Ruhe, langsames Geschehenlassen, Verweilen, Staunen, Lauschen, Selektieren sind Begriffe, die allmählich
immer mehr ihre praktische Bedeutung verlieren, wenn sie nicht bewusst in einen pädagogischen Kontext als
quasi didaktische Prämisse integriert werden. Hierbei kann das Singen auch in der Form des Offenen Singens
vielleicht gute Hilfestellung leisten und sollte sich stärker als eine Form des Kinderkonzertes etablieren
und viele Institutionen wären aufgerufen, hierbei vielfältig mitzuwirken wie zum Beispiel Kindergärten,
Grundschulen, Musikschulen, Kirchengemeinden.
Das Offene Singen ist eine animative Veranstaltung, die im Wesentlichen die Singbereitschaft im zunächst
völlig ungebildeten Stadium wecken möchte. Aber schon auf dieser Ebene wird der akustische
Eindruck auf den eigenen Körper gelenkt und somit gebündelt, dadurch wird Selektion möglich und
Konzentration gefördert. Singen und Hören sind zwei Bereiche, die auch physiologisch eng aufeinander
bezogen sind, so dass sich Gehörtes im Gesungenen immer verstärkt. Was hier beim Singen der eingängige
Refrain eines Liedes darstellt, ist später im Konzert das sich wiederholende Thema, aber auch die Charakteristik
bestimmter Instrumente oder Instrumentengruppen und auch das Behalten bestimmter Klangfarben, die aus der Instrumentation
resultieren.
Im Umgang mit selbstgesungenen Liedern werden kleine, aber musikalisch bereits formbildende Strukturen erfahren
und wirklich erfasst. Und was hier auf elementarer Ebene kennen gelernt wird, kann im Konzert zu immer kompetenterem
Verstehen auch größerer musikalischer Zusammenhänge führen.
So wie viele Lieder in ihrer melodischen Gestalt unabhängig vom Text einen bestimmten musikalischen Gestus
repräsentieren, der sich dem Gehör einprägt und so zu einem echten Ohrwurm wird,
kann diese Erfahrung auch den Höreindruck im Konzert spezifischer machen. So verstandene musikalische Bildung
kann dann zum Hören- und Verstehen-Wollen führen, da die Grammatik klingender Ereignisse im Lied und
eigenen Singen bereits grundlegend erlebt, erfahren und gelernt wurde. So entsteht allmählich Interesse
an den immanenten Gesetzen und Bauprinzipien der Kunstform Musik vergleichbar einem fesselnden sprachlichen
Kontext. Damit wäre ein wichtiger Schritt in eine Hördimension erreicht, die auf falsche Äußerlichkeiten
verzichten kann und direkt in die Musik hineinführt. Dem Leiter eines Offenen Singens mit Kindern sind
damit Aufgaben gestellt, die über die bloße Funktion eines Animateurs weit hinausgehen. Er muss in
der Lage sein, gültiges Liedmaterial zu finden und die melodischen Aussagequalitäten zu erkennen und
in seiner Präsentation darzustellen. Keine leichte Aufgabe angesichts der Inflation an seichtester Liederproduktion,
mit ihrer Verbreitung auf Kassette und CD in vielen Kinderzimmern. Daher stellt sich auch die Frage, ob das
Offene Singen in diesem Verständnis eine Massenveranstaltung sein kann ein Ruf, der dieser musikalischen
Veranstaltungsform ja immer noch vielfach kritisch anhaftet.
Die Antwort kann nur lauten: Nein! Es geht vielmehr darum, kleine überschaubare Gruppen (die Kinder aus
zwei Kindergärten, zwei Grundschulklassen, zwei Gruppen aus der Musikalischen Früherziehung) in nicht
zu langen zeitlichen Einheiten (max. 45 Min.) zu erfassen und zu erreichen. Dann wird viel von dem gelingen
können, was musikpädagogisch weiterwirken kann und positiv auf die Hörhaltung des kleinen
Konzertbesuchers ausstrahlt.