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nmz 2001/10 | Seite 1, 7
50. Jahrgang | Oktober
Leitartikel
Von Industrielandschaften und Schalke-Fans
Die Erwartungen an die Ruhr-Triennale und an Gerard Mortier sind hoch · Von Eva Küllmer
Ein Fest für die sieben Millionen Einwohner im Ruhrgebiet soll die Ruhr-Triennale werden. Ein Festival
für alle Kunstfreunde der Region, aber auch aus Paris, Brüssel, Amsterdam oder London. Sie alle möchte
der Intendant der Ruhr-Triennale Gerard Mortier an ungewöhnliche Orte locken, in die Industriedenkmäler
des Reviers. Ein spezielles Programm will Mortier bieten: nicht nur hehre Kunst, die er Kunst zwischen
zwei Gänsefüßchen nennt, sondern auch jene, die mit Herbert Grönemeyer und Nick Cave
zu tun hat. Berührungsängste kennt er nicht, so darf das Programm ruhig auch einmal populärer
werden. Schließlich hat man sich ein gewaltiges Ziel gesteckt: 200 Veranstaltungen im Triennale-Jahr 2003.
Man kalkuliert mit rund 250.000 Plätzen, und die wollen verkauft sein. Schließlich findet die Ruhr-Triennale
nicht im Kulturleeren Raum statt, sondern in einer Region, die seit Jahren viel bietet, auch wenn
das überregional nur selten zur Kenntnis genommen wird. Da gibt es nicht nur renommierte Festivals verschiedenster
Genres wie die Wittener Tage für Neue Kammermusik, die Tage Alter Musik in Herne, das Klavier-Festival
Ruhr, die stücke-Tage in Mülheim, die Ruhrfestspiele, die Duisburger Akzente und das Impulse-Festival
freier Theater. Im Ruhrgebiet existieren mehr als ein halbes Dutzend Sinfonieorchester und fünf Musiktheater,
darunter das Essener Aalto Theater, eines der führenden Opernhäuser in der Bundesrepublik. Nicht zu
vergessen die äußerst lebendige freie Szene, im Theater- wie im Musikbereich.
Jetzt also die Triennale als Sahnehäubchen obendrauf sozusagen. Ein Festival, das kommunales Kirchturmdenken
wegwischen und dem Ruhrgebiet zu künstlerischem Glanz und internationalem Renommee verhelfen soll. Das
Super-Festival bietet im Haupt-Triennale-Jahr nicht nur mehr Veranstaltungen als alle anderen, sondern
ist auch finanziell satt ausgestattet. Als spartenübergreifendes Kunstfest ist die Triennale ein Zyklus,
der über drei Jahre angelegt ist. Insgesamt stehen dafür 81 Millionen Mark zur Verfügung. Eine
Summe, die sich folgendermaßen aufschlüsselt: 16 Millionen für 2002, 42 Millionen für das
eigentliche Triennale-Jahr 2003 und 23 Millionen für das Jahr 2004. Hinzu kommen Eintrittseinnahmen sowie
Sponsorengelder. Der Etat stammt zum größten Teil aus dem Landeshaushalt, außerdem fließen
EU-Mittel ein. Vorwürfe, das Land kürze bei anderen Kultureinrichtungen zugunsten der Triennale
genannt wurden öffentliche Bibliotheken und die beiden Kultursekretariate hat der grüne Kulturminister
Michael Vesper entschieden zurückgewiesen: Die Ruhr-Triennale gehe nicht auf Kosten anderer Aktivitäten
im Kulturbereich.
Musik im Industrieraum: das Ensemble Resonanz mit Vivaldis Vier
Jahreszeiten und Weather von Michael Gordon in der Jahrhunderthalle. Foto: M. Vollmer
Dass Michael Vesper ein besonderes Interesse am Gelingen des Renommier-Projektes hat, verwundert nicht. Der
Minister ist Aufsichtsratsvorsitzender der Kultur Ruhr GmbH, das ist jene Gesellschaft, die mit
der Durchführung und Organisation der Ruhr-Triennale betraut ist. Gesellschafter der Kultur Ruhr
GmbH sind die Projekt Ruhr GmbH (51%), eine hundertprozentige Tochter des Landes Nordrhein-Westfalen,
der Kommunalverband Ruhrgebiet (44%) und der Verein Pro Ruhrgebiet (5%). Der Kultur
Ruhr GmbH fällt also die Schlüsselrolle zu, ob das Unternehmen Ruhr-Triennale gelingt oder nicht.
Die Fäden im Hintergrund zieht Peter Landmann. Der studierte Jurist aus musikalischem Elternhaus war bislang
für die regionale Kulturförderung im Kulturministerium NRW zuständig. Nun baut er als Geschäftsführer
der Kultur Ruhr GmbH in neuen Räumlichkeiten in Gelsenkirchen seinen Mitarbeiterstab auf. Zwischen
30 und 40 Personen sollen hier einmal tätig sein und die verschiedenen Projekte betreuen. Zwei gibt es
bereits: das ChorWerkRuhr, ein professioneller Chor, der unter künstlerischer Leitung von Frieder
Bernius mehrfach im Jahr zu Arbeitsphasen und Konzerten zusammenkommt und die Tanzlandschaft Ruhr
mit Sitz in Essen unter Leitung von Stefan Hilterhaus, für die sich die Kultur Ruhr GmbH ab
2002 als (Mit-)Träger engagiert.
Das dritte Projekt, das eigentlich spektakulärste, das MusikWerkRuhr wurde erst einmal auf
die lange Bank geschoben. Geplant war ein Zentrum für die Musik im Industrieraum in der Bochumer
Jahrhunderthalle, dem wichtigsten Triennale-Spielort. Von einem musikwirtschaftlichen Gründerzentrum
war die Rede, von Projektorchestern, die sich auf die Präsentation moderner Musik in Industrieräumen
spezialisieren sollten. Die Werkstatt in der Jahrhunderthalle, so hieß es noch in einer Veröffentlichung
des Ministeriums vom Dezember 2000, solle sich zunächst auf die Produktion von jährlichen Festwochen
Musik im Industrieraum konzentrieren und dann allmählich in eine permanent tätige, innovative
Form von Ruhr-Philharmonie hineinwachsen. Welch visionäre Idee!
Spezial-Ensembles sollten, neben dem ChorWerkRuhr in Bochum arbeiten. Gedacht war an ein Ensemble
für zeitgenössische Musik und eines, das den Bereich der Alten Musik abdeckt; als Streicherensemble
mit breitem musikalischem Spektrum wäre das Ensemble Resonanz hinzugekommen. Ein Ensemble, das man auf
diese Weise an die Region hätte binden können. Das Ensemble Resonanz verlegt nun seinen Sitz nach
Hamburg.
Gerade dieses Ensemble hat mehr als einmal bewiesen, dass es künstlerisch wie konzeptionell in der Lage
ist, ausgefallene Musik-Programme eigens für Industrieräume zu entwickeln.
Das gilt gleichermaßen für das ChorWerkRuhr und das Ensemble Modern, das
in diesem Jahr mit einer grandiosen Aufführung des Musiktheaters Schwarz auf Weiß von
Heiner Goebbels die Reihe Musik im Industrieraum eröffnete. Eine Reihe, die bereits seit drei
Jahren erfolgreich das praktiziert, was Gerard Mortier vorhat: nämlich das Programm auf die jeweiligen
Industriehallen abzustimmen. Das Klangerlebnis im Raum spielt dabei eine ganz entscheidende Rolle. Musik
im Industrieraum mit ihren ausgefeilten Konzertprogrammen, sollte das Herzstück der Ruhr-Triennale
sein. Bezeichnenderweise hat Gerard Mortier bei keiner seiner Pressekonferenzen die Reihe erwähnt.
Geschwärmt hat er allerdings von den historischen Industriestätten im Ruhrgebiet, deren Charakter
man beibehalten möchte, wenn auch hier und da Umbaumaßnahmen nötig sind.
50 Millionen Mark hat man allein für die Jahrhunderthalle in Bochum veranschlagt, für die Sanierung
des Dachs, einen neuen Boden und den Einbau von drei Bühnen. Die Akustik der Halle lässt es jedoch
nicht zu, die drei Bühnen parallel zu bespielen, und kalt wird es nach dem Umbau auch sein. Denn die kathedralenartige
Halle ist einfach zu riesig, um beheizt werden zu können. Probleme dieser Art nimmt Gerard Mortier mit
Gelassenheit.
Neben der Jahrhunderthalle Bochum (eine wahre Montagehalle für die Kunst, so der Minister)
werden der Landschaftspark Duisburg Meiderich, die Zeche und Kokerei Zollverein Essen und die Zeche Zollern
in Dortmund zu den Haupt-Spielstätten der Ruhr-Triennale. Das Gasometer in Oberhausen soll für Ausstellungen
genutzt werden. Als nicht-industrieller Spielort kommt das Festspielhaus Recklinghausen hinzu. Dort
sind die Ruhrfestspiele beheimatet. Die sollen zwar in Zukunft weiter juristisch und organisatorisch unabhängig
bleiben; ihr derzeitiger künstlerischer Leiter Hansgünther Heyme soll jedoch, so Peter Landmann, 2004
durch Gerard Mortier ersetzt werden. Wie die Ruhrfestspiele unter diesen Vorraussetzungen ein eigenes künstlerisches
Profil entwickeln können, bleibt offen.
Die Veranstaltungsreihen der Ruhr-Triennale konzentrieren sich auf den Frühsommer und den Herbst. Im
Frühsommer liegt der Schwerpunkt auf dem Theater, im Herbst auf der Musik. Im Herbst 2002 ist der Start,
und für diese Spielzeit hat Gerard Mortier auch schon etliche Programmpunkte vorgestellt. Mit inszenierter
Kammermusik möchte er beginnen. Dazu gehören Schuberts Liederzyklen Die schöne Müllerin
(eine Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus Zürich) und Die Winterreise (mit Christine Schäfer
als Interpretin und dem Videokünstler Oliver Hermann). Die Tanz-Ikone Reinhild Hoffmann möchte
Gerard Mortier ins Ruhrgebiet zurückholen, sie wird die Kafka-Fragmente von György Kurtág
choreografieren (eine Arbeit, die bereits in Luzern gezeigt wurde). Der französische Regisseur Claude Régy
wird sich mit Janáceks Tagebuch eines Verschollenen beschäftigen. Als Uraufführung
steht eine Musikproduktion des Exilkubanischen Komponisten George Lopez mit dem Titel Gebirgskriegsprojekt
an, ein 90-minütiges Werk über den Ersten Weltkrieg. Aber auch Populäres ist dabei, wie Mozarts
Don Giovanni. Diese Neuinszenierung steht übrigens im Zusammenhang mit einem Da Ponte-Zyklus,
der sich wie ein roter Faden auch durch die Programme der anderen Triennale-Jahre ziehen wird.
Große Namen führt Gerard Mortier an, Regisseure wie Peter Sellars, Peter Brook, Jürgen Flimm
und Christoph Marthaler, dessen spektakuläre Figaro-Deutung der diesjährigen Salzburger
Festspiele im Jahr 2004 ins Ruhrgebiet kommt. Fest steht auch, dass im Rahmen der Ruhr-Triennale Olivier Messiaens
Saint Francois dAssise und Bernd Alois Zimmermanns Soldaten gezeigt werden. In
Vorbereitung sind Musikprojekte unter den Arbeitstiteln Mozart: Abschied, Verdi: Gefühle
und Der Fall Wagner sowie ein Parsifal-Projekt mit Herbert Grönemeyer, an dem auch
das Schauspiel Bochum unter Matthias Hartmann beteiligt sein wird.
Gerard Mortier möchte ferner die Orchester in Nordrhein-Westfalen mit Werken amerikanischer Komponisten
einbeziehen und hat auch schon Pläne mit dem Aalto-Theater geschmiedet. Viele, sehr überzeugende Programm-Ideen
also, die Gerard Mortier verfolgt, die allerdings bislang weder die 200 Veranstaltungen 2003, noch die geplanten
40 im kommenden Herbst zum Auftakt der Ruhr-Triennale füllen. Eile ist geboten und man kann nur hoffen,
dass es gelingt, klug abzuwägen zwischen innovativen und traditionellen Programmelementen, zwischen Impulsen,
die von außen kommen und den künstlerischen Kräften, die schon seit langem vor Ort tätig
sind und letztendlich den Nährboden bereitet haben für eine lebendige Kulturlandschaft. Zu hoffen
bleibt auch, dass die Beteiligten nicht allzu sehr auf Publikumsmassen schielen. Wie kann ich die Besucher
von Schalke in die Jahrhunderthalle kriegen, so Gerard Mortier, das ist nicht so leicht das
ist eine wunderbare Aufgabe für mich. Nun denn.