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nmz-archiv
nmz 2001/10 | Seite 20
50. Jahrgang | Oktober
Rezensionen
Verloren im Wilden Westen
Zwei Jahrzehnte Filmmusik aus den Warner Bros.-Archiven
Die Auswertung des Katalogs wird auch in Zukunft das große Nebengeschäft bleiben. Nach
dem Pop-, Jazz- und Klassik-Repertoire hat man in Crossover-und Easy Listening-Zeiten
nun auch die Filmmusik entdeckt. Was früher den verrückten japanischen Tochterfirmen und
One-Man-Companies überlassen wurde, haben die Majors nun selber übernommen. Besonders in Frankreich
scheint ein großes Interesse zu bestehen an den klassischen Soundtracks der Sixties und Seventies. Nach
Universal, die seit letztem Jahr vorbildlich ausschließlich das ultrarare französische
Repertoire ausgräbt, schlägt nun auch die Pariser Warner-Tochter zu. 13 Soundtracks aus den Jahren
1966 bis 1985 wurden in einem Schwung teilweise zum ersten Mal auf CD wiederveröffentlicht,
geremastert, mit neuem Artwork und Liner Notes, aber ohne Bonustracks.
Als Ableger des Warner-Studios wurde Warner Bros. Records 1958 gegründet. Schon in den 60er-Jahren
entwickelte sich das Label zu einem eigenen kleinen Medienkonzern. Dazu trugen Künstler wie Peter, Paul
& Mary, Frank Sinatra, Grateful Dead oder James Taylor bei. Später folgten Acts wie Fleetwood Mac,
Prince und Madonna. Das Soundtrackgeschäft lief zu dieser Zeit nur so nebenher. Ein Nummer-Eins-Album wie
Eric Weissbergs Dueling Banjos, die Bluegrass-Filmmusik zu John Boormans Deliverance,
war 1973 ein reiner Glücksfall. Die zwei zeitlichen Eckpfeiler des Pakets zeigen die Entwicklung auf, Alex
Norths kammermusikalischer Score zu Whos Afraid of Virginia Woolf und Ry Cooders stimmungsvolle
Paris, Texas-Musik. Alex North gehörte Mitte der Sixties zu den letzten Überlebenden des
sinfonischen golden age of film music, als der Bottleneck-Gitarrist und Musikologe Ry Cooder (Buena
Vista Social Club) gerade seine ersten Erfolge feierte, als Studiomusiker und homo warnerensis
der ersten Stunde.
Die jazzigen Sixties
Während die mitteleuropäischen Komponisten der alten Schule wie Miklos Rozsa oder Franz Waxman immer
mehr an den Rand gedrängt wurden, importierte Hollywood eine neue modernere Generation aus
Europa, Michel Legrand illustrierte melancholisch den Summer of 42 und Ennio Morricone begleitete
den zweiten Exorcist so atonal bei seiner Arbeit wie der Amerikaner Jerry Goldsmith seine Outland-Killer.
Ansonsten war die Traumfabrik nun voll in der Hand von Musikern aus der Jazz-Szene, die frischen Wind in die
Studios brachten: J. J. Johnson (Cleopatra Jones), Quincy Jones (Dollar$), Jerry Fielding
(The Gauntlet) und vor allem der hier mit gleich drei Soundtracks vertretene Lalo Schifrin (Bullitt,
The Fox, Enter the Dragon) dominierten das Geschehen.
Wie Quincy Jones baute sich der Dizzy-Gillespie-Schüler Lalo Schifrin in den Sechzigern in Hollywood ein
zweites musikalisches Standbein auf. Ich bot M-G-M, der Mutterfirma von Verve, an, Filmmusiken für
sie zu komponieren, erzählt der Argentinier. Metro-Goldwyn-Mayer nahm das Angebot an. Und so begleiteten
seine flirrenden Streicher und fetten Bläsersätze von nun an die Raubkatze Jane Fonda,
den coolen Polizisten Steve McQueen und das Spezialteam von Mission: Impossible. Einst in Buenos
Aires war Alex North das große Vorbild für Lalo Schifrin gewesen. Der Kreis schloss sich. Und dann
gab es da 1969 noch The Wild Bunch, Sam Peckinpahs definitiven Film über die verlorenen Helden
des Wilden Westens und die Gewalttätigkeit Amerikas. Jerry Fielding komponierte dazu einen elegischen Schwanengesang
auf den Western mit mexikanischen Einflüssen, der zum Klassiker und zum blueprint wurde für
Gruppen wie Calexico. In Zeiten des filmmusikalischen Einheitsbreies ist dieses Warner-Paket ein
Labsal.