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nmz-archiv
nmz 2001/10 | Seite 17
50. Jahrgang | Oktober
Rezensionen
Gleichung mit einem Unbekannten
Richie Beirach hat den Komponisten Federico Mompou für den Jazz entdeckt
Mit 13 hat der New Yorker Jazz-Pianist Richie Beirach sein erstes Konzert gegeben, bald war er einer der Wichtigen
in seiner Zunft. Er war mit Bill Evans befreundet, spielte mit Größen wie Jack DeJohnette, John Abercrombie
oder John Scofield und hat allein 60 Alben unter seinem Namen eingespielt. Am populärsten wurde seine Zusammenarbeit
mit dem Ex-Miles-Davis-Saxophonisten Dave Liebman. Doch Beirachs vielleicht größte Leidenschaft galt
schon früh der Verschmelzung von Jazz mit der klassischen Musik, weshalb es nicht verwundert, dass er den
japanischen Komponisten Toro Takemitsu und Jazz-Geiger Szbigniev Seifert als stärkste musikalische Einflüsse
für sich reklamiert. Seinem Ruf als Bartóks Großneffe in New York hat Beirach
zuletzt vor einem Jahr mit Round about Bartók alle Ehre gemacht, seiner ersten Einspielung
für Sigi Lochs ACT-Label. Im Trio mit George Mraz am Bass und dem deutschen Geiger Gregor Huebner versenkte
er sich in die klassische Moderne Osteuropas von Bartók bis zu Kodály und Scrijabin.
Auf den Spuren Mompous (v.l.n.r.): George Mraz, Richie Beirach und Gregor
Huebner. Foto: Jörg Becker/ACT
In derselben Besetzung realisierte er nun ein noch weit ausgefalleneres Projekt: Round about Federico
Mompou heißt die ebenfalls auf ACT erscheinende, spannende Auseinandersetzung mit einem fast vergessenen
Komponisten. Der Autodidakt Federico Mompou, 1893 in Barcelona geboren und dort 1987 gestorben, hat ein sperriges
Werk hinterlassen. An keiner Schule oder Mode orientiert, lassen sich seine schlichten Klavierstücke am
ehesten mit denen Erik Saties vergleichen. Neben der französischen Moderne Mompou lebte lange Zeit
in Paris spielt darin aber auch die Volksmusik seiner katalanischen Heimat eine große Rolle. Aus
Mompous Hauptwerk Musica Callada Schweigende Musik hat Beirach acht Miniaturen ausgesucht
und im Trio bearbeitet. Oliver Hochkeppel sprach mit ihm darüber.
nmz: Kaum jemandem ist bislang der Name Federico Mompou ein Begriff. Wie sind sie auf ihn gestoßen?
Richie Beirach: Eine meiner Schülerinnen hatte eine Mompou-Platte für 99 Cents in einem
Secondhandladen gekauft. Sie hörte sie sich an, war begeistert, rief mich an und kam auch gleich damit
vorbei. Unglaubliche Musik: Sehr kurz, sehr nah am Jazz, aber ohne Virtuosität, irgendwie
im Stil des frühen Bill Evans oder Keith Jarrett. Perfekt.
nmz: Und Sie beschlossen sofort, etwas daraus zu machen?
Beirach: Ja, ich besorgte mir sofort Noten und fing an, die Musik zu spielen und auch gleich dazu
zu improvisieren. Das war 1990. Seitdem habe ich immer wieder mal ein oder zwei Stücke eingespielt, aber
dieses Album ist das erste nur mit Mompous Musik.
nmz: Nun stecken zwar jazzartige Elemente und Rhythmen in Mompous Kompositionen, aber sie sind auch
sehr streng und logisch aufgebaut. Ist das schwer zu interpretieren?
Beirach: Nein, eigentlich war es sehr einfach, es zu Jazz zu machen, denn die Harmonik ist einfach
und gut zu bearbeiten. Nicht in allen Stücken, aber in denen, die wir ausgesucht haben. Die Melodien
sind perfekt für Improvisation, zumindest die Leitmotive. Und das Tempo der Stücke ist langsam,
was auch gut ist. Ein Problem wird das nur bei einem ganzen Album von einer Stunde, deshalb haben wir uns
bei den entsprechenden Improvisationen entschieden, mehr Rhythmik einzusetzen. Wir haben auch entdeckt, dass
manche Harmonien und Melodien sich für eine neue Form der Improvisation eignen, die auch die Jazz-Anforderungen
in Sachen Rhythmik erfüllt. So verzichteten wir auch auf Schlagzeug, das hätte die Intimität
dieser Musik zerstört. Zumal wir mit George Mraz einen fantastischen Bassisten hatten. George ist sehr
wichtig für mich, er ist so etwas wie der sechste Finger an meiner linken Hand.
nmz: Vorab haben sie ihr Album bei einem Konzert beim Montreux Jazz Festival vorgestellt. Wie waren
die Reaktionen?
Beirach: Fantastisch. Das Publikum war begeistert, und das liegt sicher auch an Mompou. Wir haben
ja überhaupt nicht versucht, einen Hit, einen kommerziellen Erfolg zu kreieren, aber es scheint irgendetwas
in Mompous Musik zu liegen, das die Leute sehr anspricht. Sie ist eben einfach, aber nicht dumm. Es steckt
Tiefe drin, wie bei Mozart oder Haydn.
nmz: Mompou hat ja fast alles für Klavier solo komponiert. Warum haben sie sich für ein Trio
entschieden?
Beirach: Ja, das meiste von ihm ist für Piano solo, deshalb habe ich zusammen mit George für
Klavier und Bass arrangiert. Das war in Wahrheit sehr einfach: die klaren Melodien nahmen wir für das
Klavier oder die Violine, und auch die Bassnoten sind bei Mompou sehr sauber, sehr kontrapunktisch.
nmz: Wenn das so einfach ging, warum hat dann noch kein Jazzer Mompous Musik bearbeitet?
Beirach: Schauen Sie, ich bin 54 Jahre alt, ich studiere Musik seit meinem fünften Lebensjahr,
ich dachte, ich kenne alles und selbst ich kannte Mompou nicht. Er ist sehr unbekannt, erst jetzt wird
er etwas bekannter, es gibt ja diese ECM-Aufnahme seiner Solostücke, die ich aber für furchtbar
halte. Sie ist so trocken und eiskalt, das hat nichts mit Spanien zu tun. Alicia de Larrocha hat Mompou wunderschön
eingespielt. Sie kannte ihn persönlich und war mit ihm befreundet. Er hat ihr sogar einige Kompositionen
gewidmet. Und erst kürzlich hat Stephen Hough ein Album gemacht. Aber unsere ist die erste Einspielung
von Jazz-Musikern. Und das freut mich natürlich, weil ich seit zehn Jahren daran arbeite. Es war meine
Idee. Übrigens hat nicht einmal Sigi Loch, der ein sehr beschlagener und kreativer Produzent ist, vorher
von Federico Mompou gehört. Niemand kennt ihn, und das hat mich gereizt. Ich mag es, Neuland zu betreten.
nmz: Sie haben Sigi Loch erwähnt. Das ist jetzt ihr zweites Album für sein Label. Wie kamen
Sie zu ACT?
Beirach: Durch Gregor Huebner. Wir haben schon früher einiges zusammen gemacht, aber nun wollten
wir ein Label, dass sich mit Promotion auskennt. Und ACT macht das in Europa ausgezeichnet. So haben wir uns
mit Sigi getroffen, und er war sehr interessiert an mehreren Projekten von uns. Vor allem an den außergewöhnlichen.
Wissen Sie, ich spiele gerne Standards, aber ich mag sie nicht mehr aufnehmen.
nmz: Sie arbeiten gerne mit Violinisten, früher mit Mark Feldman, jetzt mit Gregor Huebner. Als
Pianist, was reizt daran so?
Beirach: Der erste Geiger, mit dem ich spielte, war Zbigniew Seifert, der so tragisch starb. Ich
liebte ihn. Klavier und Geige passen so unglaublich gut zusammen, weil die Violine in einem viel höheren
Register spielt und es deshalb keinen Konflikt gibt. Das Cello zum Beispiel kommt sich mit dem Klavier ins
Gehege. Der vibrierende Ton der Geige erinnert mich auch an Saxophon oder Gitarre, er hat dieselbe Intensität,
wenn der Musiker die Violine so einsetzt. Sowohl Mark wie Gregor haben diesen Sound. Ich mag Geigenmusik überhaupt
sehr gerne.
nmz: Ist mit den jüngsten Erfolgen beispielsweise von Didier Lockwood oder Regina Carter endgültig
das Klischee widerlegt, dass Geige kein Jazzinstrument ist?
Beirach: Es tut mir leid, aber Regina Carter ist für mich eine Enttäuschung. Sie ist out
of tune und out of time. Didier Lockwood ist ein richtiger Geiger, das stimmt. Aber es gibt
immer noch viel weniger Geigen im Jazz als andere Instrumente. Und das kommt mir entgegen, da gilt genau dasselbe,
was mir auch an Mompou gefallen hat: dass es noch nicht so abgegriffen ist. Man hat die Chance, etwas Frisches
zu machen, wie eben ein Klavier-Geigen-Duo. Ich hatte das nie geplant, aber seit es sich ergeben hat
warum nicht?
nmz: Apropos frisch. Sie sind seit Juli frisch gebackener Professor in Leipzig.
Beirach: Ja, ich habe New York verlassen, auch wenn ich mein Apartment noch behalten habe. Ich habe
jetzt 35 Jahre in New York gelebt, das reicht. Außerdem ist das Klima für den Jazz, den ich spiele,
dort nicht mehr sehr günstig. Man denke nur ans Lincoln Center, wie unglaublich konservativ es da zugeht.
Nur Bebop, das ist idiotisch. Ich musste entdecken, dass es in den Vereinigten Staaten kaum mehr Arbeit für
mich gibt, das meiste habe ich zuletzt in Europa oder Japan gemacht. Meine Musik wird in Europa besser verstanden
als in meinem eigenen Land es tut mir leid, das zu sagen, aber es ist wahr. Also habe ich die Professur
an der Musikhochschule Leipzig angenommen. Ich hatte noch nie vorher eine feste Stellung, wusste also nicht,
ob mir das behagt. Aber es hat sich herausgestellt, dass es ein wirklich toller Job ist. Ich gebe 18 Stunden
die Woche, für acht Studenten, und ich liebe es. Ich liebe das Lehren, genau wie die Stadt, die wundervoll
ist. Ich habe eine große Wohnung ganz in der Nähe der Schule und die Bezahlung ist ausgezeichnet.
Regelmäßiges Einkommen ist nett. Man stelle sich vor: Ich habe von Juli bis September frei und
werde trotzdem weiterbezahlt. (lacht)
nmz: Sind Sie mit dem Unterricht und der Mompou-Tour ausgelastet, oder gibt es schon neue Projekte?
Beirach: Ich habe schon etwas im Kopf, aber es ist zu früh, darüber zu sprechen. Es gibt
ja auch noch unser Quartett mit Billy Hart. Es wird also bald etwas Neues bei ACT erscheinen. Aber jetzt ist
erst einmal die Tour dran. Wir haben das Mompou-Album ja erst im Mai eingespielt. Es war die schnellste Veröffentlichung,
die ich je erlebt habe.
Interview: Oliver Hochkeppel
Plattentipp
Richie Beirach, Gregor Huebner, George Mraz: Round about Federico Mompou
ACT 9296-2.