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nmz-archiv
nmz 2001/11 | Seite 34
50. Jahrgang | November
Oper & Konzert
Vertraute musikalische Idiome der Kulturen
Uraufführung von Jan Müller-Wielands Oper Nathans Tod nach George Tabori in Görlitz
Der 1966 geborene Komponist Jan Müller-Wieland hatte bereits ein Dutzend Opern geschrieben, als er aus
zwei unterschiedlichen Richtungen Anregungen bekam, die in seine siebte Oper Nathans Tod mündeten.
Der Sänger Matteo de Monti machte ihn auf die Person und die Dramatik George Taboris aufmerksam und das
Theater Görlitz wollte anlässlich seines 150-jährigen Bestehens eine Oper in Auftrag geben, deren
Thema der Nathan-Stoff sein sollte. Lessings nahe gelegener Geburtsort Kamenz spielte dabei eine
Rolle. Müller-Wielands Wahl fiel auf Taboris Stück Nathans Tod, das 1991 uraufgeführt
worden war. Das Libretto erarbeitete er sich im Austausch mit dem Autor selbst.
Bestens in der Rolle: Matteo de Monti als Nathan und Lars Fosser als der
Patriarch. Foto: Kai-Uwe Schulte-Bunert
George Tabori hat Lessings Werk weitergeschrieben und ihm dabei jeden Hoffnungsstrahl genommen. Die Utopie
einer vielleicht irgendwann einmal vernünftigen, toleranten Menschheit wird aufgegeben. Es passiert jeweils
die schlimmste aller Möglichkeiten. Recha ist tot, bevor das Stück beginnt. Nathan macht sich erst
zum Narren und stirbt dann an seinem Leid. Sittah begeht Selbstmord aus Scham vor ihrem eigenen Mitleid mit
Nathan. Eine christlich-muslimische Männerrunde aus Patriarch und Tempelherr, Sultan und dem vom Bettelmönch
zum Schatzmeister aufgestiegenen Al-Hafi feiert am Ende ein klammes Siegesfest über das Ende der Aufklärung,
während ihre Völker im Krieg miteinander liegen.
Tabori selbst soll angemerkt haben, dass er das Stück aus der Perspektive des Lessingschen Optimismus
inszenieren würde. Der Görlitzer Regisseur Klaus Arauner wollte diese Anregung zunächst aufgreifen.
Ein geschlossener Raum, der Täter und Opfer zusammenklammert, sollte am Schluss einen Blick ins Offene
freigeben. Nach den Ereignissen des 11. September entschied er sich, die Gegen-Aufklärer auf das Publikum
loszulassen. Die Intoleranten sind bei uns, sitzen neben uns.
Jan Müller-Wieland, der aus dem am Ende des 20. Jahrhunderts akkumulierten musikalischen Material noch
immer sinnliche, empfindbare Musik schöpfen konnte, geht in diesem Werk an einen Anfang zurück. Mit
der Dominanz des Wortes über den Klang ist er in die Parlando-Flüsse der frühen Oper eingetaucht.
Insbesondere Nathan, faszinierend sing-darstellerisch verkörpert von Matteo de Monti, hat unglaubliche
Textmengen zu bewältigen. Die vom Wort diktierte Musik (stets textverständlich singbar!) verlangt
über lange Strecken eine Reduzierung des großen, durch eine markant eingesetzte Celesta ergänzten
Orchesterapparates. Nur in den fünf kurzen Orchesterzwischenspielen und am Schluss tobt dann doch eine
marschartige Musik.
Ein drittes bestimmendes Element in Müller-Wielands Partitur ist die Verwendung vertrauter musikalischer
Idiome der drei im Stück vorkommenden Kulturen. Am Beginn steht, als Streicher-Pizzicato ruhig ausgespielt,
ein Bach-Choral, dem dann Nathans erste lange Parabel-Erzählung folgt. Später hört man Motive
der osteuropäischen Stedtlmusik, auch die mit arabischen Basaren assoziierten näselnden Bläserklänge
klingen kurz auf. Der Choral bleibt das Hauptmotiv der Oper geografisch und historisch ebenso bewusst
unkorrekt wie die übrigen typischen Anklänge, aber gerade darum so gut geeignet, das Stück
und jeden Zuschauer in ein ganzes Geflecht von Assoziationen zu verstricken.
Den ruhigen Monologen stehen, am Schluss immer dichter werdend, dramatische Konstellationen entgegen: Nathan
kommt in grotesker Verkleidung zum Sultan und will seine beste Clownsnummer, die Ringparabel vortragen. Es wird
ihm nicht gestattet.
Der Tempelherr denunziert Nathan in verdächtiger Unschuld bei dem christlichen Patriarchen bis dieser
nicht anders kann und Nathan im Übereifer der Unsicherheit zum Scheiterhaufen verurteilt.
Sittah, hervorragend gesungen und gespielt von Yvonne Reich, verübt rasend und tobend vor Verzweiflung
Selbstmord.
Diese Szenen gelangen musikalisch wie inszenatorisch sehr dicht, während das lange Parlando die Figuren
eher zu Ideenträgern machte, die die Aufmerksamkeit des Publikums nicht immer fesseln konnten.
An der Sängerbesetzung hat es nicht gelegen. Das Görlitzer Theater fand auch für die etwas kleineren
Partien mit Stefan Bley, Lars Fosser, Paul McNamara und Frank Ernst vier junge Leute, die stimmlich, körperlich
und spielerisch bestens in ihre Rollen passten.
In Görlitz wird aus restauratorischen Gründen auf der Hinterbühne gespielt. Der Ästhetik
dieser Inszenierung kam die imponierende Zimmermannskunst der Zuschauertraversen ebenso vorteilhaft entgegen,
wie dem Ensemble-Klang der tief versenkte und überbaute Graben.
Das Orchester unter Christof Eschers Leitung musizierte frisch, sauber, souverän, auch mit großer
Geste, wenn es das denn einmal durfte.