[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/11 | Seite 44
50. Jahrgang | November
Oper & Konzert
Ein weltoffenes Zuhause für die Kunst
Internationale Komponistinnentage im Künstlerinnenhof Die Höge
In der Höge, einem stattlichen denkmalgeschützten Gehöft mit modernem Anbau, 20 Kilometer südlich
von Bremen gelegen, würde auf den ersten Blick niemand ein internationales Kulturzentrum vermuten. Im September
stellte es sich mit den Internationalen Komponistinnentagen für Neue Musik nun erstmals einer breiteren
musikalischen Öffentlichkeit vor.
Jamilia Jazylbekova. Foto: M. Üdema
Gegründet wurde die Höge 1995 von der Schweizerin Barbara Reinhart und von Barbara Baum nach dem
Modell kalifornischer artist colonies. Mit Sachkunde und Begeisterung bauten sie hier einen Künstlerinnenhof
auf, der sich bereits heute der Ausbau dauert noch bis 2005 als hervorragend eingerichtete Arbeitsstätte
präsentiert. Es gibt Kunstateliers, Präsentationsräume, eine supermoderne digitale Videoschnittanlage,
ein Tonstudio und einen kleinen Konzertsaal mit Flügel, dazu Appartements für Stipendiatinnen. Vor
einem Jahr wurde das Artists-in-Residence Programm ins Leben gerufen. Es bietet professionellen Künstlerinnen
und Wissenschaftlerinnen aus allen Disziplinen die Möglichkeit zu mehrmonatigen Arbeitsaufenthalten. Dereinst
sollen bis zu neun von Fachjurys ausgewählte Stipendiatinnen gleichzeitig in der Höge arbeiten können.
Die Einrichtung ist ein später und sehr praktisch ausgerichteter Reflex auf die Frauenbewegung der 70er-Jahre
mit ihren Forderungen nach Chancengleichheit der Geschlechter und Förderung der weiblichen Kreativität.
Die Initiatorinnen sind mit guten Gründen der Meinung, dass diese Postulate noch lange nicht eingelöst
sind, und laden darum in die Höge nicht Künstler/-innen, sondern ausschließlich Künstlerinnen
ein.
Bei den Internationalen Komponistinnentagen für Neue Musik wurden nun an einem Septemberwochenende Werke
von sieben Komponistinnen gespielt und zur Diskussion gestellt, die alle schon Arbeitsaufenthalte in der Höge
hatten oder dazu eingeladen wurden. Sie stammen aus sechs Ländern, vier von ihnen leben dauerhaft im Ausland,
was die Bremer Musikwissenschaftlerin Ute Schalz-Laurenze zum Anlass nahm, in ihrem Einleitungsrefererat ...
der Horizont, den wir nie erreichen... der Frage der künstlerischen Kreativität unter den Bedingungen
der Fremde nachzugehen: den Erschwernissen steht eine gleichwertige Chance zur Erschließung
neuer Dimensionen gegenüber, die nur in diesem kulturellen Spannungsfeld möglich ist. Das Vortragsmotto,
allerdings mehr auf die inneren Horizonte bezogen, war ein Zitat aus einem Aufsatz der in der Schweiz lebenden
Polin Bettina Skrzypczak, von der das fulminante Streicherduo Scène gespielt wurde. Wo und
was ist das Fremde? Auch die zwischen Freiburg und ihrer Heimat Rumänien pendelnde Carmen Maria Cârneci
relativierte in der Diskussion die ethnisch-geografische Definition des Fremden und meinte, sie fühle sich
vor allem in der Musik zu Hause, und diese könne man überall in zivilisierten Gegenden antreffen.
Sie dirigierte selbst die Uraufführung ihrer Komposition Sprachrohr auf Psalmen der Hildegard
von Bingen, in der die kunstvolle Melismatik des Mezzosoprans (Angelina Soller) mit präzis konturierten,
klanglich delikaten Instrumentalklängen kombiniert wird.
Mit In-Sun Cho (Korea) und Noriko Nakamura (Japan) waren zwei im akademischen Lehrbetrieb ihrer Heimat gut
verankerte Komponistinnen vertreten, die sich aus langjähriger Erfahrung zu Fragen des Komponistinnenberufs
äußern konnten. In ihrer Musik arbeiten sie souverän mit westlichen Techniken und Instrumenten,
ohne ihre eigenen Traditionen zu verleugnen. Ähnlich die junge Kasachstanerin Jamilia Jazylbekova, die
seit 1995 in Bremen lebt und mit Betpak (Wüste) ein Stück vorstellte, in dem
die Zeit über weite Strecken fast still zu stehen scheint und das mit minimalen Mittel eine größtmögliche
Spannung erzeugt. Einen multimedialen Akzent setzte die ebenfalls in Bremen lebende Koreanerin Jin-Ah Ahn mit
Ein Himmel eine Erde, in der sie Videoaufnahmen mit geräuschhaften, im Klavier erzeugten
Tonbandklängen verband.