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nmz-archiv
nmz 2001/11 | Seite 4
50. Jahrgang | November
Cluster
Deutschstunde
Schon lange Zeit kämpft der Leiter der Interessengemeinschaft unabhängiger Musikverlage, Michael
Kudritzki, für deutsche Musik. Dass es die gibt, ist ja eh klar, nur wird sie im Rahmen unserer öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten zu selten gespielt: Der Auslandsanteil betrage nach Kudritzki angeblich bei den
Öffentlich-Rechtlichen über 70, bei den Privaten gar 95 Prozent. Schlimm genug, dass sich sogar deutsche
Musikverlage mit ausländischen Komponisten schmücken. Alarm! Also Quote her, damit Deutschland wenigstens
zur Hälfte wieder den deutschen Musikschaffenden gehört: Michelle (dumm gelaufen mit dem Namen) statt
Caterina Valente. Auf in den Kulturkampf, es geht schließlich um die Currywurst (aber ohne indisches Curry)
und den Hamburger (aber ohne Hamburger Boulette oder Frikadelle wären wohl zu frankophon).
Doch die Rechnung macht der Wirt ohne die Musik, wenn er die Zustände in Frankreich als bewunderungswürdig
hinstellt, die mit ihrer Quotenregelung ihre Identität erhalten haben sollen. In der Tat sprudelt
in Frankreich aus dem Radio abwechselnd Französisches und Angloamerikanisches. Deutsches allerdings vermisst
man. Kaum anders in Kanada oder Polen, die uns Geopolitker Kudritzki als weitere Paradebeispiele anführt.
Um es mal plastischer zu machen: Der ganze heutige mediterrane Raum ist mit seinen Orangen, Zitronen, Pfirsichen,
Tomaten, mit Agave, Aloe, Auberginen, Paprika, Mais und Kartoffel ein köstliches Sammelsurium aus der ganzen
Welt, nichts davon stammt ursprünglich aus diesem Raum. Her mit der Vegetationsquote für Europa, ran
an die Rinde.
Wenn dann aber auch noch neuere deutsche Geschichte geleert wird, wird es richtig peinlich. So zitiert die
Zeitschrift musik & multimedia Kudritzkis Argument, dass Hinweise auf die deutsche Vergangenheit
nicht akzeptiert werden können, weil mehr als 56 Jahre nach Kriegsende die heute aktive Generation mit
der Vergangenheit nichts zu tun habe. Schön, wenn also mal wieder einer Amnesie als das
Kennzeichen deutscher Kultur begriffen hat. Für diese Belehrung bedanken wir uns und vergessen sie am Besten
wieder.