[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/11 | Seite 52
50. Jahrgang | November
Dossier: Popmusik
Cluster
Konsum-Feuer
Populäre Musik in den 90er-Jahren ist weniger Ware als Werbung, schrieb der Mediensoziologe
Axel Schmidt. Dass seine Beurteilung nicht von der Hand zu weisen ist, zeigt die Realität des Mediengeschäftes.
MTV und VIVA als die Sendestationen der neuen Jugend- und Massenmusik waren nicht erfolgreich, weil
sie nach altem Spiel populäre Musik verkauften, sondern weil sie populäre Musik an die Werbewirtschaft
gekoppelt haben. Es wäre daher kaum verfehlt, Popkultur als das zentrale Zeichensystem der global agierenden
Musikwirtschaft im Verbund mit einer auf Marken orientierten Entertainmentwirtschaft (von Coca-Cola bis Nike,
von FDP bis SPD, vom Taschentuch bis zum Kondom) zu sehen. Das Anrüchige, welches Popmusik gegen den Muff
des Herz-Liebe-Schmerz-Schlagers einmal auch verdampfte, hat sich weitgehend verflüchtigt oder geht den
Weg in die Subkultur darin gar nicht so verschieden von den Neue-Musik-Szenen.
Doch was schlimmer wiegt, die Musik und ihre Industrie will gerne über diesen Paradigmenwechsel hinwegtäuschen.
Infantile Aufsässigkeitsinszenierungen verschleiern die Eingebundenheit der Jugendmedien in ökonomische
Strukturzwänge, und die musikalische Message setzt auf Konsum und Hipness statt auf Kritik, meinte
Axel Schmidt. Eigentlich eine traurige Bilanz, auch wenn man weiß, dass sie im Einzelfall daneben liegt.
Weder ist die Jugend im Allgemeinen so jungvertrottelt, noch ist alles die Schuld des Medienparks. Denn wer
betreibt den Medienpark? Doch nicht die pubertierenden Zöglinge, sondern die Erwachsenen, die sich an der
Emanzipation des Gemeinwesens immer mehr desinteressieren und zugleich mit der menschlichen Kälte, die
sie produzieren, das fadenscheinige Lagerfeuer des Konsums anfeuern.
Diskurs ohne Diskursivität
Popkultur ist zwar der Hauptdiskurs der Jugend, aber behandelt wird er nur selten. Popkultur ist heute vor
allem eines: Kult und damit ausdrücklich ein Diskurs ohne Diskursivität. So ist die gegenwärtige
Popkultur nichts anderes als der perfekte Schleiertanz der New Economy. Die geldwerte Rechnung bezahlen momentan
die Plattenkonzerne, die an Problemen des Urheberrechts laborieren, die emotionale Rechnung bezahlen wir und
die Jugendlichen, deren Ich-Bildung gründlich versaut wird. Hauptsache cool Maske auf und weg.