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nmz-archiv
nmz 2001/11 | Seite 47-48
50. Jahrgang | November
Dossier: Popmusik
Erfahrungen und Wünsche, die sich nie erfüllen
Neue Alben von Bob Dylan und Leonard Cohen: Nur alte Männer sagen die Wahrheit
Während in Techno und verwandten Formen der New Electronica das Subjekt zunehmend gelöscht wird und
Erfahrung bloß noch als Schmutz gedacht werden kann, als etwas, was die Reinheit der Struktur
stört, gibt es im Bereich der Singer-/Songwriter eine heftige Gegenbewegung: Authentizität zählt;
und authentisch ist nur das, was man selbst erlebt hat, was sich in den eigenen Körper und die eigene Seele
eingeschrieben und dort Spuren hinterlassen hat. Konsequenterweise sind die Heroen des Songs alte Männer
allen voran Bob Dylan und Leonard Cohen, von denen es in diesem Herbst nach drei beziehungsweise zehn
Jahren endlich neue Alben gibt.
Rückwärtsgewandter Prophet: Cohen. Foto: Archiv
Ist diese rühmend-exklusive Rede von den alten Männern mehr als ein sexistischer Reflex? Ja, denn
die durchaus imposanten uvres der Diven des gelebten Lebens folgen meist anderen Regeln: bei Marianne
Faithful etwa denen der puren Brüchigkeit dass man noch da ist nach all den Jahren wird
bei ihr zum Beleg für die Kraft des eigenen Begehrens und für die andauernde Bosheit der Welt; bei
Tina Turner und den großen schwarzen Soul-Ladies denen einer Vitalität, die dem vorgesehenen Verfallsdatum
ebenso trotzt wie der Gemeinheit der Männer, von denen sie aus unerklärlichen Gründen nicht lassen
können. Die alten Frauen verkörpern selbst dort, wo sie gezeichnet und zerstört sind, nicht den
Gang der Geschichte, sondern die reine Vergänglichkeit. Die alten Männer dagegen tun zumindest so,
als wären sie nicht Opfer, und sei es der eigenen Sehnsüchte oder der Biologie, sondern die Subjekte
und Autoren ihres Lebens. Bob Dylans never-ending tour beschreibt, so gesehen, nicht bloß
die Dichte seiner Auftritte oder die Rastlosigkeit eines globalisierten Musiker-Lebens: sie wird zur großen
Existenz-Metapher. Forever young sang trotzig der jüngere Dylan: das war ein politisches und
ein existenzielles Statement. Es protestierte paradoxerweise dagegen, dass alles bleibt wie es ist, während
die eigene Jugend unwiderruflich vergeht. Time Out of Mind hieß, Jahrzehnte später, das
Alterswerk Dylans, die Summe seines Lebens, durchaus auch im theologischen Sinn, das manche für
sein bestes Album halten. Darin erzählt Dylan weder von der reißenden noch von der beharrenden Zeit,
weder vom raschen Altern der Technik und der Körper noch von der Zählebigkeit der Strukturen, sondern
von der longue durée, von dem, was in all den Veränderungen erhalten bleibt und die
gültigen Erfahrungen begründet.
Dieses letzte, 98er-Album war subjektives, persönliches Resümee. Dylan, der immer schon den Medien
misstraute und gern Masken trug, um sehen zu können, ohne selbst allzu sichtbar zu sein, berichtete von
dem, was er erfahren hatte. Das ist nicht nur in dem mehr als 10-minütigen Talking Blues Highlandszu
spüren, der das geheime Zentrum des Albums bildet, ein äußerst verdichtetes, poetisch mehrdeutiges,
metaphorisch wucherndes Existenz-Parlando.
Demgegenüber scheint sein neues Album Love And Theft (Columbia/Sony) einfacher, ja roher.
Dylan unternimmt etwas, was er von Anfang an immer wieder unternahm: Er geht zurück zu den roots.
Er beschäftigt sich mit den Songs der Väter-Generation und der eigenen Kindheit. Das Gesetz der longue
durée, dessen, was dauert, wird auf diese Weise kollektiv zur gemeinsamen Erfahrung.
Dylan, der auch deshalb so manisch (oder panisch?) unterwegs war, weil er nur dem traute, was er selbst sah
und hörte, der sich vor den Medien hütete, weil er in ihnen Information und Desinformation, Nachricht
und Lüge unentwirrbar verschmolzen sah, öffnet sich auf Love And Theft den überindividuellen
Songs und Songformen der Tradition; voller Respekt und voller Vertrauen.
Merkwürdigerweise wirkt gerade dieser Dylan, der sich selbstlos in eine große, fast
schon anonyme Tradition einreiht, verjüngt: frisch und wild. Er schlüpft in all die Rollen und Sounds,
die vom schnellen Markt und den noch schnelleren Medien längst weggewischt schienen, die aber im Underground
der Erinnerung gespenstisch präsent bleiben und fortwirken. Es gibt nicht nur das eine Bild, das gerade
herrscht; Dylan ist der Sänger der Alternativ-Takes und verdrängten Wahrheiten. Er verkörpert
die düster-vitale Rückseite des blendenden Spiegels der Gegenwart: all die kleineren und größeren
Geschichten, die verdrängt wurden, melden sich in seinen Songs zurück.
Macht der Lieder
Das Irritierende und die Macht dieser Lieder: dass sie alle Dylan-Originale sind, hier und jetzt entstanden
und doch auf etwas anderes verweisen, was immer schon war beziehungsweise, noch rätselhafter, Heideggers
Gewesenheit aufgreifend, immer schon gewesen sein wird. Dylan erobert die Vergangenheit zurück,
vom ländlichen Blues über den Boogie bis zum simplen RocknRoll der frühen Jahre,
er revitalisiert Muster, die schon verbraucht schienen und macht sie von neuem plausibel.
Auch Cohen ist ein rückwärts gewandter Prophet. Nur gilt seine Recherche nicht so sehr der Geschichte,
sondern, und darin ist dieser Meister des unerfüllbaren Verlangens fast weiblich, dem Schicksal des Körpers
und der Seele. Seine großen Themen sind, von Anfang an, Schuld und Vergänglichkeit: Er ist ein Nomade
der Lust, der Wunden hinterlässt, bei sich und bei den anderen, die sich nicht schließen wollen;
und ein Partisan, der sich in der vermeintlichen Heimat bewegt wie in Feindesland.
Alles ist da unsicher, selbst die eigene Identität; alles revidierbar; auch das, was man ein für
allemal erfahren zu haben glaubt. Cohen bleibt, sogar da, wo er scheinbar nur die Ewigkeit der Lust will und
einklagt, ein verstörender Ahasver des frei flottierenden Begehrens, für den jede konkrete Beziehung
oder Erfahrung vergänglich ist und sofort zum Gleichnis für das ganz Andere, Unerreichbare wird.
Cohens erotische Songs, die ihn zum Idol einer ganzen Generation machten, sind nie hell oder leicht: wie die
Sirenen lockt auch er mit dem Versprechen der Auslöschung. Sein Faszinosum ist nicht der bequeme Hedonismus,
Genuss ohne Reue gewissermaßen, sondern die bleibende Abgründigkeit der Existenz. Seine eigene Bereitschaft
zur Hingabe ist dabei nicht frei von Selbstironie: etwa in dem leitmotivischen 80er-Jahre-Song Im
Your Man, wo er seiner Geliebten anbietet, sich in jede Rolle zu finden und jede Maske zu tragen, wenn
sie es nur will. Dieses wenn du es willst ist keineswegs nur frivoler Refrain eines versierten Don
Juan, sondern der Grundton eines Künstler-Daseins, in dem selbst ein scheinbar so irdisch-eindeutiges Wort
wie naked, das im Zentrum so vieler Songs steht, auf ein metaphysisches Hintergrund-Rauschen verweist,
das den wahren Verführer ausmacht.
Schon einmal, Ende der 70er-Jahre, da war er Mitte 40, hatte Cohen den death of a ladies man beschworen.
Das war damals auch musikalisch eine Revolution: weg von den kargen Gitarren hin zum Phil Spectorschen
wall of sound. Das Orgiastische, das sich bis dahin in Cohens Parlando eher versteckte, rutschte
jetzt in die voluminösen Arrangements, brach dort auf. Von da an fand er zu seinem Spätstil: den effektsicheren
Schluchzern der Zigeuner-Geigen, den fast schon unanständigen Frauen-Chören, den suggestiven Harmonien,
die ihn seit Natural Born Killers zu einem der führenden Soundtrack-Zulieferer für das
zunehmend apokalyptische Hollywood-Kino machten.
Cohens Schweigen
Zehn Jahre hat Cohen geschwiegen, sich in ein Zen-Kloster zurückgezogen, dessen rigide Disziplin
sei-ner zersplitternden Identität, diesem Patchwork der Augenblicksreize und ausufernden Wünsche,
eine halbwegs stabile Haut verschaffte. Jetzt ist er mit Ten New Songs (Columbia/Sony) wieder da,
die Cohen-Aficionados ähnlich verstören dürften wie damals die Kooperation mit Phil Spector.
Wieder geht es um ein Werk des Abschieds (you have loved enough), um Altern, das schmerzender Entzug
ist, aber auch in neues geheimes Leben führt. Und erneut ist die musikalische Verwandlung fast skandalöser
als die lyrische Metanoia. Denn die Songs hat jetzt im Wesentlichen seine langjährige Mitarbeiterin Sharon
Robinson geschrieben, wenn auch auf verblüffend coheneske Weise, und so erlebt man das erstaunliche Wunder,
dass Cohens Seele zum puren Soul wird.
Aber Nestroy hatte schon Recht: Jede Veränderung, so schockhaft sie auch erfahren wird, ist am Ende nicht
so groß, wie es zunächst den Anschein hat: Ten New Songs wird beim wiederholten Hören
rasch zum Cohen-Klassiker; nicht einfach nur zehn neue Lieder, sondern ein berückender Sound-Kosmos, in
dem sehr abwechslungsreich, sehr suggestiv und in einem sich durchziehenden Grundton vom Schicksal des Begehrens
und von der Erfahrung der Transzendenz erzählt wird.
Helmut Hein
Plattentipps
Bob
Dylan: Love And Theft, Columbia/Sony Leonard
Cohen: Ten New Songs, Columbia/Sony