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nmz-archiv
nmz 2001/11 | Seite 49
50. Jahrgang | November
Dossier: Popmusik
Alle Wünsche kann man nicht erfüllen
Michels Music Consulting wertet vorbildlich Telefunken- und RCA-Katalog aus
Man kennt das: durch irgendeinen dummen Zufall stolpert man über ein Lied, das man einst sehr geliebt
hat, und man will es wieder hören. Nehmen wir an, es handelt sich um Frag den Abendwind,
gesungen von Fran-çoise Hardy. Fragt man im Plattenladen danach, erntet man nur ratloses Schulterzucken:
Gibts nicht! Selbst im Internet wird man nicht fündig. Hat einem die Fantasie etwa einen
Streich gespielt und das Lied existiert nur in unserer Einbildung? Nein! Seit Anfang September ist das Chanson
zum ersten Mal seit Beginn des CD-Zeitalters vor fast 20 Jahren auf Compact Disc erhältlich. Wolfgang Michels
war als einzigem gelungen, was vorher viele vergeblich versucht hatten, die Sixties-Legende Hardy zur Freigabe
ihrer deutschen Aufnahmen zu bewegen. Als Chef von Michels Music Consulting ist das sein bisher
größter Coup.
Meister Michels. Foto: Archiv
Dabei gehört Wolfgang Michels selbst seit den späten 60er-Jahren zu den Legenden, besser gesagt,
den unsung heroes der deutschen Popmusik. Schon seine erste Band Percewoods Onagram
errang bald Kultstatus. Zwischen 19691974 (so auch der Titel einer vorzüglichen Collection bei Edel
Contraire) entstanden vier Alben, die seit Mitte der 80er-Jahre zu Klassikern gezählt werden. Percewoods
Onagram waren das missing link zwischen den legendären Monks und Can: Psycho-Folk-Blues
zwischen Bob Dylan, Tim Buckley und Fairport Convention. Und sie waren die Lieblingskinder des britischen Blues-Königs
Alexis Korner: Das war ein seltsamer Klang sehr stark sehnsüchtig es hatte das Feeling
der späten 20er... Eine kryptische Bemerkung aus einer fernen Zeit. Aber wenn man bedenkt, dass das
London der Swinging Sixties sich auch im Berlin der Roaring Twenties spiegelte, war es ein großes Kompliment:
die Band gehörte zum Klub. Nach dem Split veröffentlichte Michels einige wunderbare Soloalben im West-Coast-Sound
(Full Moon California Sunset), die von den Neo-Folkies in höchsten Tönen gelobt werden
und zog sich langsam aus dem Rampenlicht zurück.
In den späten 90er-Jahren gründete der Musiker und Produzent seine eigene Firma: Michels Music
Consulting. Dabei entdeckte er eine Marktlücke: die kompetente Auswertung des Back-Katalogs der großen
deutschen Plattenkonzerne. Abgesehen von Spezialfirmen wie Bear Family Records kümmert sich
kaum jemand um diese Aufgabe. Wer zum Beispiel heute einen definitiven Sampler mit den Polydor-Aufnahmen
Caterina Valentes sucht, wird von dem Multi Universal Music nicht bedient. Lieblos werden dafür immer wieder
irgendwelche billigen Valente-Kompilationen auf den Markt geschmissen. Nach dem Motto: friss oder stirb! Und
dann wird wieder über die bösen Raubkopierer gejammert, die sich vielleicht ihre ganze eigene Valente-Sammlung
zusammengestellt haben. Der potenzielle Kunde ist wieder einmal der Böse.
Wie es anders geht, zeigt Michels Music Consulting. Für die deutsche RCA hat die Firma jetzt
ein Paket mit neun hochwertigen Kompilationen produziert. Neun Legenden der 50er und
60er werden vorgestellt: Harry Belafonte, Nina Simone, Eartha Kitt, Paul Anka, José Feliciano, Della
Reese, Rita Pavone, Duane Eddy und Françoise Hardy. Speziell für den deutschen Markt konzipiert,
sind diese CDs mit Hits, Classics und Raritäten die definitive Einstiegsdroge. Pünktlich
zum 100. Geburtstag von RCA liegen damit endlich mustergültige Künstlerporträts vor. Was in-house
zwei Jahrzehnte bei RCA niemand gelang, schaffte Wolfgang Michels im Alleingang. Sein Vorgehen erinnert dabei
an seinen amerikanischen Bruder Paul Williams, der für die amerikanische RCA ähnliche
CDs produzierte. Michels hörte sich durch das ganze Repertoire der Künstler, verglich es mit den Chartnotierungen
in Deutschland, USA und England, machte sich auf die Suche nach Originalbändern und Fotomaterial und destillierte
schließlich die Essenz heraus. Dabei hat er die Titel nicht streng chronologisch angeordnet,
sondern nach musikalischen Gesichtspunkten. Der flow ist dem Musiker das Wichtigste.
Vorher hatte Michels bereits das legendäre Telefunken-Label wachgeküsst. Mitte der 90er-Jahre
konnte er EastWest Records, die jetzige Eigentümerin des Telefunken-Katalogs, überreden,
den magischen Glanz des Namens digital aufzupolieren. Es kam zum Relaunch. Inzwischen liegen 50 CDs vor, darunter
viele der klassischen Hildegard-Knef-Alben und die Frühwerke Udo Lindenbergs im Original-Artwork. Generationen
von Deutschen waren seit den frühen 30ern mit dem magischen Namen aufgewachsen: Marlene Dietrich, Hans
Albers und Lale Andersen gehörten zu den Stars der ersten Stunden. Nach dem Krieg versammelte sich die
ganze Familie vor der Telefunken-Musiktruhe.
Man saß vor dem magischen grünen Auge, der dezent beleuchteten Sendersuchlaufskala und dem Zehn-Platten-Wechsler.
Und es erklang Vico Torriani: Kalkutta liegt am Ganges.... Manuela gab dem Bossa Nova Schuld, Billy
Mo kaufte sich lieber einen Tirolerhut und für die Knef sollte es rote Rosen regnen. Danach forderten Ton
Steine Scherben: Keine Macht für niemand. Kurz nach der Einführung der Compact Disc
war es vorbei mit der Telefunken. Die damalige Teldec fand das Logo und die Marke nicht mehr zeitgemäß.
Und so versank Telefunken in einen Dornröschenschlaf. Bis ein Prinz kam...