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nmz-archiv
nmz 2001/11 | Seite 21
50. Jahrgang | November
Internet/Computer
Die andere fremdgesteuerte Energie
Über einen kreativen Umgang mit dem Computer
In der Diskussion um die neuen Medien geistert ein Begriff: Fremdgesteuerte Energie. Mit diesem
Begriff soll gesagt werden, dass es in der Kritik im Umgang mit den neuen Medien darauf ankäme, möglichst
die so genannte fremdgesteuerte Energie aus dem musikalischen Schaffensprozess herauszuhalten. Inhaltlich
wird damit unterstellt, dass der kreativ schaffende Mensch seine Ursprünglichkeit (Originalität) verlöre
und zunehmend zur Marionette des neuen Mediums würde. Die Kritik beklagt weiterhin, dass damit das seelenlose
Musizieren und damit verbunden, die Ausdruckslosigkeit großen Eingang in den musikalischen Schaffensprozess
fände. Man wirft dem Computer vor, zu viel dieser fremdgesteuerten Energie zu enthalten, und er damit als
Werkzeug für den musikalischen Schaffensprozess möglichst zu meiden sei. Er dürfe nur zum Zweck
des Notenschreibens und anderer niederer Arbeiten eingesetzt werden. Alles gipfelt in dem Vorwurf,
dass der kreative Umgang mit dem Computer schlichtweg nicht möglich sei, also diametral anerkannten Grundsätzen
der Musikerziehung zuwiderlaufe. Die folgende Untersuchung soll zeigen, wie unsinnig dieser Vorwurf ist.
1. These Fremdgesteuerte Energie ist in der Musik normal.
Wenn man zum Thema fremdgesteuerte Energie die Energie anschaut, die in einem musikalischen Werk
gespeichert ist und die einen Musiker steuert, dann muss man sich nur zunächst einmal irgend eine Komposition
vornehmen, die heute millionenfach musiziert wird (etwa ein Violinkonzert von Johann Sebastian Bach). Es ist
hier zunächst einmal nicht die Energie des ausführenden Musikers, die hier zum Tragen kommt, sondern
es ist die Energie von Johann Sebastian Bach, vor Hunderten von Jahren hineingesteckt! Niemand käme auf
die Idee, Bachs Genialität, die man auch als musikalische Energie definieren kann, als fremdgesteuert
abzulehnen. Ganz im Gegenteil: Ganze Heerscharen von Musikern bemühen sich darum, diese Energie erfolgreich
in die Gegenwart umzusetzen und hörbar zu machen. Sie geben der kompositorischen Energie von Bach ihre
eigene musikalische Energie dazu und zusätzlich natürlich ihr Handwerk. Bereits an diesem Punkt sieht
man Folgendes ganz genau: Es gibt keine einzelne Energie im musikalischen Schaffensprozess, sondern es gibt
nur Synergie.
Auch andere außerhalb liegende Energien wirken auf die Musiker ein. Nehmen wir zum Beispiel die Energie,
die ich als Klangenergie bezeichnen möchte und die in einem Instrument vorhanden ist. Jeder,
der zum Beispiel Geige spielt, weiß, dass diese Klangenergie in seinem Instrument zunächst
einmal Geld kostet, und zwar nicht wenig. Ein neuer Mercedes als Preisvergleich muss schon investiert werden,
um ein Instrument zu bekommen, dessen Klangenergien, sprich klanglichen Möglichkeiten, so beschaffen
sind, dass es eben nicht am Instrument liegt, wenn es nicht schön tut, sondern am Musiker. Auch hier wieder
dasselbe: Das ganze Arbeiten und Üben des Musikers zielt darauf ab, die im Instrument gespeicherte Klangenergie
zu mobilisieren und hörbar zu machen. Auch hier würde wiederum niemand sagen, der Musiker sei fremdgesteuert.
Es gibt aber auch noch andere fremdgesteuerte Energie: Ich meine hier die sekundären Motivationen,
die Musiker oft haben. Zunächst einmal ist auch ein Musiker ein Mensch, der in dieser Gesellschaft sein
Geld verdienen muss, um all die Sachen zu bezahlen, die wir heute zum normalen Status zählen (Miete, Versicherungen,
Lebenshaltungskosten...); und jeder, der schon einmal miterlebt hat, wie schwierig es für junge Musiker
ist, in Positionen zu kommen, eben um dieses Leben finanzieren zu können, weiß um diese fremdgesteuerte
Energie im musikalischen Schaffensprozess. Dazu gehört aber auch der Wille, eine bestimmte Position
im Musikermilieu zu erreichen, sprich Ruhm und Anerkennung zu erlangen. Neben dieser sekundären Motivationen
kommt auch noch eine andere fremdgesteuerte Energie dazu: Jeder Lernende an einem Instrument bekommt
vollständig die Energie mit, die ein Lehrer für ihn bereithält und bereit ist, zu investieren.
Nicht umsonst fahren manche Schüler zu Spitzenlehrern um den halben Erdball, um einen Unterricht bei Starlehrer
XY zu bekommen, sprich diese Energie für sich zu nutzen. Wenn man also diese vier Punkte nun zusammennimmt
(und zu jedem einzelnen ließe sich noch eine Menge sagen), kommt ein sehr ernüchterndes Bild zusammen,
was den Mythos eigengesteuerte Energie anbelangt. Sie macht nämlich nur einen begrenzten Bestandteil
des musikalischen Schaffensprozesses aus. Natürlich ist sie unverzichtbar, um die Originalität des
musikalischen Wirkens zu erhalten. Doch allein gibt es sie nicht. Es gibt nur Synergie, also das Zusammenwirken
verschiedener Energien. Und schon gar nicht taugt diese These von der Fremdsteuerung zur Verteufelung
der neuen Medien.
2. Energie in der Software nutzen
Auch in der Software des Computers ist musikalische Energie gespeichert, die wie bei den obigen Beispielen
vom Musiker genauso genutzt werden kann. Was mich bei der Diskussion um die fremdgesteuerte Energie
so erschreckt ist die Tatsache, dass die Protagonisten dieses Begriffes oft wenig Ahnung von den Möglichkeiten
haben, die dieses Medium/Handwerkszeug zur Verfügung stellt. Insbesondere ärgert mich, dass die Leistung
der Softwareentwickler, die vor allem in den letzten Jahren ein erstaunliches Maß angenommen hat, hier
pauschal verteufelt wird. Als Beispiel sei hier die Firma Emagic in Rellingen bei Hamburg genannt (die ich ein
bisschen kenne), die sich von einem Dreimannbetrieb zu einem der führenden Softwarehersteller im Musikbereich
in den letzten zehn Jahren entwickelt hat. 60 Menschen arbeiten am Vertrieb eines exzellenten Produkts, etwa
dem Logic Platinums. Ein gutes kooperatives Verhältnis zu den Schulen mit einem eigenen Berater, ein (zwar
überlastetes aber) sehr effektives Beratersystem am Telefon und Möglichkeiten durch ihre Software,
von denen Musiker vor zehn Jahren nur träumen konnten das sind alles Punkte, die zwar Geld kosten,
aber auch Achtung verdienen. Dies umso mehr, als diese Software von veritablen Musikern entwickelt wurde, von
denen ein jeder seinen Mann auch auf der Bühne steht. Aber es ist natürlich notwendig, diese Energie
anzuzapfen, sprich zu lernen, wie man damit umgeht. Hier scheint es mir so zu sein, dass der Einwand der fremdgesteuerten
Energie als ein toller Vorwand dient, sich diese Arbeit zu ersparen. Aus meinen Kursen weiß ich,
wie mühsam oft der Prozess ist, effektiv gerade mit dem oben genannten Programm umzugehen. Ich weiß
aber auch, dass, wenn das grundsätzlich Handwerkliche damit erlernt worden ist, ein großes Staunen
und Sich- Freuen beginnt, über das, was man damit machen kann. Dieser handwerkliche Umgang mit dem Programm
bedarf eines ganz ausgeklügelten methodischen Konzeptes, das ich an anderer Stelle darstelle. Ist nun einmal
dieses Handwerk erlernt, ist der Schritt zum kreativen Umgang und zum Nutzen dieser Energie nicht mehr weit.
Meiner Erfahrung nach machen dies vor allen Dingen junge Menschen mit einer derartig großen Selbstverständlichkeit,
dass es nur so eine Freude ist.
3. Was ist zu tun?
Welche Folgerungen ergeben sich zum Beispiel für die Musikschulen daraus? Ich glaube, vor allem die Musikschulen
können es sich nicht mehr leisten, diese Diskussion um die fremdgesteuerte Energie zu führen
und den Computer draußen zu lassen. Der Weg der Erlernung der sinnvollen Nutzung des Computers in den
Musikschulen geht nur über den geschulten und kompetenten Lehrer. Gerade die Diskussion beim Regensburger
Medienkongress (siehe Bericht, S. 25!) hat klar ergeben, dass die Verbände und auch die einzelnen Musikschulen
hier händeringend nach Lösungen suchen und große Hilflosigkeit bekunden. Ganz anders ist hier
schon die staatliche Lehrerfortbildung ausgestattet, die seit Jahren in Dillingen Kurse zur Verfügung stellt,
in denen eine Woche lang Musiklehrer aller Schularten in Ruhe und in speziell dafür eingerichteten Studios
geschult werden können. Wieso ist es eigentlich nicht möglich, dass die Musikschulen diese Abteilungen
nutzen?
Wieso gibt es keine Kooperation zwischen den Fortbildungsstellen im Fachbereich Musik Dillingen und den bayerischen
Musikschulen? Unterkunftsmöglichkeiten und natürlich die Geräte wären vorhanden. Auch Bereitschaft
seitens der Akademieleitung ist meines Erachtens vorhanden, will man doch das Konzept der externen Kurse in
Zukunft ausbauen. Es fehlt augenscheinlich an dem Verbindungsglied zwischen diesen Institutionen. Auch hier
könnte man einmal ganz nüchtern fragen, wo denn die entsprechenden Stellen dafür im Kultusministerium
sind. Ist es nicht ihre Aufgabe, diese Koordination zu leisten?
Doch hier sieht man auch wieder das Politische ganz deutlich: Musikschulen werden von den Kommunen betrieben,
und somit außerhalb des kultusministeriellen Aufgabenbereichs. Tatsächlich wäre hier ein gerütteltes
Maß an Eigensteuerung auf beiden Seiten nötig, die Möglichkeiten zu nutzen. Komisch
hier warten alle auf Fremdsteuerung, die sie sonst gar nicht mögen.