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nmz-archiv
nmz 2001/11 | Seite 1
50. Jahrgang | November
Leitartikel
Es geht nicht, kann nicht gehen und geht doch
Österreichs Musikinformationszentrum als zukunftsweisende Kulturinstitution · Von Theo Geißler
Die Stiftgasse in Wiens siebtem Bezirk ist alles andere als eine Shopping-Mall. Ein paar Gaststätten,
eine Schule und viele Büros. Aber sie liegt zentral und ein goldgelber Neonbogen signalisiert schon von
weitem die Anwesenheit eines Ladenlokals. Freundliche, klar strukturierte Schaufenster enthalten CDs, Bücher,
Musikzeitschriften. Man schaut in den Raum dahinter. Der macht Musikinteressierte neugierig. Noch mehr CDs,
noch viel mehr Zeitschriften, Bücher und Plakate vom Kirchenkonzert bis zum Hip-Hop-Event. mica
heißt dieses Haus und es beherbergt mit dem music information center austria eine Non-Profit-Organisation.
Als unabhängiger, gemeinnütziger Verein wurde das mica 1994 in einer Kooperation zwischen der österreichischen
Bundesregierung und der Stadt Wien gegründet. Zunächst verstand es sich, ähnlich wie das deutsche
MIZ, vorwiegend als Dokumentationszentrum mit starkem elektronischem Schwerpunkt. Man setzte auf die Kraft des
Internets und seine weltweite Plattform. Archive und Datenbanken wurden erstellt mit dem Ziel, auf die Leistungen
des Musiklandes Österreich aufmerksam zu machen und gleichzeitig kommunikative Servicedienste zu leisten
für die heimische Musikszene. Mit den ersten Erfolgen geriet das mica bald ins Spannungsfeld divergierender
politischer und verbandlicher Interessenlagen. Man kennt das: Etats werden eingefroren, ihre Auszahlung an Bedingungen
geknüpft, die manchem dienen, aber nicht der Sache. Diese Situation hätte das mica vor zwei Jahren
fast die Existenz gekostet.
Glücklicherweise fand ein frisches Team unter der Geschäftsführung von Peter Rantaa die
richtigen Argumente und glaubwürdige Strategien, um die Geldgeber von der notwendigen Unabhängigkeit
des Institutes zu überzeugen. Österreichs Musiklandschaft ist kulturpolitisch ähnlich interessenzerklüftet
wie die bundesrepublikanische. Um im Rahmen eines Gemeinsinnes die Aushängeschild-Funktion gültig
erfüllen zu können, bedarf es folglich eines hohen Maßes an kompetenter Sachlichkeit. Mit Bernhard
Günther, Helge Hinteregger, Wolfgang Kopper und Ulrike Kuner holte sich Rantaa intelligente Kuratoren-Persönlichkeiten
ins Haus, die vom Urheberrecht bis zur Nachwuchsförderung alle beratungsbedürftigen musikalischen
Problemfelder in allen erdenklichen Musikstilen sachkundig abdecken.
Das ursprünglich zentrale Aufgabenfeld der digitalen Dokumentation und Information hatte sich dienend einzufügen
in eine Gesamtsicht des österreichischen und des internationalen Musiklebens. Diese Sicht zu entwickeln,
auf dem neuesten Stand zu halten und mit eigenen Perspektiven zu versehen, die freilich nie in einem scheuklappenverengten
Ideologiewinkel hängen bleiben dürfen, ist Aufgabe der kreativen Kuratoren-Arbeitsgruppe. Sie entwickelt
Projekte, einerseits als Sammelnetz aktueller Informationen, andererseits als Distributionszentrale gewonnener
Erkenntnisse. Als Sammelpunkt wurde beispielsweise die Veranstaltungsreihe mica-focus ins Leben
gerufen, bei der internationale Kapazitäten auf einheimische treffen und von der Medienpolitik bis zum
Musikexport, von der CD-Rezession bis zur Kulturpolitik im Internet die zeitgenössischen Brandstellen im
musikalischen Global Village einkreisen und ausforschen.
Sechs solcher Veranstaltungen hat das mica bisher durchgeführt, immer mit Blick auf die Situation im eigenen
Land und auf eine Avantgarde, die sich ausnahmsweise gerade mal im Ausland abspielen könnte. So
ging es beim Micafocus Nr. 6 zum Beispiel um Musikexport und zugehörige organisatorische Strukturen. Natürlich
auch unter dem Eindruck eines rezessiven österreichischen Anteils am Weltmusikmarkt. Die Eckdaten konnte
man geprüft und auskommentiert zur Verfügung stellen. Experten aus den Erfolgsländern
Frankreich und Schweden präsentierten ihre unterschiedlichen Konzeptionen fundiert, wobei das mica die
Plattform, den Input und die Gewähr für Kompetenz liefert, nicht aber Rezepte oder Leitlinien. Gern
auch mal im offenen Streit haben die eingeladenen Entscheidungsträger ob aus Politik, Wirtschaft
oder Administration die Pflicht zur Planung mit dem eigenen Kopf.
Den leisten sich die mica-Mitarbeiter allemal. Sie sind Kultur-Scouts, Heger, Sammler und Späher. Dabei
spielt es eben keine Rolle, ob frische Triebe im eigenen Wiener Beritt, am Sumpfloch des aktiennotierten Neuen
Marktes, im Konzertprogramm der Jeunesses Musicales oder beim Bandcoaching der VW-Sound-Foundation entdeckt
werden.
Vielseitige Spürnäsigkeit
Solche vielseitige Spürnäsigkeit entsteht freilich nicht in der Abschottung einer konventionellen
Amtsstube. Sie resultiert aus einer werthaltigen selbstbewussten, zielorientierten Zusammenarbeit. So schlägt
einem der Spirit of mica wie eine vielfarbige geistreiche Herausforderung entgegen, wenn man sich
als Fremder zu einem Projektgespräch des Teams dazugesellt. Überraschende Erkenntnisse gehören
zur Tagesordnung. Die vermeintliche Sicherheit solider dialektischer Argumentation kippt da einfach schon mal
weg. Vorurteile brechen in sich zusammen, Wege werden sichtbar. Der Plan ist: klug aufbereitete Information
zu liefern, die unterstützt von einer professionellen, intensiven Öffentlichkeitsarbeit politisch
wirksam wird.
Da fängt der Piefke an zu träumen: von Zweigstellen des deutschen Musikinformationszentrums im Berliner
Kulturkaufhaus Dussmann, im Gewandhaus, in den Philharmonien der großen Städte. Von einer Öffentlichkeitsarbeit
für das deutsche Musikleben, die auf dem Plateau der gesammelten Fakten so originell und phantasievoll
aufbereitet auftreten kann, dass Politiker, dass Wirtschaftsbosse sich überzeugt und hochmotiviert in die
Förderung unseres Musiklebens stürzen. Es geht doch.