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nmz-archiv
nmz 2001/11 | Seite 44
50. Jahrgang | November
Nachschlag
Nachschlag
Deus ex America
Auch Alberto Vilars jüngster Deutschlandbesuch bleibt nicht ohne Folgen. Nein, Beelzebub ist er keineswegs,
auch wenn er sich dessen Prinzip zu Eigen gemacht hat, dass der Teufel immer auf den größten Haufen
kackt so lautet nun einmal das Sprichwort. Das zweite Prinzip: Tue Gutes und lass es alle wissen! Beide
Grundsätze sind in seinem Credo verankert, das er jetzt bei seinem Besuch in Deutschland auf Einladung
der Bundesregierung mit der ihm eigenen pragmatischen Offenheit als A very personal overview of modern
philanthropy dargelegt hat.
Die Rede ist von Alberto Vilar, dem Giganten unter den amerikanischen Finanzunternehmern und Mäzenen gleichermaßen,
der tatsächlich aus dem Vollen seines riesigen Vermögens schöpfen kann und dies nach eigenem
Ermessen tut, seinen persönlichen Neigungen und Prioritäten folgend. Da hat die Musikwelt Glück,
dass sich so jemand zu den Classical Performing Arts und ganz speziell zu Oper und Ballett als den
wichtigsten Quellen seines Lebensglückes bekennt.
Und da nun einmal die traditionell gewichtigsten Institutionen dieser Kunstgattungen abgesehen von New
York natürlich auf dem alten Kontinent liegen, engagiert sich Vilar bereits seit einigen Jahren
bei Spitzeneinrichtungen quer durch Europa, vom Marijnski-Theater in St. Petersburg bis zum Glynebourne Festival,
von Mailands La Scala über die Salzburger Festspiele und den Wiener Musikverein bis nach Bayreuth, wo er
nach eigenem Bekunden auf dem Grünen Hügel die jeweils glücklichste Woche des Jahres verbringt.
Bei Wolfgang Wagner bedankt er sich dafür, indem er die Neuinszenierung des Tannhäuser
im kommenden Sommer finanzieren und das Haus auf dem großen grünen Haufen mit einer Klimaanlage ausstatten
wird, was auch sein eigenes Glücksgefühl dort noch steigern dürfte.
Während Bayreuth ohne Vilar weiter bestehen würde, hätte das neue, ebenso riesige wie fehlgeplante
Festspielhaus in Baden-Baden sehr bald nach seiner Eröffnung im finanziellen Desaster geendet, wäre
nicht der reiche Onkel aus Amerika eingesprungen, der bei der Errichtung einer Träger-Stiftung half, aber
auch für regelmäßige Gastspiele des Marijnski-Kirov-Ensembles sorgt und mit diesem gleichermaßen
raffinierten und kostspieligen Kunstgriff gleich beide Institutionen vorerst vor dem Verhungern bewahrt.
Mit dem dritten Projekt, dem sich Vilar in Deutschland durch einen siebenstelligen Förderbetrag zugewandt
hat, war er bereits in Berlin gelandet: Die vor vier Jahren am Ufer des Großen Wannsee eingerichtete American
Academy will in der Kultur- und Wissenschaftsmetropole, der sich die USA seit den Jahren der Teilung in besonderer
Weise verbunden fühlen, einen unmittelbaren Zugang zur aktuellen intellektuellen Szene Amerikas herstellen,
indem sie namhafte Künstler und Wissenschaftler ganz unterschiedlicher Disziplinen für ein halbes
oder ganzes Jahr über den Atlantik lockt und durch Vorträge, Konzerte, Dokumentationen, Lesungen und
Diskussionen ein Forum der Begegnung, der Information aus erster Hand und des intensiven geistigen Austauschs
schafft.
Der unerreicht großzügige Mäzen genießt es durchaus, wenn der Glanz bedeutender kultureller
Einrichtungen dank seiner Gabe auch auf ihn reflektiert; entsprechende Hinweise an Gebäuden, in Programmheften
und Verlautbarungen jeder Art empfindet er nicht nur als legitim, sondern er hofft jeden Abend darauf,
gerade dadurch andere, die es sich leisten könnten, für diese Art von Philanthropie zu motivieren.
Inzwischen aber hat Vilar auch erkannt, dass es mit der Vergoldung von Spitzeninstitutionen allein nicht getan
ist. Franz Xaver Ohnesorg, Intendant der Berliner Philharmoniker, hat den Multimillionär in New York für
die Idee begeistern können, Programme zur Gewinnung des Publikums von morgen und übermorgen zu entwickeln,
ohne das alle Liebesmüh um Baden-Baden, Bayreuth und Salzburg langfristig vergeblich wäre, ohne das
es aber auch um die vielen kleineren Häuser der Performing Arts beiderseits des Atlantiks bald noch weit
schlechter stünde.
Ohnesorg ist es tatsächlich gelungen, Alberto Vilars Engagement für den Publikumsnachwuchs gewissermaßen
im eigenen Handgepäck in die Berliner Philharmonie zu transferieren. Und der Großmäzen erscheint
nun selbst, um zu verkünden, dass das Jugendförderprogramm, ausgestattet mit voraussichtlich 100 Millionen
Mark, ohne Frage sein größtes Projekt in Deutschland sein werde. Glücklicherweise wollen beide
keine Schnellschüsse noch vor Weihnachten, keine philharmonische Peter und der Wolf-Invasion,
keinen Karneval der Tiere in Serie; sie wollen sich Zeit nehmen zur sorgfältigen Entwicklung
eines Projekts, das dann auch methodisch Modellcharakter haben soll.
Da trifft es sich gut, dass die Hochschule der Musik Hanns Eisler Berlin, kaum einen Kilometer von der Philharmonie
entfernt, derzeit unter dem Rektorat von Christhard Gössling steht, der dieses Amt versieht, ohne seine
Position als Solo-Posaunist der Berliner Philharmoniker aufzugeben: ein Verbund ist vorgezeichnet.
Wenn es tatsächlich gelingt, neue und vor allem wirkungsvolle Ansätze für die Vermittlung von
Musikinteresse bei Kindern und Jugendlichen zu entwickeln Lust auf Brahms und Strauss, Freude an Bach
und Schostakowitsch, Neugier auf Ravel und Lutoslawski, Spaß an Haydn und Strawinsky, Bedürfnis nach
Mozart und Bruckner, Verständnis für Schubert und Rihm, Begeisterung für Mahler und Beethoven
und Verdi und Berlioz und wenn es auch noch gelingen sollte, das alles in die Praxis umzusetzen, dann
(und vielleicht nur dann) haben unsere Sinfonieorchester und Opernhäuser, und zwar auch die kleinen, eine
Zukunft. Dass uns die Möglichkeit dafür durch einen reichen Onkel aus Amerika eröffnet wird,
sollte zu denken geben. Da wollen wir ihm auch einen neuen, wohltemperierten Tannhäuser in
Bayreuth von Herzen gönnen.