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nmz-archiv
nmz 2001/11 | Seite 25
50. Jahrgang | November
Pädagogik
Musikwissenschaft, eine Disziplin in der Selbstbefragung
Ein Symposium anlässlich der Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung in Hannover
Das Jahr 2001 ist das Jahr der Musikwissenschaft. Es liegt nahe, sich im Zusammenhang mit dem
internationalen Symposium, das die Hochschule für Musik und Theater Hannover anlässlich der Jahrestagung
der Gesellschaft für Musikforschung durchführte, auf den Satz zu beziehen, mit dem Siemens-Preisträger
Reinhold Brinkmann im Mai seine Dankesrede eröffnete. Hatte doch eines der Schwerpunktthemen der Tagung
(Musikwissenschaft 2001: Lehre und Forschung im institutionellen Kontext) neugierig gemacht darauf,
wie die als universitäres Fach nicht ganz sorgenfreie Disziplin ihren Standort am Beginn des neuen Jahrtausends
definieren würde.
Christoph Wolff (2.v.l.) berichtet aus Harvard, Detlef Altenburg (Weimar),
Richard Parncutt (Graz) und Susanne Rode-Breymann (Köln) lauschen. Foto: Koch
Der Tagungsort gab dabei eine Richtung der Diskussion vor: die Besonderheiten des musikwissenschaftlichen Studiums
an Musikhochschulen und die Chancen von Kooperationen zwischen Hochschulen und Universitätsinstituten.
Ob es dabei von Nutzen gewesen war, den Horizont für internationale Vergleiche zu öffnen, erwies sich
im Nachhinein als fraglich. Denn wo sollte über die nicht mehr ganz neue Feststellung der Nicht-Übertragbarkeit
von ausländischen Studiensystemen hinaus der Erkenntnisgewinn liegen? Dass in den Vereinigten Staaten die
Möglichkeiten der Selektion und das gemessen an der viel beklagten deutschen Massenuniversität
paradiesische Zahlenverhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden ein ganz anderes Studium ermöglichen,
ließ man sich vom Harvard-Kollegen Brinkmanns, Christoph Wolff, gerne ein weiteres Mal vorführen.
Wo aber die inhaltlichen Konsequenzen für ein stärker mit der Musikpraxis verzahntes Studieren etwa
nach englischem Vorbild lägen und was hiervon in die deutsche Diskussion miteinfließen könnte,
blieb weitgehend außen vor.
Auch die notwendige Auseinandersetzung mit den Ergebnissen einer Studie, die Ende 2000 im Fachorgan Die
Musikforschung erschienen war, ging an der eigentlichen Sache vorbei. Jan Hemming, Brigitte Marcuse und
Wolfgang Marx hatten dort in einer Initiative des Dachverbands der Studierenden der Musikwissenschaft (DVSM)
Lehrangebot und Fachstruktur an deutschen Ausbildungsinstituten erfasst und waren zu dem ernüchternden
Schluss gekommen, dass der interdisziplinäre, praxisbezogene und innovative Anspruch, den das Fach 1999
in einem Memorandum für sich reklamiert hatte (siehe nmz 9/99, S. 19), in der Realität der Lehre kaum
eine Entsprechung findet. In Hannover wurde die Aussagekraft der Studie allerdings wegen der statistischen,
an den Veranstaltungstiteln orientierten Methode grundsätzlich angezweifelt, wodurch eine weiterführende
Diskussion im Sande verlaufen musste.
Dabei hätte der Veranstaltung die ein oder andere echte Kontroverse durchaus gut getan. Über weite
Strecken vermittelte die Publikumsbeteiligung aber kaum etwas von der Aufbruchsstimmung, die das Tagungsmotto
suggeriert hatte. Auch dass sich der Anteil von Professoren im Auditorium in engen Grenzen hielt, war nicht
eben ein ermutigendes Zeichen für den Willen zur Selbstbefragung eines Faches, das zu Recht zum Kernbestand
der Geistes- und Kulturwissenschaften gezählt werden will.
Größer war dann die professorale Beteiligung an der Wahl Detlef Altenburgs zum neuen Präsidenten
der Gesellschaft für Musikforschung, die derzeit etwa 1.650 Mitglieder zählt. Altenburg, Jahrgang
1947, ist nach den Stationen Detmold, Paderborn und Regensburg seit Ende 1999 Professor an der Weimarer Musikhochschule
und seit Anfang 2000 Direktor des dort neu gegründeten gemeinsamen Instituts für Musikwissenschaft
der Hochschule für Musik Franz Liszt und der Friedrich-Schiller-Universität Jena ein Modell,
dass er in Hannover als einen möglichen institutionellen Zukunftsweg vorstellte. In dieser Art von Kooperationen
sieht Altenburg neben inhaltlichen Bereicherungen und Synergien auch eine hochschulpolitische Chance: Eine
Annäherung könnte darin bestehen, dass sich die Universitäten leisten können, Studierende,
die für das Studium nicht geeignet sind, rechtzeitig richtig zu beraten. Solange allerdings die Studentenzahlen
für die Mittelvergabe überbewertet werden und die Universität mit einem Durchlauferhitzer der
Bildung verwechselt wird, ist es schwierig, dies wirklich durchzusetzen.
So ist die Wahl Altenburgs vielleicht auch als Signal für eine weitere Intensivierung des Dialogs zwischen
Schulmusik und Musikwissenschaft zu werten, der in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Dieser müsste
neben Fragen der Institutionen aber eben auch das Thema Praxisbezug und die kapazitätsbedingt
nicht unbedingt florierenden Zweige der Systematischen Musikwissenschaft und der Musikethnologie stärker
mit einbeziehen. Dies könnte der vielbeschworenen gesellschaftlichen Relevanz des Faches nur gut tun und
damit als Argument eingesetzt werden gegen drohende Institutsschließungen oder Umstrukturierungen etwa
in Münster, Rostock oder Chemnitz. Dazu Detlef Altenburg selbstbewusst: Die Musikwissenschaft lässt
sich kaum ohne Schaden für die Dynamik des Systems geisteswissenschaftlicher Fächer und letztlich
für die Gesellschaft insgesamt aus den Universitäten wegrationalisieren. Die Musikwissenschaft ist
ein wesentlicher Schlüssel zu unserer kulturellen Identität.
Bleibt nachzutragen, dass die Hannoveraner Hochschule mit einem aus eigenen Kräften hochkarätig
bestrittenen Konzertprogramm dem zweiten Thema der Tagung (Klavier- und Orgelmusik im industriellen Zeitalter)
die willkommene musikalische Bodenhaftung verlieh.