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nmz-archiv
nmz 2001/11 | Seite 16
50. Jahrgang | November
Portrait
Die sind einfach nicht kleinzukriegen
Der neue BJO-Geschäftsführer Volker Spicker · Von Barbara Haack
Wenigstens hat er inzwischen einen Schreibtisch. Der neue Geschäftsführer des Bundesjugendorchesters,
Volker Spicker, lebt noch immer ein wenig provisorisch in der Berliner Dépendance des Deutschen Musikrates.
Aber das gibt sich nach und nach und immerhin arbeitet er mitten im Zentrum der Bundeshauptstadt. Zur
Friedrichstraße und Unter den Linden ist es nur ein Katzensprung, und die Mittagspause kann er schmökernd
im Kulturkaufhaus Dussmann verbringen.
Klavier spielt der Vielbeschäftigte zurzeit fast gar nicht mehr.
Foto: H. Fritz
Erst 32 Jahre jung ist der Musikwissenschaftler und -pädagoge, der seit Mai dieses Jahres für die
Geschicke des deutschen Spitzennachwuchsorchesters verantwortlich ist. Sein Studium absolvierte er in Gießen,
ein Promotions-Stipendium lehnte er ab, um zunächst einmal die Praxis auszuprobieren: Der hessische VdM
bot ihm an, die vakante Stelle des Landesjugendorchester-Managers zu übernehmen. Also stürzte er sich
in die organisatorische und pädagogische Arbeit. Die Promotionspläne sind aber noch nicht endgültig
ad acta gelegt. Vielleicht gelingt es ihm ja im Ruhestand?
Er selbst ist Pianist und konnte nie eigene Erfahrungen im Jugendorchester sammeln. Aber die Begeisterung
für diese Art der Jugendarbeit hat ihn schon in Hessen schnell gepackt. Sein besonderes Interesse gilt
der neuen Musik, und diesen Schwerpunkt möchte er auch im Zusammenhang mit der BJO-Arbeit ausbauen. In
jedes Konzert des Orchesters gehöre mindestens ein Werk der zeitgenössischen Musik, und eine besondere
pädagogische Aufgabe sei es, auch die Jugendlichen dafür zu begeistern.
Volker Spicker tritt das Erbe von Hans Timm an, dem langjährigen Vater des BJO. So wie dieser
sich die Übergabe vorgestellt hatte, klappte sie leider nicht. Frühzeitig hatte Hans Timm eine gemeinsame
Arbeitsphase des alten und des neuen Geschäftsführers geplant, damit man gemeinsam den Ernstfall proben
konnte. Stattdessen gab es einen Interims-Geschäftsführer, der schon nach einem Jahr das Handtuch
warf, und der Neue musste alleine ins kalte Wasser springen. Die erste Bewährungsprobe war
eine Konzert-Tournee durch Kroatien und Serbien im Sommer mit Mahlers Neunter. Aufführungsorte waren unter
anderem Belgrad und Slawonski Brod, einer zwischen Serben und Kroaten geteilten Stadt. Im Anschluss an das Konzert
gab es eine große Party, an der Jugendliche aus beiden Teilen der Stadt teilnahmen: bewegend für
alle, die dabei waren.
Bewegend war auch die zweite Aufgabe des neuen Geschäftsführers, die auf dem Fuße folgte.
Hier konnte er sich gleich bei einem der wichtigsten Partner des BJO, der Deutschen Stiftung Musikleben, bewähren.
Als Reaktion auf die New Yorker Terroranschläge plante diese ein Benefiz-Konzert für die Kinder der
Opfer. Innerhalb von nur einer Woche galt es, zirka hundert Jugendliche zusammenzurufen, nach Berlin zu holen
und sie vor einem Publikum von 1.000 Menschen spielen zu lassen. Und es gelang, das Orchester fast komplett
in der Originalbesetzung vom Sommer zu präsentieren. Jeder, der einmal ein Jugendorchester gemanagt hat,
weiß, was das bedeutet! Dieses Erlebnis zeigte im Übrigen auch, wie viel es den jungen Musikern bedeutete,
ihre eigene Betroffenheit kundzutun.
Zusammen mit seinem Kollegen vom Dirigentenforum sitzt Volker Spicker in Berlin weit weg vom Musikrat: von
der Bonner Zentrale ebenso wie von der Jugend musiziert-Filiale in München. Die räumliche
Trennung von Jugend musiziert bedeute aber keine inhaltliche Entfernung, so der Geschäftsführer.
Nach wie vor ist das BJO als Anschlussmaßnahme an den Wettbewerb zu verstehen, erfolgreiche Preisträger
sollen bevorzugt zu Probespielen oder Arbeitsphasen eingeladen werden. Die Trennung von der Zentrale ist jedoch
durchaus zu spüren. Als Berliner Musikratsbüro werden die Räumlichkeiten in der Georgenstraße
kaum genutzt. Kollegen und Vorgesetzte sieht er selten, hat sie zum Teil noch gar nicht kennen gelernt. Ob das
für eine einheitliche Präsentation der Musikrats-Arbeit nach außen und die gemeinsame Lobby-Arbeit
für die Musik hilfreich ist, sei dahingestellt. Die Einbindung in den DMR habe er bisher nur über
den Präsidenten erlebt, der voll und ganz hinter dem Projekt steht und mich in jeder Hinsicht unterstützt.
Immerhin hat der Berliner Standpunkt unbedingt Vorteile: die Wege zu den Förderquellen sind kurz, man lernt
die zuständigen Personen schneller kennen und kann sich kurzfristig mit ihnen treffen.
Die Finanzen sind ein eigenes Kapitel beim BJO. Schon in seinen ersten Monaten hat Volker Spicker das schmerzhaft
zu spüren bekommen. Die sommerliche Balkan-Tournee stand aufgrund der unsicheren Finanzierung kurz vor
der Absage. Grund: Die Mittel des Bundes für das BJO reichen allenfalls für die Grundfinanzierung
der Geschäftsstelle. Der wichtigste Förderer des Orchesters, die Deutsche Stiftung Musikleben, war
dabei, ihre Zusammenarbeit mit DMR und BJO zu überdenken. Ohne deren Gelder aber ginge gar nichts mehr.
Unter dem Vorbehalt, dass die Zusammenarbeit mit dem neuen Geschäftsführer gut funktioniere, wurde
dann die Entscheidung für das Orchester getroffen.
Dass die Kooperation mit der Stiftung in der Vergangenheit auch Konflikte in sich barg, ist kein Geheimnis.
Spicker hat die bisherigen gemeinsamen Projekte jedoch positiv erlebt. Konstruktive Vorschläge paarten
sich mit einer Zurückhaltung in inhaltlichen Fragen. Letztere allerdings ist Bedingung für eine gute
Jugendorchesterarbeit, die künstlerische und pädagogische Aspekte beinhaltet und über mehrere
Arbeitsphasen hinweg eine erkennbare Linie verfolgt. Dass ein Sponsor nicht die Programme bestimmen darf, ist
auch die Meinung des neuen Managers.
Inzwischen gibt es eine Vereinbarung zwischen der Stiftung und dem Musikrat, in der viele der problematischen
Punkte geklärt wurden. Aufgrund dieser Vereinbarung verfügt das BJO über eine gewisse Planungssicherheit,
auch wenn es mit den vorhandenen Mitteln keine großen Sprünge machen kann. Volker Spicker
ist aber überzeugt, dass man mit guten Ideen und außergewöhnlichen Projekten auch Sponsoren
überzeugen und zur Unterstützung bewegen kann.
Ein Highlight in Planung ist das gemeinsame Projekt mit dem Bundesjazzorchester anlässlich des Musikrats-Jubiläums
im Jahr 2003. Gunther Schuller soll eigens für die beiden Ensembles ein Stück schreiben. Und welches
sind die Ziele eines Bundesjugendorchesters? In erster Linie, so Spicker, soll hoch begabten Nachwuchsmusikern
eine professionelle Plattform geboten werden. Dirigenten, Dozenten, Werke, Projekte entsprechen dem Niveau der
Jugendlichen. Entsprechend hoch sind auch die Anforderungen an die Musiker und der Musiker an sich selbst. In
ihren Ansprüchen gleichen sie auf erstaunliche Weise professionellen Orchestermusikern. Die Gemeinsamkeiten
hören allerdings auf, wenn es um die Probenbereitschaft geht: Die sind einfach nicht kleinzukriegen.
Und wenn die letzte abendliche Tutti-Probe beendet ist, geht es mit Kammermusik erst richtig los.
Was gibt es noch zu sagen über Volker Spicker und sein BJO? Dass es ein fantastisches
Orchester ist und ich total begeistert bin. Im Sommer habe ich mir in vielen Proben und zwölf Konzerten
Mahlers Neunte angehört. Ich war gespannt, wir mir das gefällt. Aber es war keine Sekunde langweilig.