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nmz-archiv
nmz 2001/11 | Seite 20
50. Jahrgang | November
Rezensionen
Szenischer Betrug
Maßstabsetzende Kátja Kabanová auf DVD-Video
Leo
Janácek: Kátja Kabanová; Nancy Gustafson (Kátja), Felicity Palmer (Kabanicha), Barry
McCauley (Boris), John Graham-Hall (Kudrja) u.a.; Glyndebourne Chorus, London Philharmonic Orchestra;
Andrew Davies; Inszenierung: Nikolaus Lehnhoff; Bühnenbild und Kostüme: Tobias Hoheisel (1988)
Arthaus/Naxos 100 158 (99)
Vorsicht der Bühnen-Idylle ist nicht zu trauen! Aber sagen sie nicht, man hätte sie nicht
gewarnt. Schon das Vorspiel kündet von Unheil: Zuerst bäumen sich die Celli beängstigend empor
ein einziges minutenlanges Accelerando. Da unterbrechen Schellenglocken das Tosen, wie aus einer heilen
Kinderwelt. Doch die Musik prescht weiter vor in den Prolog-Schluss. Das Spiel beginnt und dann ist alles wieder
makellos: Der gelbe Wolgastrand, das blaue Haus mit den grellroten Tapeten drin, die Sträucher im Garten,
giftgrün und unbeweglich, ganz offensichtlich aus billigem Plastik. Schöne heile Welt! Die Kluft zwischen
Sehen und Hören bleibt: Nikolaus Lehnhoff entwarf für Leo Janáceks Katja Kabanowá
in Glyndebourne ein farbenfrohes Ambiente mit zugegeben simplen Bühnenelementen. Aber die intelligente
Licht- und Personenführung geben dauernd Stoff zum Denken. Dazu tönt aus dem Graben die nervöse,
schroffe Seelenmusik, die Andrew Davies dem London Philharmonic Orchestra abverlangte. Leider bleibt manchmal
wenig Raum zum Ausschwingen und freien Atmen, wodurch Katja zu kribbelig wirkt. Sicher, Nancy Gustafson geht
dabei ans Äußerste, aber die Stimme bleibt immer unter Kontrolle. Ihr Boris jedoch (Barry McCauley)
hat mit der zugespitzten Lesart von Andrew Davies hörbar Probleme. Aber das ist auch der einzige sängerische
Schwachpunkt. Der agile Kudrja von John Graham-Hall ist genauso herausragend wie Felicity Palmer als strenge
Kabanicha im wohlig-bunten Wohnzimmer. Erst im dritten Akt, wenn die angekündigte Tragik ihren Lauf nimmt,
wird es zappenduster. Aber da ist es für Katja schon zu spät.