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Ausgabe 2001/11
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nmz 2001/11 | Seite 20
50. Jahrgang | November
Rezensionen

Die Melodie der Zeit im Ohr

Trikont stellt vergessene „populäre jüdische Künstler“ vor

Berlin in den 20er-Jahren. „Die Menschen rennen aneinander vorbei und verstehen sich nicht. Das liegt nicht daran, dass sie mehr als sechzig verschiedene Sprachen sprechen. Ihre Einstellung ist eine verschiedene.“

Und doch gibt es für Arthur Landsberger, den schon Mitte der Roaring Twenties ein Albtraum verfolgte, „Berlin ohne Juden“, einen Ton, den sie alle verstehen: „Irgend etwas, was nicht in der Erde wurzelt, mit der sie verwachsen sind, etwas, was schwingt, gewiss nicht tief und wertvoll ist, aber sich doch irgendwie jedem mitteilt. Es ist nichts Gedankliches und auch nichts Gefühlsmäßiges ... es ist Atmosphäre, Melodie, die unhörbar mit allem Geschehen mitschwingt und in jeder Menschheitsepoche eine andere ist... das ist etwas Unbewusstes, feiner noch als Instinkt. Der Engländer hat’s und vor allem der Jude! Die Melodie der Zeit schwingt in ihm. Er fängt sie ein und gibt dem Wesenlosen Form und Ausdruck... er hat die Melodie der Zeit im Ohr.“

Nach 1933 wurden diese jüdischen „Ton-Körper“ verbannt, ins Exil gejagt oder ausgerottet. Es waren die Schellackplattensammler, die ihre Kunst wieder entdeckt haben. Dank einer rührigen Fangemeinde sind die Stimmen einer Epoche nun wieder gegenwärtig. Namen wie Friedrich Hollaender, Kurt Gerron, Curt Bois, Fritzi Massary oder Franziska Gaal sind dem Vergessen entrissen. Und plötzlich sind die Umrisse einer deutschen Populärkultur zwischen Kabarett, Revue, Operette und Kino erkennbar, die in Berlin und Wien entstand und die fast alles einer deutsch-jüdischen Melange verdankt. Selbst „Arier“ wie Theo Mackeben, Peter Kreuder oder Franz Grothe kupferten im „Dritten Reich“ noch reichlich von ihren jetzt „entarteten“ jüdischen Lehrmeistern wie Hollaender, Spoliansky oder Weill ab. Gerade in der Unterhaltungskultur manifestierte sich das „gespaltene Bewusstsein“ des „Tausendjährigen Reichs“ am deutlichsten. So haben die Nazis den jüdischen Walzerkönig Johann Strauß nach dem „Anschluss“ sogar nachträglich „arisiert“, weil sie auf ihn nicht verzichten wollten.

Wer zählt die Namen und die Schicksale all der „Entertainment“-Künstler, die auf diesen beiden Trikont-Samplern versammelt sind: Max Hansen, Willy Rosen, Otto Walburg, Siegfried Arno, Paul O’Montis, Margo Lion, Paul Morgan oder Fritz Grünbaum. Einst in den 20ern waren sie mit ihren übermütigen Schlagern und melancholischen Couplets zwischen Berlin, Hamburg, München und Wien Publikumslieblinge gewesen. Und nun waren sie plötzlich unerwünscht, wegen ihrer vermeintlichen „Rasse“. Wer es nicht schaffte, ins rettende Exil zu gehen, sondern nur im benachbarten Ausland Schutz suchte, in Österreich, der Tschechoslowakei, Frankreich, Holland oder Dänemark, fiel meistens den Nazis dort bald in die Hände, landete im KZ und wurde in einem Vernichtungslager ermordet. Es waren vor allem die Kabarettisten, die in der Neuen Welt für sich keine Zukunft sahen, in Europa blieben und Opfer der Nazis wurden.
Der Wiener Journalist und Übersetzer Chaim Frank hat diese wunderbare Anthologie zusammengestellt und kenntnisreich kommentiert. So erinnert er in seinen Liner-Notes auch an den „Ur-Vater“ all dieser Unterhaltungskünstler, den Minnesänger Süßkind von Trimberg, der im 13. Jahrhundert etliche Pogrome überlebte: „Er war ein fahrender Sänger im Aschkenasenland, der stets zwischen den Gesellschaften stand: Hier die Adelsherren, die ihn – solange er nach ihrem Munde sang – schützten und zu Geltung und Ruhm verhalfen, dort die jüdischen Gemeinden, die stolz auf ihren Sohn waren, zumindest so lange er Erfolg hatte. Am Ende aber war er allein, heimatlos, von allen verstoßen und verlassen.“ Wie viele seiner „Nachkommen“.

Viktor Rotthaler

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