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nmz-archiv
nmz 2001/11 | Seite 36
50. Jahrgang | November
Weltmusik
Das Ende des Geheimtipps?
Die Dresdener Gruppe Das Blaue Einhorn
Als Geheimtipp bezeichnet man uns nun schon seit Jahren, schmunzelt Paul Hoorn, vorderster Sänger,
Trompeter und Akkordeonist der Dresdener Folkgruppe Das Blaue Einhorn. Ihren Namen verdankt die
Gruppe dem kubanischen Sänger Silvio Rodriguez, der in Unicornio von einem blauen Fabelwesen
singt, das nachts mit seinem Horn Lieder einfängt. Blau mag etwas mit blue zu tun haben, mit
Weltschmerz vielleicht, der in gewisser Weise das Repertoire durchzieht, das deswegen noch lange nicht traurig
ist.
Zwischen Hinken und Fliegen: Das Blaue Einhorn. Foto: Unicornio
Andreas Zöllner (Gitarre, Gesang) ist Autodidakt, aber schon fast ewig dabei, war beim Vorläufer
Klumpung wie sein Bruder Dietrich, der zwar auch singt, aber vor allem Bauchgeige spielt:
die Geige hängt ihm vor dem Bauch, und wer genau hinschaut, weiß warum. Er hat Cello studiert. Michael
Schnorke Burckhard studiert noch seinen Kontrabass. Doch Paul Hoorn scheint der Mittelpunkt zu sein.
Er ist als Jugendlicher in Ungarn und Siebenbürgen gewesen und hat seither notorisch alles gesammelt, was
irgendwie mit Volksmusik tun hat. Allerdings, blue muss es wohl sein, etwas Erdiges haben. Den Weltschmerz,
den Rotz, das lachende und das weinende Auge findet man halt im Jiddischen, bei Zigeunermusik, im Fado oder
bei leicht heiseren französischen Chansons. Da gibt es Ähnlichkeiten, die schlecht zu beschreiben
sind, sagt der studierte Kirchenmusiker (der die Orgel zugunsten des Akkordeons aufgab).
In der Tat: Wenn der Fado Vida nocturna unter dem Moon of Alabama erklingt, kann es
eigentlich nur der Gassnsinger sein oder eben unser Geheimtipp. Im letzten Jahr hat Das
Blaue Einhorn rund 100 Konzerte gegeben; drei CDs liegen vor.
Im Frühjahr 2002 kommt die vierte: Lebenstanz. Zwar hat die Gruppe das Liebeslied des
jüdischen Mädchens an seinen palästinensischen Liebsten noch nicht gefunden, verspricht
aber für die CD allemal Lieder, Chansons und Tänze zwischen Hinken und Fliegen. Das Hinken
mag sich auf denkwürdige Rhythmen beziehen; das Zusammenspiel der Gruppe, dreistimmiger Gesang, virtuose
Soli und mitreißende Konzerte gehören eher in die Rubrik Fliegen. Das blaue Einhorn
ist professionell, aber unbeschwert und manchmal sogar schwerelos. Um so unbegreiflicher, dass die unter
diesem Namen seit 1991 bestehende Gruppe immer noch ein Geheimtipp ist.