Uraufführung in Basel: In Klaus Hubers Mandelstam-Oper Schwarzerde geht es um Dichterexistenz
in Zeiten des Terrors
Im vergangenen März wurde an der Semperoper Dresden Peter Ruzickas musikalisches Bühnenwerk Celan
uraufgeführt; Klaus Hubers jetzt in Basel aus der Taufe gehobene Oper Schwarzerde hat viele
Parallelen zu jenem Werk, doch auch Unterschiede genug, um nicht als ein (womöglich schwächerer) Abklatsch
davon gelten zu können.
Auch in Schwarzerde (der Titel assoziiert selbstverständlich Tschernobyl) geht es um Dichterexistenz
in Zeiten politischen Terrors, um Ossip Mandelstam (und seine Frau Nadeschda) und den Stalinismus. Doch Hubers
Librettist Michael Schnidhelm (der wortgewandte Basler Intendant) war nicht so eskapistisch wie Peter Mussbach
bei Celan, die Poesie der Mandelstams (ergänzt durch Texte von Anna Achmatowa und Marina Zwetajewa) konsequent
zu exkludieren und auf eigenes Sprachmaterial zu vertrauen.
Der Doppelgänger: Björn Waag als Panock. Foto: Sebastian Hoppe
Dass Sphäre und Wortlaut der Dichtung präsent sind, erscheint umso klüger und suggestiver, als
es sich gleichermaßen um ein eher nichtnarratives Stück handelt, das zwar einiges Biografische anklingen
lässt, aber der Dramaturgie von Träumen entspricht, die Alptraumhaftes und utopische Hoffnungsbilder
(hier vor allem angesprochen in zwei Zentralepisoden, die das südliche Wunschland Armenien beschwören)
zu einem irreal-imaginären Bogen zusammenfügt. Lyrische Stationen überwiegen; nur sparsam sind
grelle oder karikaturistische Momente kontrastiv eingesetzt; so ist der bedrohliche äußere
Rahmen der sich abschließenden, verletzt-verletztlichen dichterischen Innenwelt markiert.
Ähnlich wie Ruzicka, generierte Huber (gebürtiger Berner aus demselben Jahrgang 1924 wie Luigi Nono)
die neue knapp zweistündige Großkomposition (neun Szenen) im Kontext mehrer kleinerer Werke, die
sich in den letzten gut zehn Jahren (nach dem 1983 in Donaueschingen vorgestellten grandiosen Oratorium Erniedrigt
Geknechtet Verlassen Verachtet) mit russischer Dichtung aus der Zeit der Diktatur
beschäftigten. Doch unschwerer als Ruzicka gelingt Huber eine Musik der großen Zusammenhänge.
Dabei wird nicht nur Trauer evoziert als Modus eines perennierenden Adagiogestus. Hubers akribischer Umgang
mit Mikrotonalität (hier vor allem dritteltönige Passagen von weich-eindringlicher Wirkung) vergegenwärtigt
auch die Ausdrucksvaleurs einer um Atem ringenden, am Rande des Verstummens sich mühsam artikulierenden
Sprachfähigkeit und not. Damit scheint Nähe zu Helmut Lachenmanns spezifischer Ästhetik
hergestellt, doch Huber favorisiert auch im Instrumentalen weniger Geräuschkomponenten als den ins kaum
Hörbare ausdifferenzierten Klang. Die Behutsamkeit ist umso mitteilsamer, als sie sich komplexer konstruktiver
Prozesse versichert. Wie Nono (und Ruzicka) drängt Huber die Wort-Semantik zurück, hebt die Sprache
in fragilen vokalen Klanggespinsten auf. Die wechselnde Dreisprachigkeit (deutsch, russisch, armenisch) bekommt
damit fast den Anschein einer elaborierten Kunst-Sprache. Es war für das Verständnis hilfreich, dass
die Uraufführung deutsch übertitelt wurde.
Eine weitere Verbindung zu Ruzickas Celan wurde durch den Regisseur der beiden Uraufführungen, Claus
Guth, hergestellt. Auch diesmal bot Guth eine zwar nicht himmelsstürmende, aber solide szenische Optik,
die sich interpretatorische Eigenakzente versagte und dicht am Sujet und seinem historischen Hintergrund blieb.
Nicht immer erreichte die Visualisierung das Niveau des Stückes, am ehesten noch in der Schlussphase mit
dem wie in einem stummen Schrei aufgerissenen Mund der Dichterfigur und dessen rätselhaftem beredt-wortlosen
Zwiegespräch mit einer über ihm auf einem Wandvorsprung hockenden Tiermaske.
Das Bühnenbild von Christian Schmidt hantierte etwas unbedenklich mit russischer Wald-Projektion
und einem bühnen-beherrschenden kahlen Baumgerippe, einem etwas allzu beliebig eingesetzten Zeichen für
manches. Unter anderen terroristischen Nachtmahren trat wiederholt eine Stalinmaske auf, einmal zu einem frivolen
Tänzchen im Ballerinen-Tutu.
Die Akteure changierten zwischen Identifikation und distanziert-zeigender Rezitation. Die Hauptfigur des Dichter
(im Stück heißt er Panock) wurde von Björn Waag als vokal expressiver Leidens- und Schmerzensmann
dargestellt.
Mit ähnlich voluminöser Stimme beteiligte sich Rosemary Hardy als Nadja (Nadescha). Eine weitere
Zentralgestalt ist der Knabe, dessen traumverlorene Countertenor- Lineaturen (mit dem weit tragenden
Klangduktus von Kai Wessel) auf der Bühne von Instrumentalsolisten (einer Viola damore, einem Bassetthorn,
einer afrikanischen Trommel) sekundiert werden. In diesem utopischen Part manifestiert sich auch
die religiöse Grundierung der Huberschen Bekenntnismusik.
Der Dirigent Arturo Tamayo war ein denkbar einfühlsamer Anwalt dieser ebenso engagierten wie
unbestechlich an den Materialkonstellationen der Moderne festhaltenden Musik. Hubers neues Werk ist ein starkes,
sanft bezwingendes Argument für die weitere Wandlungs- und Entwicklungsfähigkeit des Phänomens
Oper. Die ambitionierte Uraufführung (vom Publikum verständig und beifallsfreudig aufgenommen) fand
im Rahmen des europäischen Musikmonats statt, bei dem im November eine Fülle von Gegenwartsmusik
in den verschiedensten Basler Lokalitäten demonstriert wird.