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nmz-archiv
nmz 2001/12 | Seite 4
50. Jahrgang | Dez./Jan.
Cluster
Beutelschneider
Die Stadt München spart. Die Kultur ist selbstverständlich überproportional betroffen. So ist
das nun mal und es soll kein neuer Klagegesang angestimmt werden. Eines aber sollte zu denken geben: Der Dirigent
der Münchner Philharmoniker James Levine hat nun seinen Dienst quittiert. In New York hatte man sich seinerzeit
ohnehin recht despektierlich und ironisch darüber geäußert, dass der Leiter der Met damals den
Schritt über den Teich in die europäische Provinz tat. Doch München wollte ihn und selten wurde
im Vorfeld so heftig öffentlich über den Nachfolger Celibidaches debattiert. Andere, mutigere und
auch weniger kostspielige Entscheidungen waren gefordert worden. Dass die Wahl auf Levine fiel, resultierte
aus der schlechten Mischung aus Repräsentationsgeilheit und mangelnder Sachkompetenz.
Man setzte aufs teure Pferd und meinte damit aufs Sichere zu setzen. Dem Wunsch des Orchesters war nachgegeben
worden, das sich an den Töpfen großer Schallplattenproduktionen wähnte. Nun im Nachhinein stellt
sich Ernüchterung ein. Will man es hart sagen, so lautet das Urteil: Die Verpflichtung Levines hat dem
kulturellen Leben Münchens außer Kosten so gut wie nichts gebracht. Die künstlerischen Resultate
blieben spärlich, kaum entstand eine tragfähige Bindung zum Orchester. Der Chef erschien vertragsgemäß
kurz am Pult und lieferte Resultate ab, die im Wesentlichen dem polierten Standard der High-Level-Allerweltskultur
entsprachen. Das aber ist heute zu wenig. Musik, vor allem in der Interpretation eines städtischen Orchesters,
hat integraler Bestandteil der Stadtkultur zu sein. Sie muss Leben entfachen, Debatten heraufbeschwören,
Auseinandersetzungen suchen. Vor allem auch hätte sie im Klang eine eigene Identität zu entwickeln,
wie dies, so vielleicht unwiederholbar, unter Celibidache geschah. Und es gibt durchaus junge Dirigenten, die
sich einer solchen Aufgabe stellen würden. Es wäre etwas, was Banken mit Gewinnsparen umschreiben
würden.
Denn in den Sphären Levines hätte die Stadt durchaus noch Luft für Reduzierungen. Oder sollte
sie sich wieder einmal sagen lassen müssen, dass sie den Mechanismen kultureller Beutelschneider auf den
Leim gegangen ist, von denen kein finanzieller, noch weniger ein kultureller Gewinn zu erwarten ist?