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nmz-archiv
nmz 2001/12 | Seite 14
50. Jahrgang | Dez./Jan.
Deutscher Kulturrat
Ein Planet namens Bundesrepublik
Wer hat das Sagen in der deutschen Kulturpolitik? · Von Olaf Zimmermann
Wenn von Deutschlands Kulturlandschaft die Rede ist, wird zumeist die einzigartige Vielfalt und die Breite
des kulturellen Angebotes hervorgehoben. Deutschland kann sich glücklich schätzen, über eine
Vielzahl von Theatern, Museen, Bibliotheken, Archiven, Bau- und Landschaftsdenkmälern, Vereinen und Stiftungen
zu verfügen. Dank einer ganzen Palette von Preisen, Ehrungen und Stipendien werden Künstlerinnen und
Künstler aller künstlerischen Sparten gefördert. Das Musikleben zeichnet sich darüber hinaus
noch durch ein überaus reichhaltiges Vereinsleben und ein für alle künstlerische Sparten einmaliges
Förderwesen für junge begabte Künstlerinnen und Künstler sowie für das künstlerische
Laienschaffen aus.
Als Grund für die Vielfalt des kulturellen Lebens in Deutschland wird zumeist und zu Recht der Föderalismus
angeführt. In Deutschland als verspäteter Nation haben gerade im 19. Jahrhundert, aber auch schon
vorher, die Fürsten auf dem Gebiet der Kultur miteinander konkurriert. So kommt es, dass man in einem Bundesland
wie Thüringen auf Schritt und Tritt auf bedeutsame Zeugnisse vergangenen und wiederaufblühenden föderalen
Glanzes trifft. Aber auch die anderen Länder können auf ein vielgestaltiges kulturelles Leben verweisen
von der Vereinskultur vor Ort bis hin zu international anerkannten Spitzeneinrichtungen.
Der Wettbewerb damaliger Duodezfürsten auf dem Gebiet der Kultur scheint so manchem Ministerpräsidenten
ein Vorbild zu sein, nun von einem geografisch wesentlich größeren Gebiet aus, ebenfalls die Eigenständigkeit
gerade im kulturellen Bereich hervorzuheben und alle Bundesaktivitäten als unzulässige Vereinnahmung
von sich zu weisen. Ganz so kommt es einem vor, wenn man hört, dass die Frage der Entflechtung der Bund-
Länder-Finanzierung nun im Bereich der Kulturfinanzierung exemplarisch vorgeführt und die geplante
Bundeskulturstiftung das erste Opfer einer strikten Trennung von Bundesförderung und Landesförderung
werden soll.
Streitpunkt Kulturhoheit
Worum geht es in diesem Streit um die Bundeskulturstiftung eigentlich? Sollen für das Jahr 2002 wirklich
25 Millionen Mark (2003 = 50 Mio.; 2004 = 75 Mio.) zusätzliche Mittel für die Kultur verhindert werden,
damit die Kulturhoheit der Länder nicht angetastet wird?
Zunächst einmal ist ganz nüchtern festzustellen, dass bis auf den Freistaat Bayern alle Länder
in ihrer Verfassung bekennen, dass sie ein Teil beziehungsweise ein Glied der Bundesrepublik Deutschland sind.
Im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ist in Art. 20, Abs. 1 festgelegt, dass die Bundesrepublik
ein Bundesstaat ist. Das Bekenntnis der Länder bis auf Bayern zum Bundesstaat und die Festlegung
des Bundesstaates im Grundgesetz korrespondieren also miteinander. Der Bundesstaat Bundesrepublik Deutschland
setzt sich aus den Ländern, die wiederum Staatsqualitäten haben, zusammen. Durch den Bundesrat wirken
die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen
Union mit (Art. 50 GG).
Im Prinzip wäre es möglich, dass genau geregelt würde, welche Zuständigkeiten der Bund
und welche die Länder wahrnehmen müssen. Im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland wird
in Art. 30 aber festgelegt: Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen
Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt.
Und in Art. 31 GG steht: Bundesrecht bricht Landesrecht.
Auf Art. 30 GG wird sich in erster Linie bezogen, wenn es um die so genannte Kulturhoheit der Länder
geht. Denn anders als in den Landesverfassungen bekennt sich das Grundgesetz leider nicht ausdrücklich
zur Kulturpflege oder Kulturförderung. Und auch in Art. 70 bis 74a GG in denen die ausschließliche
und konkurrierende Gesetzgebung des Bundes und der Länder beschrieben wird, ist bis auf die ausschließliche
Gesetzgebung des Bundes im Urheber- und Verlagsrecht von der Kulturgesetzgebung keine Rede.
Darf der Bund also auf den Gebieten der Kulturgesetzgebung, -pflege oder -förderung nicht tätig
werden? Eine solch fundamentalistische Absage an die Kulturpolitik des Bundes wird auch von denjenigen, die
den Föderalismus besonders hoch halten, nicht vertreten. Hieße es doch, dass sich der Bund auch aus
der Förderung vieler Einrichtungen in den Ländern zurückziehen könnte, die ihrerseits auf
die Bundesmittel angewiesen sind, um ihre Aufgaben wahrnehmen zu können. Dieses gilt in besonderem Maße
für Kultureinrichtungen in den neuen Ländern. Auf deren kulturelle Entwicklung wird im Einigungsvertrag
explizit Bezug genommen, wenn ausgeführt wird, dass die kulturelle Substanz keinen Schaden nehmen darf.
Der Einigungsvertrag war auch der Ansatzpunkt für den Bund, in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung
mithilfe der Übergangsfinanzierung das kulturelle Leben in den neuen Ländern zu unterstützen.
In den neuen Ländern wird vielleicht auch aufgrund der positiven Erfahrungen, die mit der gemeinsamen Finanzierung
von Kultureinrichtungen im weitesten Sinne gemacht wurden, die Beteiligung des Bundes an kulturellen Aufgaben
und die Wahrnehmung der kulturpolitischen Kompetenz des Bundes mit selbstbewusster Gelassenheit verfolgt.
Aber nicht nur der im Einigungsvertrag festgeschriebene Auftrag, die kulturelle Substanz zu erhalten, gibt
dem Bund die Möglichkeit auf kulturellem Gebiet tätig zu werden. Bereits im Jahr 1971 wird im von
einer Bund/Länder-Kommission erarbeiteten Entwurf des so genannten Flurbereinigungsabkommens in §
1 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 6 ausgeführt: Die Bundesregierung und die Regierungen der Länder stimmen
darin überein, dass der Bund Aufgaben in folgenden Bereichen finanzieren kann: 1. Wahrnehmung der Befugnisse
und Verpflichtungen, die im bundesstaatlichen Gesamtverband ihrem Wesen nach dem Bund eigentümlich sind
(gesamtstaatliche Repräsentation); 2. Förderung von bundeswichtigen Auslandsbeziehungen, insbesondere
zu nichtstaatlichen internationalen und ausländischen Organisationen und Einrichtungen (Auslandsbeziehungen);
6. Förderung zentraler Einrichtungen und Veranstaltungen nichtstaatlicher Organisationen im Bereich der
Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes, die für das Bundesgebiet als Ganzes von Bedeutung sind und
deren Bestrebungen ihrer Art nicht durch ein Land allein wirksam gefördert werden können (nichtstaatliche
zentrale Organisationen). In einer Protokollnotiz zu § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Entwurfs des so genannten
Flurbereinigungsabkommens werden ausdrücklich geschichtlich, wissenschaftlich und künstlerisch bedeutsame
Einrichtungen und Veranstaltungen hinzugerechnet, wenn darin Rang und Würde des Gesamtstaats oder
der deutschen Nation zum Ausdruck kommen. Auch wenn das so genannten Flurbereinigungsabkommen von den
Ländern nicht unterzeichnet wurde, wird dennoch seither in der Praxis danach verfahren.
Landesverfassungen
Die ausschließliche Kulturhoheit der Länder steht, wenn die unterschiedlichen gesetzlichen Vorschriften
dagegen gehalten werden, auf tönernen Füßen. Diese tönernen Füße werden umso
brüchiger, hält man die in den Landesverfassungen beschriebene Verpflichtung zur Kulturförderung
und Kulturpflege dagegen.
Bis auf die Hamburgische Verfassung (HmbVerf) wird in allen Verfassungen ausdrücklich auf die Kunstförderung
und Kulturpflege eingegangen. Einige Länder wie Bayern (BayVerf Art. 3), Berlin (BerlVerf Art. 20), Brandenburg
(BrandVerf Art. 34), Mecklenburg-Vorpommern (M-VVerf Art 16), Niedersachsen (NdsVerf Art. 6), Sachsen (SächsVerf
Art 11), Sachsen-Anhalt (SaAnhVerf Art. 36) und Thüringen (ThürVerf Art. 30) erklären die Kulturförderung
und Kulturpflege ausdrücklich zu Staatszielen. In anderen Ländern wie Bremen (BremVerf Art. 11), Nordrhein-Westfalen
(NWVerf Art.18), Rheinland-Pfalz (RhPfVerf Art. 40) und Saarland (SaarlVerf Art. 34) wird unter Grundrechte
und Grundpflichten auf die Kulturförderung und Kulturpflege verwiesen. In der Verfassung von Schleswig-Holstein
wird unter der Überschrift Land und Volk in den ersten Verfassungsartikeln (SchlHVerf Art. 9) auf die Kulturförderung
und -pflege eingegangen. In der baden-württembergischen (BaWüVerf Art. 86) und der hessischen Verfassung
(HessVerf Art. 62) wird die Kunstförderung und pflege in den Zusammenhang des Denkmalschutzes gestellt.
Die Verfassungen der Länder Bayern (BayVerf Art. 162) und Hessen (HessVerf Art. 46) enthalten darüber
hinaus den Verweis auf den Schutz geistigen Eigentums, obwohl das Urheberrecht in der ausschließlichen
Gesetzgebung des Bundes (Art. 73 GG) liegt. Einige Länderverfassungen versichern kulturellen und ethnischen
Minderheiten ihre Rechte zur kulturellen Eigenständigkeit wie zum Beispiel die Verfassung von Sachsen-Anhalt
(SaAnhVerf Art 37), andere wie die niedersächsische Verfassung (NdsVerf Art. 72) sichern den überkommenen
Einrichtungen der ehemaligen Länder, aus denen das Land Niedersachsen hervorgegangen ist, die Wahrung und
Förderung der kulturellen Belange zu.
In ihren Verfassungen bekennen sich die Länder nicht nur zu ihrer kulturpolitischen Verantwortung, sie
verpflichten sich zu einem beträchtlichen Teil auch der Kulturförderung und der Kulturpflege. Diese
Verpflichtung findet unter anderem ihren Ausdruck in der Bereitstellung von Mitteln für kulturelle Einrichtungen
und Projekten oder auch in Maßnahmen der individuellen Künstlerinnen- und Künstlerförderung.
Diese Verpflichtung bedeutet aber nicht, dass die Kulturpflege im eigenen Land vor bundesstaatlichem Einfluss
zu verteidigen ist. Vielmehr könnte man weiterdenken und formulieren, dass ein Engagement des Bundes, wenn
es zum Nutzen der Kultur eines Landes ist, wiederum der verfassungsgemäßen Kulturförderung dient.
Warum also dieser Widerstand?
Wenn von der direkten Kulturförderung abstrahiert wird, wird die kulturpolitische Wirkung des Bundes
für die Kulturförderung und Kulturpflege in den Ländern umso deutlicher. Bundesstaatliche Maßnahmen
wie der Bundeszuschuss zur Künstlersozialkasse dienen letztlich den Künstlerinnen und Künstlern
vor Ort, das heißt sie stärken indirekt das kulturelle Leben. Die jetzt im Finanzausschuss des Deutschen
Bundestags beschlossene Reform der so genannten Ausländersteuer wird ihre Wirkungen in den Kommunen und
in den Ländern entfalten. Sie wird zu einem verstärkten Kulturaustausch beitragen und damit der Kultur
in den Ländern dienen. Die geplante Bundeskulturstiftung wird ihre Projekte nicht auf einem fernen Planeten
namens Bundesrepublik Deutschland verwirklichen, sondern in den Ländern und den Kommunen. Sie wird das
verstärken, was die Kulturstiftung der Länder, gefördert aus Mitteln der Länder und des
Beauftragten der Bundesregierung, für Angelegenheiten der Kultur und der Medien heute schon umsetzt, nämlich
beim Ankauf von Kulturgütern helfen oder aber über die Fonds Künstlerinnen und Künstler
unterstützen. Darüber hinaus soll die geplante Bundeskulturstiftung noch den kulturellen Austausch
und kulturelle Innovationen fördern. Alles wichtige, achtenswerte Ziele, die letztlich in den Ländern
ihren Ausdruck finden werden.
Warum also ist aus den Ländern eher mit Widerstand als mit Unterstützung zu rechnen, wenn der Bund
etwas kulturpolitisch bewegen will, was letztlich den Ländern zugute kommt? Ich denke, eine Ursache liegt
darin, dass, wie einst, Kultur ein Instrument zur Selbstdarstellung der Länder ist. Einige Länder
beherrschen diese Kunst perfekt und verstehen es, ihre Einrichtungen und Maßnahmen, die auf einem hohen
Niveau gefördert werden, zur staatlichen Repräsentation zu nutzen. Sie scheinen zu fürchten,
dass zusätzliches Engagement des Bundes ihren Glanz schmälern könnte. Die zweite Ursache könnte
darin liegen, dass Kultur und Kulturpolitik Instrumente zu sein scheinen, mit denen vermeintlich, ohne viel
Schaden anzurichten, der Bund in seine Schranken verwiesen werden kann. Der derzeitige Streit um die Bundeskulturstiftung,
die im Prinzip von den Kulturministern bejaht wird, wird nun von den Staatskanzleien benutzt, um die Kompetenzaufteilung
zwischen Bund und Ländern zu diskutieren. Letztlich zum Schaden der Kultur.
Die Kulturminister der Länder sind darum nach meiner festen Überzeugung jetzt gefordert, entsprechend
ihrer verfassungsgemäßen Pflicht zur Kulturförderung und -pflege für die Kulturpolitik
des Bundes einzutreten. Denn wie stets in der Bundesrepublik: ohne die Länder gäbe es die Bundesrepublik
nicht, aber ohne die Bundesrepublik könnte auch so manches Land nicht existieren. In einem Bundesstaat
sind beide, Bund und Länder, aufeinander bezogen. Dies sollte auch für die Kulturpolitik gelten. Abwehrgefechte
und das Pochen auf die Kulturhoheit schadet letztlich nur einem im Spiel, der Kultur.