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nmz-archiv
nmz 2001/12 | Seite 53
50. Jahrgang | Dez./Jan.
Dossier: Musikbuch
aktuell & neue Noten
Roter Faden verwebt in einheitlichem Netz
Peter Gülkes Beethoven-Studien in einem Sammelband bei Metzler/Bärenreiter
Peter Gülke: ...immer das Ganze vor Augen. Studien zu Beethoven, Metzler/Bärenreiter
2000, 282 S., 68 Mark
Das Spektrum der hier publizierten Aufsätze ist ein breites und repräsentatives, und obgleich die
Kerngruppe schon um 1970 herum entstand, kann der Eindruck des Lesers allemal dem vom Verfasser aufgeworfenen
Bedenken standhalten: ... daß er (Gülke) dem Leser zu beurteilen überlassen muß,
ob und inwieweit dies Älterwerden gleichbedeutend sei mit Veralten.
Vier der Essays wurden für musikwissenschaftliche Periodika verfasst: Zur Bestimmung des Sinfonischen,
Introduktion als Widerspruch im System, Kantabilität und thematische Abhandlung,
und Zur musikalischen Konzeption der Rasumowsky-Quartette op. 59. Die Arbeiten zum Fidelio und zur
Missa solemnis haben einführenden Charakter. Angesichts der Tatsache, dass diese somit eigentlich für
ein breites, wohl eher Laien-Publikum bestimmt waren, sind sie, zumal aus Gülkes Feder stammend, von außergewöhnlich
hohem Anspruch. Auch wenn ihre Thematik breit gefächert ist, so durchzieht die Aufsätze, die immerhin
ein zeitliches Spektrum von etwa 30 Jahren umfassen, ein roter Faden, der sie sprichwörtlich zu einem einheitlichen
Netz verwebt: immer das ganze vor Augen. Mit diesem Beethoven-Zitat wurde auch der einleitende Aufsatz
betitelt, der einzige übrigens, der eigens für die vorliegende Publikation verfasst wurde. Hier verweist
Gülke eindringlich auf die Notwendigkeit, Beethovens Schaffen unter dem Gebot des Ganzen zu sehen und widerspricht
dem Argument, ein solches Herangehen an sein Werk sei mittlerweile zu einem bloßen Allgemeinplatz der
Beethoven-Exegese geworden. Von absoluten Maßgaben stranguliert erscheint jegliches Streben zum
Ganzen zum Scheitern verurteilt, andererseits freilich, wenn aus Furcht vorschnell Grenzen gezogen werden, zu
,selbstverschuldeter Unmündigkeit. Auf dieser Linie lässt Beethovens Werk sich verstehen als
fortwährend erneuerter Versuch, diese ,Unmündigkeit zu durchbrechen und über die Margen
je partikularer Ganzheiten auf umfassendere hinauszuschauen, vom Thema auf das Ganze des Satzes, vom Satz auf
das Ganze des Werkes, vom Werk auf das Ganze einer Werkgruppe oder auf dasjenige einer kompositorischen Problemgemeinschaft,
von der Musik auf das Ganze eines Lebens- oder Weltzusammenhangs, worin Musik wiederum nur eine Partikularität
darstellt. Die Anhäufung von Zitaten der ,großen Philosophen besonders im ersten Aufsatz
freilich erscheint überflüssig und verhältnismäßig anstrengend. Sie erzeugt ein Schlaraffenland-Gefühl
in dem Sinne: Friss dich erst durch den Philosophen-Pudding, bis du zur Erkenntnis kommst! Hat man sich allerdings
erst einmal in Gülkes Sprache, allgemein mit dem Epitheton schwierig versehen, hinein verbissen,
und erhält man den Überblick über die syntaktischen Verschachtelungen und die oft eher über
Umwege formulierten Aussagen, dann bringt der Sammelband eine erhebliche Bereicherung mit sich.
Gülkes umfassende Werkbetrachtungen enthalten Analysen, die die Aussagen im angemessenen Umfang stichhaltig
untermauern. Das Gleiche gilt für die gut und sparsam ausgewählten Notenbeispiele. Eine dankenswerte
Leistung der Verlage.