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nmz-archiv
nmz 2001/12 | Seite 56
50. Jahrgang | Dez./Jan.
Dossier: Musikbuch
aktuell & neue Noten
Harald Schmidt ist ein Produkt von Punk
Jürgen Teipels beeindruckender Doku-Roman Verschwende Deine Jugend
Selbst Marcel Reich-Ranicki ist inzwischen der Meinung, dass der große Roman der Gegenwart Woche für
Woche im Spiegel steht: Fakten, Statements, Reportagen hart montiert nichts kann einen so
schwindlig machen wie die pure Oberfläche der Welt. Jürgen Teipel, als szenekundiger Hardcore-Selbsterfahrungsjournalist
immer schon ein Maniac, geht in seinem Punk-Doku-Roman noch einen Schritt weiter: wo der Spiegel
Wirklichkeit durch Analyse, Zynismus, Meinung wattiert, kommt bei ihm die Geschichte einer Generation
vollkommen ungeschönt daher: als Theater der hundert Stimmen, als unaufhörlich-mäandernde Gedanken-
und Gefühls-Collage all derer, die dabei gewesen sind.
Teipels methodischer Ausgangspunkt sind die beiden Grund-Wahrheiten des New Journalism: Man muss
erfahren haben, worüber man berichten möchte. Die Welt ist nicht im Kopf, sondern eine Wildnis, die
man durchqueren muss. Und: Die Wirklichkeit ist nicht einfach nur die Fülle der Eindrücke. Sie muss
erst die Subjektivität passieren, bevor sie sichtbar wird. Haltung und Stil sind nicht entbehrliche
Zutaten, sondern Mittel der Erkenntnis.
Deshalb hat Teipel zuerst mit (fast) allen wichtigen Protagonisten des Punk in Deutschland gesprochen. Mehr
als 1.000 Interview-Stunden kamen auf diese Weise zu Stande; das einzigartige Archiv einer Ära, die beides
ist: nach wie vor vital/virulent und verschollen. Teipel wollte sich aber nicht mit einer schlichten Dokumentation
begnügen. Seine Grundidee war anspruchsvoller und persönlicher. Die Erinnerungen, die er sammelte,
wurden unter seiner ordnenden, montierenden Hand zum Material eines großen Zeit- und Gesellschafts-Romans,
der zu Recht seinen Namen trägt. Denn Verschwende Deine Jugend ist nicht nur das faszinierende
Porträt des Untergrunds der späten 70er- und frühen 80er-Jahre, sondern auch die
Initiations-Geschichte des Autors Jürgen Teipel, für den Punk die role-models zur Verfügung stellte,
an denen er seine eigene, unverwechselbare Subjektivität ausbilden konnte.
Punk begann Mitte der 70er-Jahre als doppelte Revolte: gegen die graue Welt der Erwachsenen, in deren Wünschen
und Sekundärtugenden der verdrängte oder nur halb und falsch bewältigte Faschismus
fortlebte; und gegen die bunte Anti-Welt der Hippies, dieses rousseauistische Häkel-Idyll aus selbstgerechtem
Anderssein und Aussteigertum, aus Sex und Stövchen, Drugs und Selbststrick-Pullover.
Punk begann nicht als Musik-Genre, nicht einmal als halbwegs klar definierter Lebensstil, sondern als Provokation
und Verweigerung. Rückblickend erscheinen die Punks als Avantgardisten einer Medien- und Öffentlichkeits-Guerilla,
die virtuos mit Symbolen spielten und mit Haltungen experimentierten. Wenn Moritz Reichelt, Maler und Frontmann
des PLAN, heute sagt: So ein Typ wie Harald Schmidt, das ist letztlich auch ein Produkt von Punk,
dann formuliert er eine fatale Dialektik des Fortschritts: wie die 68er-, so scheiterte auch die 77er-Generation
gemessen an ihren ursprünglichen existenziellen, politischen und ästhetischen Ansprüchen. Sie
war aber durchaus folgenreich. Sie veränderte die Mode, die Kodes der Werbeagenturen und die Dramaturgie
der Medien.
Punk-Accessoires sind heute fast schon der Normalfall jugendlicher Selbstinszenierung: blaue Haare oder Piercings
schocken keinen mehr, den Müll-Chic haben längst die teuren Boutiquen übernommen. Am Ursprung
von Punk aber stand das pure Entsetzen: der Spiegel verbreitete mit einer frühen Punk-Reportage
den reinen Horror. Die linke Öffentlichkeit vermutete in den Kurzhaar-Teens neue Nazis, weil diese in Hakenkreuzen
und Uniformen wunderbare Mittel entdeckten, endlich Differenz zu den liberalen Eltern und Lehrern
herzustellen. Die staatstreue Rechte sah in den missratenen Kindern dagegen RAF-Sympathisanten, weil der rote
Stern und die Kalaschnikow zu ihrem Ausdrucks-Repertoire gehörten. Punk war aber nicht politisch in einem
vordergründigen Sinn. In Andreas Baader sahen sie vor allem den coolen Dandy, in Christian Klar den virtuosen
Stadtindianer, der immer wieder durch die Netze der Ordnungs-Sheriffs schlüpfte.
Punk war Protest gegen die wohlgeordnete Welt mit ihren Zustimmungszwängen und die planen Karrieren mit
ihrem voraussehbaren Ende. Punk war aber auch eine Bewegung, die Metaphern genauso ernst und wörtlich nahm
wie Vorwürfe. Aus dem Anrotzen wurde plötzlich eine massenhafte Praxis. Und der Erwachsenen-Einwand,
dass gewisse Rock-Bands nur drei Akkorde beherrschten, wurde durch konsequente Überbietung (nur ein Akkord!)
ad absurdum geführt.
Was an Teipels Buch frappiert: wie kollektiv doch Erinnerung funktioniert, wie sehr man sich, im Rückblick,
auf ein Muster einigt. Nur deshalb kann er die persönlichen Geschichten so virtuos ineinander schneiden
und übereinander blenden: sie ergänzen und verdeutlichen; wirklich widersprechen tun sie sich nur
selten.
Teipel begann als Fan. Sein Buch ist aber alles andere als beschönigend. In Punk-Bohemia kann es ganz schön
kalt und grausam zugehen. Solidarität ist oft nur Hohn angesichts einer (selbst-)ausbeuterischen Geschäfts-
und Lebensform. Das Streetfightertum ist meist nur Pose; Orientierungslosigkeit und Verzweiflung ihr Grund.
Die Männer und Frauen der ersten Stunde waren in fast allen Fällen die Verlierer der Bewegung. Sie
sind im Niemandsland verschwunden und haben bezahlt. Peter Hein, Frontmann und Texter fast aller frühen
Punk-Bands (Charleys Girls, Mittagspause, Fehlfarben, Family
5), schuftet heute noch, wie Jürgen Teipel formuliert, in undurchsichtiger Position,
im Lager von Rank Xerox. Campino, sein treuester Fan, wurde später mit dem Fun-Punk der Toten
Hosen zum Multi-Millionär. Alfred Hilsberg, Sounds-Autor und Label-Chef, der mit seiner Devise
Lieber zu viel als zu wenig zum wichtigsten Promoter des deutschen Punk wurde, bezahlte Enthusiasmus
und geschäftlichen Leichtsinn mit lebenslangen Schulden. Während ein blass-melancholischer Poser wie
Blixa Bargeld zum wohlsituierten Darling der Feuilletons, Goethe-Institute und Subventions-Theater avancierte:
ein wohl gelittener und gut verdienender Jetset-Bohemien.
Helmut Hein
Jürgen Teipel: Verschwende Deine Jugend. Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave. Suhrkamp
2001