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nmz-archiv
nmz 2001/12 | Seite 24
50. Jahrgang | Dez./Jan.
Hochschule
Keine elitäre Arche
Zehn Jahre Alte Musik an der Leipziger Musikhochschule
Mit einem Fest Alte Musik beging die Leipziger Hochschule für Musik und Theater Ende Oktober
das zehnjährige Jubiläum der Fachrichtung. Ein Dezennium ist im Leben einer fast 160 Jahre alten Hochschule
nicht eben viel, gibt jedoch Anlass zur Standortbetrachtung.
Alte Musik geliebt, zelebriert, heftig umstritten und unterdessen als respektable Größe
etabliert, das ist in Leipzigs HMT nicht anders als anderswo. Und doch war einiges anders: Bei der Neustrukturierung
der Hochschule zur politischen Wende ergriff man die Chance, einzelne Fächer mit exotischen Instrumenten
auf den festen Boden einer Fachrichtung Alte Musik zu stellen. Die Ursprünge gingen in DDR-Zeit
zurück, als oft misstrauisch beäugte Individualisten unermüdlich für quellenorientiertes
Verständnis und Aufführungspraxis kämpften. Als an der Leipziger Hochschule 1988 zum Cembalo-
und Generalbassunterricht der Korrepetitionsstudenten auch eine Hauptfachklasse Cembalo bei Christine Schornsheim
eingerichtet wurde, unterrichtete Siegfried Pank bereits vier Jahre Viola da Gamba. Die Grundpfeiler zur Erarbeitung
einer Studien- und Prüfungsordnung waren so mit der Wende bereits verankert. Mit dem Wintersemester 1990
existierte die Fachrichtung offiziell, als Diplomstudiengang Instrumente/Gesang des 17./18. Jahrhunderts.
Der umfassende Studiengang bietet heute alle repräsentativen Instrumente einschließlich Gesang zuzüglich
der dazugehörenden Wissenschafts- und Spezialfächer an. Prof. Pank sieht die Zukunft der Fachrichtung
im Vermitteln fundierten Rüstzeugs für ein dynamisches Wirken junger Musikerinnen und Musiker in einer
sich verändernden Musiklandschaft: Die Tendenzen im internationalen Musikleben weisen darauf hin,
dass die Trennung historisch spätromantisch abnimmt, dass Solisten, Dirigenten und Orchester
sich um beide Richtungen ernsthaft bemühen. Dass die Fachrichtung keine Arche für den elitären
Genuss Eingeweihter an Barockmusik ist, unterstreicht Prof. Christine Schornsheim. Sie bemüht sich um den
Abbau immer noch gärender Schwellenangst auf beiden Seiten: Es gibt bei uns kein Inseldasein. Ich
möchte ein kritisches Herangehen an jede Art von Musik, an jeden Notentext.
Zusammen mit den Blockflöten waren Violoncello/Viola da Gamba und Cembalo/Hammerflügel anfangs das
Herzstück der Fachrichtung. Heute gibt es eine vierte Professur für Barockvioline/Kammermusik. Alle
anderen Fächer werden mit Enthusiasmus und deutlicher Unterbezahlung über Lehraufträge abgedeckt.
Die aus der Situation erwachsende Fluktuation bringt mehr Unruhe als Kontinuität. Fachrichtungsleiterin
Schornsheim setzt auf den nötigen Dialog: Ich wünsche mir ein Aufeinanderzugehen der verschiedenen
Fachrichtungen. Langfristig könnte ein Kollege aus einer anderen, ein Bindeglied zu unserer werden.
Eine Vision, die bereits das humorige Feuilleton des Berliner HdK-Professors Christoph Rueger zur festlichen
Eröffnung widerspiegelte, nahezu eine Agenda für die produktive und ergänzende Koexistenz
von Alter und Neuer Musik, von Musik als Verwalter seelischer, emotionaler und geistiger Vollkost.