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nmz-archiv
nmz 2001/12 | Seite 21
50. Jahrgang | Dez./Jan.
Internet/Computer
Das Internet als Kulturtransportmittel
Die Barbarei einer vermeintlichen Demokratie
Insgesamt zwei Veranstaltungen auf dem Medienkongress in Regensburg widmeten sich dieser Frage. Dabei stellte
sich an vielen Stellen heraus, dass man unter diversen Definitionsproblemen unbedingt zu leiden gedachte. Wann
immer einem Diskussionsthema eine einigermaßen komplexe Struktur anhaftet, besteht ein gerne beschrittener
Lösungsweg im Durchsuchen der Definitionsmaschinen. Was ist das Internet? Was ist Kultur? Was ist ein Transportmittel?
Ein anderer Lösungsweg besteht in der Relativierung der Fragestellung an sich. Das Internet ist einfach:
das ist nun einmal ein Faktum, es transportiert, aus und vorbei.
Dabei hat die Frage ihre Berechtigung und die eben gegebenen Antworten bestätigen die Unsicherheit im
Umgang mit diesem Medium, das, um es vorwegzunehmen, einen sehr komplexen Medienverbund darstellt. Das
Internet gibt es nicht. Eine Suchmaschinenbefragung zum Thema Internet und Kultur offenbart erstaunlich
wenige Ergebnisse, die auch noch ein gewisses theoretisches Niveau aufweisen. Man könnte annehmen: Im Web
ist das Thema Kultur nicht eines, was diskutiert wird, sondern eines, das praktiziert wird. Diese Annahme unterstützt
die Tatsache, dass über den kulturellen Wandel durch die Präsenz der neuen Medien viel geschrieben
wird, aber mit den alten Waffen des Buchdrucks. In deren Mittelpunkt stehen gesellschaftstheoretische
Überlegungen. Doch schon einer Suchmaschinenbefragung eine derart große Bedeutung zuzusprechen, ist
irreführend.
Gerade mal fünf bis zehn Prozent des Internets sollen durch Suchmaschinen erschlossen sein. Wenn dann
immer häufiger, gerade unter Schülern, sich die Überzeugung durchsetzt, dass, was nicht im Internet
zu finden ist, schlichtweg nicht vorhanden zu sein scheint, dann wird diese neue Kultur zur historischen Barbarei.
Kultur ist ein Transportmittel gesellschaftlicher Kommunikation. Wenn die Kommunikationsformen von einem Medium
in ein anderes übergehen, dann verändern sich nicht nur die Wege sondern auch die Inhalte. Das zeigt
sich nicht nur an sprachlichen Veränderungen, sondern auch am Telos der Kommunikation. Diese scheint sehr
viel praktischer orientiert, das heißt sie funktioniert nach Fragesituationen in konkreten Lebenslagen
und -fragen der Kommunikationsgemeinschaften im Netz: Wie bekomme ich ein billiges und gutes Klavier?
Welche Aufnahme der fünften Sinfonie von Mahler/Beethoven/Bruckner ist die Beste? Wie bringe
ich es den Kindern bei? Wer hat Material für irgendwas? Gleichzeitig entwickelt sich dabei
nicht selten eine Forderungshaltung: Man erwartet in der Netzkommunikation, sei es per E-Mail, im Usenet, in
webbasierten Diskussionsrunden häufig unbedingte und schnelle Antworten, die selbstverständlich nichts
kosten dürfen. In den Netzen kommen Menschen miteinander in Berührung, die den Weg über Telefon,
Brief oder persönliches Gespräch nicht führen müssen. Das ermöglicht eine freiere Kommunikation,
aber auch eine hemmungslosere und unverbindlichere.
Eine wichtige Beobachtung: Kontroverse Diskussionen, die man im Zusammenhang alter Kommunikationsverfahren
wie bei Meetings, Panels, Kongressen und so weiter beobachten kann, übertragen sich im Bereich der Kultur
so gut wie gar nicht ins Netz. Ein Blick auf diverse Internetdiskussionsforen oder Mailinglisten macht dies
schnell deutlich.
Was sich dort äußert ist oft flach oder wird langsam zerstört durch persönliche Aversionsleistungen
zwischen einzelnen Beteiligten. Irgendwie scheinen die Diskussionen, das merkt man deutlich, nicht effizient.
Gerade im Bereich der Musikkultur ist dieses Problem deutlich präsent. Die vielbeschworene Demokratisierung
durch das Internet scheint nur eine rhetorische Luftblase zu sein. Es gibt in den Medien des Netzes sehr viel
Kommunikation, aber es wird zugleich immer weniger Inhaltliches kommuniziert, nicht zuletzt, weil die Experten
lieber unter sich bleiben und nicht auch noch auf einen Haufen von Trollen sich einlassen möchten.
Kommunikationskulturen brauchen Traditionen. Während im bunten World Wide Web kein Jahr mehr vergeht,
in dem nicht eine Weiterentwicklung der Netzsoftware (Browser, E-Mail-Clients) stattfindet, die zudem untereinander
nur leidlich kompatibel sind, gibt es das alte trockene Usenet (vgl. auch Andreas Hecks
Artikel zu den Newsgroups . Dessen technische Einfachheit und Nachhaltigkeit ist die eigentliche Stärke.
Illustration: Screenshot DVSM-Forum: 7 Mitglieder, kein Beitrag
Ein Blick auf übliche Forensysteme im Internet zeigt schnell, wie müde es dort in gehobenen Themenkreisen
abgeht (siehe den Screenshot des Forums zum diesjährigen Symposium des Dachverbandes der Studierenden der
Musikwissenschaft).
Und langsam beschleicht einen das Gefühl, dass an dem Bonmot der Comicfigur Homer Simpson, der auf den
Hinweis seiner neunmalklugen Tochter, dass in Springfield ein Internetcafé aufgemacht habe, trocken nachfragt:
Was, das Internet gibt es noch?, etwas Wahres dran ist. Nun gut, das Internet gibt es zwar nicht,
aber immerhin ist es schön bunt. Es mag einen blenden, locken und, von mir aus, auch verderben. Doch das
tut es nicht zu sehr. Noch scheint die These des Kommunikationsforschers C. Wright Mills aus dem Jahr 1963 zuzutreffen:
Was letztlich Meinungsveränderungen wirklich verursacht, ist nicht das Lesen, Hören beziehungsweise
Sehen der Massenmedien, sondern das Gespräch der Menschen miteinander.